Ainoah Costas-Chavarri ist in Puerto Rico aufgewachsen. Sie ist stolze Latina und Verfechterin des Zugangs von Frauen in allen Berufe. Ihre Leidenschaft gilt der Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung in Entwicklungsländern. Seit 2016 ist sie Mitglied des internationalen Forschungsnetzwerks und setzt sich mit viel Engagement für den Aufbau eines besseren Gesundheitssystems in Ruanda ein. In unserem Gespräch gibt sie persönliche Einblicke in ihre tägliche Arbeit und macht darauf aufmerksam, dass junge Mädchen, unabhängig von ihrem Umfeld, in ihren Berufswünschen bestärkt werden sollten.
Interview von Sarah Polzer
Frau Dr. Costas-Chavarri, Sie arbeiten nun schon seit mehreren Jahren in Ruanda. Was macht die Arbeit dort für Sie so besonders?
Hier ist jeder Tag anders. Es gibt immer wieder neue Herausforderungen, die auf einen warten. Das erfordert unterschiedliche Fähigkeiten, die ich mir jeden Tag aufs Neue aneigne und weiterentwickle. Dazu gehören Flexibilität und Kreativität, aber auch Geduld ist immer wieder gefragt. Besonders viel Spaß macht es mir, in der Ausbildung mitzuwirken, zu unterrichten und damit die medizinische Ausbildung im Land zu unterstützen sowie die Fortschritte der Lernenden mitzuerleben. Das ist etwas, das mich unglaublich erfüllt.
Welche Eigenschaften sollte ich mitbringen, wenn ich, so wie Sie, in einem Entwicklungsland einen sinnvollen Beitrag leisten möchte?
Aufgeschlossenheit ist besonders wichtig, du solltest unbedingt die Landessprache sprechen und in der Lage sein, auch mal spontan zu reagieren. Kreativität ist jeden Tag gefragt, um etwa nicht vorhandene Ausrüstung zu kompensieren und ungewöhnliche Probleme bewältigen zu können. Gelassenheit und Geduld sind genauso nötig, wie das Verständnis dafür, dass manche Vorgänge eben etwas länger dauern.
Seit 2016 sind Sie Mitglied im Forschungsnetzwerks GlobalSurg aus dem COVIDSurg hervorging. Wie hat sich diese Zusammenarbeit entwickelt?
Ich bin tatsächlich schon seit 2016 bin ich bei GlobalSurg dabei. Mir hat vor allem die Idee gefallen, über Ländergrenzen hinweg, gemeinsam zu forschen, Probleme anzugehen und sich gegenseitig zu unterstützen. COVIDSurg wurde in Zeiten der Pandemie ins Leben gerufen, war also nicht mein Hauptprojekt, aber es entwickelte sich zu einem wichtigen Teil von GlobalSurg. Ärztinnen und Ärzten, insbesondere Chirurginnen und Chirurgen, wird oft nachgesagt, sie seien ständig schlecht gelaunt und müde von den vielen Operationen, die sie durchführen. Die vielen Vertreter von COVIDSurg beweisen jedoch genau das Gegenteil: Sie sind offen, freundlich und immerzu hilfsbereit. Dieser Geist motiviert alle, immer wieder aufs Neue alles zu geben und gleichzeitig entsteht das Gefühl, einen wichtigen Beitrag für die evidenzbasierte Medizin leisten zu können.
Ruanda ist ein Entwicklungsland in Ostafrika. Wie wurde dort auf die Pandemie reagiert?
Die Regierung hat hervorragend gehandelt. Sie hat sofort Maßnahmen ergriffen, indem sie die Bevölkerung schnell informierte und eine Maskenpflicht einführte. Die Bürger haben die Anweisungen der Regierung sofort angenommen und umgesetzt. Generell ist das Vertrauen in die Ärzte hier in diesem Land sehr groß.
In den letzten Monaten gab es weltweit einen Ansturm auf Impfstoffe gegen das Coronavirus. Ist die Durchimpfung der Bevölkerung auch in Ruanda ein Ziel?
Ja, auf jeden Fall, das ist auch bei uns in ein wichtiges Thema. Hier besteht momentan eher die Befürchtung, dass es nicht genügend Impfstoff für Zweitimpfungen geben könnte. Daran wird sehr viel gearbeitet.
Sie engagieren sich nicht nur im COVIDSurg Netzwerk, sondern setzen sich auch dafür ein Frauen Zugang zu allen Berufen zu ermöglichen. Woher erhielten Sie die notwendige Unterstützung Ihren Weg in die Medizin zu gehen?
Ich hatte enorm viel Glück. Meine Familie hat mich immer unterstützt. Meine Kollegen standen hinter mir, und was mich immer angetrieben hat, war meine persönliche Leidenschaft für die Medizin. Ich möchte, dass es für Frauen möglich ist, ihre Träume zu verwirklichen, so wie das für mich möglich war. Wenn du einen Traum hast, dann verfolge ihn, egal ob du Chirurgin oder etwas anderes werden möchtest.
Woher kam bei Ihnen der innige Wunsch, in der Medizin Fuß zu fassen?
Ich stamme aus einer Ärztefamilie, bin also in einem medizinischen Umfeld aufgewachsen. Regelmäßig habe ich meinen Vater im Krankenhaus besucht, um ihm etwas zu essen zu bringen. Solche kleinen Dinge haben mich geprägt. Ich war sehr offen für die Allgemeinchirurgie, aber auch für die Neurologie. Letzteres hängt auch mit der plötzlichen Parkinson Erkrankung meines Vaters zusammen. Meine Eltern waren und sind immer noch ein großes Vorbild für mich. Chirurgin zu sein bedeutet auch, dass man seine Arbeit mit Leidenschaft ausübt. Das haben meine Eltern mir damals beigebracht.
Gab es in Ihrer bisherigen Laufbahn ein besonderes Erlebnis, das Sie geprägt hat?
Ich habe noch eine recht kurze Karriere hinter mir. Daher ist es schwer, von einer besonders einschneidenden Erfahrung zu sprechen. Das Stipendium in globaler Chirurgie an der Harvard Universität in Boston war jedoch besonders wichtig für mich. Neue Konzepte zu entwickeln, Patienten zu betreuen und alte Strukturen zu erneuern - Das ist es, was meinen Beruf ausmacht und was ihn für mich so besonders macht.
Im Jahr 2016 veröffentlichte die britische Tageszeitung The Guardian in ihrer internationalen Ausgabe einen Artikel von Ihnen mit dem Titel " Wir müssen den Sexismus bekämpfen, damit es mehr Chirurginnen in Entwicklungsländern gibt". Darin weisen Sie auf systembedingte Hindernisse hin, mit denen junge Frauen auf ihrem Weg zu einer Karriere in diesen Ländern konfrontiert sind. Damals appellierten Sie auch an die chirurgische Weltgemeinschaft, sich an Nachhaltigkeitszielen der vereinten Nationen zu orientieren. Sie verwiesen dort auf das fünfte Nachhaltigkeitsziel, mit dem die Gleichstellung der Geschlechter in Entwicklungsländern bis 2030 erreicht werden soll. Das war vor sechs Jahren - was hat sich seitdem getan?
Den Artikel habe ich gemeinsam mit meiner Kollegin Sristi Sharma verfasst, die ebenfalls Ärztin ist und mich davon überzeugt hat, auf die Missstände bei Ärztinnen in Entwicklungsländern hinzuweisen. Sie ist auch die Hauptautorin und war die treibende Kraft hinter dem Artikel. Seit 2016 hat sich eine Menge geändert. Auch wenn nicht alle Ungleichheiten beseitigt sind, lassen sich dennoch positive Entwicklungen beobachten. Das Tempo dieser Entwicklung verläuft langsam. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat sich allmählich eine Veränderung in Gang gesetzt. Ein Beispiel ist ein Zusammenschluss von Chirurginnen, die von Amerika aus unterstützt wird.
Was raten Sie Frauen in Entwicklungsländern, die eine Karriere im medizinischen Bereich anstreben, insbesondere auch als Chirurgin?
Auch Frauen können Chirurginnen werden! Wenn du den Traum hast, Chirurgin zu werden, suche dir Unterstützung. Finde andere Frauen mit demselben Ziel, vernetzt euch und bildet eine Gemeinschaft. Besonders das Internet kann hilfreich sein, um sich gegenseitig zu unterstützen. Meine Familie hat mir zudem sehr geholfen, ebenso wie meine Kollegen. Alles, was du brauchst, ist Leidenschaft und ein unterstützendes Umfeld.
Ich bin auch Mutter eines Sohnes. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass nicht jeder Tag im Gleichgewicht ist. Zwischen all der Arbeit und mit einem kleinen Kind zu Hause darfst du nicht vergessen, dass du nicht alles allein handhaben kannst und musst. Nimm dir immer ausreichend Zeit für dich selbst, um neue Energie zu tanken. Hole dir Unterstützung durch einen Partner oder ein Kindermädchen. Auch als alleinerziehende Mutter hast du das Recht auf eine kleine Auszeit. Was mir sehr geholfen hat, all dies zu bewältigen, war ein verständnisvolles und flexibles Arbeitsumfeld.