Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Dr. Jochen Fehling

Post-Doc Projekt

Vermarktung genetischer Tests im Spannungsverhältnis zwischen Gewinnoptimierung und Patientennutzen: Was kann eine Unternehmensethik leisten?

Der größte Teil biomedizinischer Technologien wird von Unternehmen entwickelt, hergestellt und verkauft, die – häufig als Aktiengesellschaft – darauf ausgerichtet sind, mit ihren Produkten Gewinne zu erziehen. Dies ist nicht per se moralisch verwerflich, die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens können aber mit den Interessen der Kunden, d.h. den Patienten, und der Solidargemeinschaft in Konflikt geraten. Besonders augenfällig ist dieses Problem im Bereich der Medikamentenherstellung, wenn teure Medikamente mit einem marginalen Nutzengewinn als lohnende therapeutische Innovation vermarktet werden oder wenn die Hersteller auf die Veröffentlichung von Studiendaten Einfluss nehmen, sodass die therapeutischen Effekte überschätzt und die Belastungen und gesundheitlichen Risiken unterschätzt werden (vgl. Strech, 2009). Eine Lösungsmöglichkeit besteht in einer verschärften Regulierung der biotechnologischen Unternehmen, die jedoch politisch häufig schwer durchzusetzen ist und die Handlungsspielräume der Unternehmen zu stark einschränken kann. Ein alternativer Ansatz baut auf das intrinsische Wissen der Industrie um ihre Produkte und Produktionsweisen und ihren damit gegebenen strukturellen Wissensvorsprung vor dem Gesetzgeber.

In diesem Forschungsprojekt soll deshalb untersucht werden, welche Potenziale eine branchenweite Selbstverpflichtung der Unternehmen – im Sinne einer Unternehmensethik – bietet, um die Konflikte zwischen Gewinninteresse und verantwortlicher Versorgung der Bevölkerung mit Produkten der biomedizinischen Technologie zu mildern. Die Arbeit geht von der Hypothese aus, dass es durchaus eine legitime Form der Gewinnerzielung mit Gentests geben kann, die jedoch wesentlich an Bedingungen ethischer Natur geknüpft ist. Diese sollen im hier beantragten Projekt herausgearbeitet werden.

Das zentrale Ergebnis wird eine ethisch begründete Checkliste sein, die es den biotechnologischen Unternehmen ermöglicht, explizit ethische Aspekte bei der Produktion und Vermarktung ihrer Produkte zu berücksichtigen und damit als Unternehmen gesellschaftliche bzw. ethische Verantwortung zu übernehmen (was häufig unter dem Schlagwort Corporate Social Responsibility – CSR diskutiert wird). Die Branche könnte dann die Selbstverpflichtung eingehen, diese Checkliste bei der Vermarktung zu beachten.

Aufgrund der zunehmenden Bedeutung der sog. individualisierten (auch: „personalisierten“, medizinisch korrekter: stratifizierten) Medizin (Hüsing et al., 2008) sollen die Überlegungen am Beispiel genetischer Tests konkretisiert werden. Neben dem Grundkonflikt – Gewinnerzielung versus Patientennutzen – bieten genetische Test eigene ethische Fragestellungen (z.B. angemessener Umgang mit prognostischer Information, Schutz der genetischen Informationen vor dem unberechtigten Zugriff Dritter), die bei einer ethischen Selbstverpflichtung der biotechnologischen Unternehmen zu berücksichtigen sind.

 

 

Literaturangaben:

Hüsing, Bärbel ; Hartig, Juliane ; Bührlen, Bernhard ; Reiß, Thomas ; Gaisser, Sibylle (2008): Individualisierte Medizin und Gesundheitssystem. Zukunftsreport. Arbeitsbericht Nr. 126. Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag.

 

Strech, Daniel (2009): Zur Ethik einer restriktiven Regulierung der Studienregistrierung. Ethik in der Medizin: online first.

Zur Person

Studium der Volkswirtschaftslehre an der Eberhard Karls Universität Tübingen und an der Université de Paris I Panthéon-Sorbonne. 2003 Diplomarbeit „Ökonomische Anreizmechanismen zur Beschränkung des Freiflächenverbrauchs im Ausland“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), Tübingen. 2004 - 2006 Stipendiat im Graduiertenkolleg „Bioethik“ am IZEW. Titel der Dissertation: „Die Ethik des Value of a Statistical Life. Die Rolle individueller Risikokompetenz für die Legitimität des VSL“. 05/2007 - 06/2007 Gastaufenthalt in der Arbeitsgruppe Economics of Safety, Health, Environment and Risk (ESHER), Newcastle University (UK, Prof. M. Jones-Lee, Prof. S. Chilton). November 2007 – November 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt „Verantwortung wahrnehmen“ (Ethik als Schlüsselkompetenz) des IZEW. November 2009 – September 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter im BMBF-Forschungsverbund "Allokation" am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Bereich Ethik der Medizin, Universität Tübingen (Prof. Dr. Georg Marckmann). Promotion zum Dr. rer. pol. im Januar 2010. Von August 2011 bis August 2013 Postdoktorandenstipendiat im Graduiertenkolleg Bioethik am IZEW. Seit September 2013 Referent für Nachhaltige Entwicklung an Fakultät Agrarwirtschaft, Volkswirtschaft und Management der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen.