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18.01.2022

Interview mit ASSIST

A.S.S.I.S.T. (Automated Scientific Skin Infection Search Technology) ist ein Startup aus der Universität Tübingen, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Diagnose von Hautkrankheiten durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu verbessern. Wir haben mit den zwei Ärzten und Gründungsmitgliedern Jan-Niklas Doll und Leonie Köhler gesprochen und sie über ihre Idee, das Team und die Visionen befragt.

Startup Center: Ihr habt in der letzten Zeit bei einigen Pitch-Wettbewerben mitgemacht und dabei Preise abgeräumt. Was ist euer Erfolgsrezept?
Jan-Niklas Doll: Wir versuchen, zu unserem Thema ein Bild im Kopf der Zuhörenden zu erzeugen und dann einen roten Faden zu spinnen, an dem sich jeder entlanghangeln kann. Ziel ist, dass alle am Ende des Pitchs sagen können: Ich habe verstanden, was sie tun und ich sehe das Problem, dass sie lösen wollen.

Leonie Köhler: Außerdem haben wir festgestellt, dass bei den Pitches, bei denen wir als ganzes Team dabei waren, wir den Zuhörern vermitteln konnten, dass uns das Spaß macht und wir voll hinter dem stehen, was wir machen. Ich glaube, das überzeugt und motiviert die Leute dann auch.

Startup Center: Das Team ist ja oft entscheidend für den Erfolg eines Startups. Wer steckt alles hinter ASSIST?

Jan-Niklas Doll: Wir sind aktuell ein fünfköpfiges Team und sehr interdisziplinär aufgestellt. Leonie und ich sind als Ärzte für das Medizinische verantwortlich. Simon und Chris kümmern sich um alles Informatische und den dritten Kernbereich vertritt Carlos als BWLer. Damit haben wir drei Segmente - Medizin, Informatik und BWL - mit denen wir alles abdecken können, was bei ASSIST an Fragen aufkommt.

Startup Center: Auf welcher Idee basiert ASSIST?

Jan-Niklas Doll: Unsere Vision war von Anfang an, durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Medizin einen direkten Nutzen für Patienten zu erzielen. Auf Basis eines simplen Smartphonefotos kann man eine erste Einschätzung eines Hautbefundes erhalten – und das dank KI in nur wenigen Sekunden.

Startup Center: Wie zuverlässig ist eure Bilderkennung bisher?

Jan-Niklas Doll: Aktuell erreichen wir mit unserem neuesten Prototyp 86% Genauigkeit. Aber das ist natürlich nur vorläufig, weil es nur für den Datensatz gilt, den wir aktuell verwenden und der 50 Krankheiten beinhaltet. Zum Vergleich: Je nach Studie besagen die Statistiken, dass ein Hausarzt etwa 20 bis 60% von 50 Krankheiten richtig erkennt.

Leonie Köhler: Und ein Dermatologe erzielt wiederum um die 80%, was wir als Referenz nehmen können und wonach wir bereits auf Dermatologen-Niveau sind. Natürlich wollen wir das noch mit klinischen Studien weiter untersuchen, um die Zahlen im Alltag zu validieren. Aber unser Ziel ist es, dass wir mindestens das Niveau von Dermatologen erreichen.

Startup Center: Wie kamt ihr auf die Idee?

Jan-Niklas Doll: Mein Bruder Simon hat als Informatiker viel zu selbstfahrenden Autos geforscht und ich war in der Klinik in verschiedenen Abteilungen unterwegs. Wir haben uns gegenseitig davon erzählt und dann überlegt, wie man eine Verknüpfung finden kann, die im Alltag Sinn macht. Ich habe in meinem Studium und in allen Praktika das Gefühl gehabt, dass alle Ärzte, die nicht Dermatologen sind, Angst vor Hauterkrankungen haben. Viele kennen sich damit nicht aus. Dabei kommen Hauterkrankungen quasi in jeder Abteilung vor. Das habe ich Simon dann geschildert und er meinte: „KI kann super Bilder erkennen, das lässt sich doch kombinieren.“ Daraus kam die Erkenntnis, dass es für das Problem eine Lösung geben könnte. Und so war die Idee geboren.

Startup Center: Wie ist es, mit seinem Zwillingsbruder gemeinsam an einem Startup zu arbeiten?

Jan-Niklas Doll: Es hat zwei Seiten! Was es sehr viel einfacher macht, ist dieser enge Austausch, den du nicht hast bei zwei fremden Personen. Wir müssen uns nicht aufhalten mit irgendwelchen Formalitäten. Bei uns heißt es Vollgas, keine Tabus, immer. Viele würden es vielleicht als Nachteil sehen, dass es keine Pause, keine klare Grenze gibt - ob beim Mittagessen oder dem Familienausflug. Aber mir macht das nichts aus. Und vielleicht lebt es davon auch ein bisschen.

Startup Center: Im Team habt ihr alle einen akademischen Hintergrund. Was konntet ihr aus eurer Forschungserfahrung in die Startup-Welt mit einbringen?

Jan-Niklas Doll: Aus der Informatik sicher viel zum Thema Bilderkennung. Andererseits das generelle Forschungs-Knowhow, wie Paper lesen, Literaturrecherche und so weiter. Dazu kommen auch die Kontakte, dass wir an die richtigen Leute geraten sind.

Startup Center: Würdet ihr euch Stand jetzt eher als Forscher oder eher als Gründer definieren?

Leonie Köhler: Beides würde ich sagen. Auf der einen Seite haben wir ein Produkt geschaffen, das auch im Alltag wirklich sinnvoll ist. Trotzdem denke ich, steckt in gewisser Weise noch der Forscher in uns, weil wir das Produkt weiterentwickeln wollen und uns ständig überlegen, wie könnte man es noch besser auf spezielle Fragestellungen anpassen.

Startup Center: Welche Unterstützung habt ihr an der Universität erhalten und wie hat euch das weitergebracht?

Jan-Niklas Doll: Die erste Unterstützung kam von der Gründungsförderung. Da hatten wir uns ganz am Anfang gemeldet. „Wir sind drei Leute, wir haben einen Prototyp, wir haben keine Ahnung vom Gründen – Hilfe!“ Dann haben wir uns vorgestellt und das ganze besprochen. Wir haben dort auch viel gelernt, was man für ein Startup braucht, welche Steps man geht und auch was für Fördermöglichkeiten in Frage kommen. Ich glaube, das war der erste entscheidende Block und wir werden auch bis heute beraten und gecoacht. Das zweite große war dann, die Junge Innovatoren Förderung zu erhalten. Und dann kam noch dazu, dass wir uns mit der Dermatologie vernetzt und dort einen Ansprechpartner gefunden haben. Hier bekommen wir inhaltliches Feedback von einem fachlich sehr guten Mentor und können uns auch weiter vernetzen. Außerdem haben wir von einem Informatik-Lehrstuhl Ressourcen auf einem Universitätscluster erhalten, da natürlich Rechenpower wichtig ist für das KI-Training. Dort können wir auf die Ressourcen zugreifen und technische Unterstützung bekommen.

Startup Center: Wie geht es jetzt für euch weiter? Was sind für euch die nächsten Schritte?

Jan-Niklas Doll: Also zunächst haben wir den Lebensunterhalt für drei Leute sichergestellt. Das heißt, wir haben dreimal 100%, die dran arbeiten und deshalb geht es inhaltlich aktuell extrem gut voran. Bisher haben wir einen Datensatz, den wir als Forschungsdatensatz aus verschiedenen Datenbanken für uns selbst konstruiert haben. Aber um das Ganze jetzt wirklich in die Anwendung zu bringen, muss der Datensatz größer werden. Und dafür haben wir als Kooperationspartner eine Schweizer Teledermatologie-Plattform gefunden, OnlineDoctor, und verhandeln da jetzt aktuell, wie das aussehen kann*. Damit kriegen wir ein riesiges Netzwerk an Krankenkassen als potenzielle Kunden und Dermatologen als Profis, wenn es beispielsweise um eine Weiterleitung nach der KI-Diagnose geht und dazu auch einen großen Bilddatensatz.

Startup Center: Wann wollt ihr mit eurem Produkt an den Markt gehen?

Jan-Niklas Doll: Es gibt ja unterschiedliche Produkte, die man aus unserer Lösung machen kann. Das kann entweder eine komplett eigene Diagnose für eine Privatperson sein, was natürlich rechtlich und von der Zertifizierung her sehr große Hürden hat. Oder auch ein Assistenzsystem, das durch einen Arzt, der immer noch selbst eine Entscheidung trifft, verwendet wird. Ich glaube also, es hängt davon ab, welches der Produkte wir verwirklichen. Aber ganz grob hoffen wir, dass wir auf jeden Fall ein Produkt bis zum Ende des Jahres einsetzen können.

Startup Center: Was würdet ihr gründungsinteressierten Personen aus dem Umfeld der Universität empfehlen?

Jan-Niklas Doll: Unbedingt Veranstaltungsangebote nutzen, bei denen man sich vernetzen kann. Niemand kann genug Kompetenz in sich vereinen, um alle Bereiche, die man für eine Unternehmensgründung braucht, abzudecken. Also vernetzen mit anderen und nicht den Mut verlieren, weil man am Anfang denkt, das ist zu groß oder das kann jemand anderes besser. Man sollte jemanden finden, der ein ähnliches Mindset hat und der komplett mit am gleichen Strang zieht und dann einfach probieren. Außerdem gibt es genug Unterstützungsangebote. Man muss vielleicht ein bisschen suchen, bis man das Passende findet, aber man sollte es auf jeden Fall versuchen.

Das Interview führten Paul-David Bittner und Sabine Ranft Anfang Dezember 2021.
*Inzwischen ist eine Kooperation mit OnlineDoctor abgeschlossen worden.
Link zur Website von ASSIST: www.assist-tuebingen.de

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