Forschung
Die Forschungsschwerpunkte der Tübinger Abteilung für Skandinavistik liegen auf Fragen der Literaturtheorie und Ästhetik, der Narratologie, sowie der Gender- und Emotionsforschung. Es wird sowohl in Einzelprojekten als auch in interdisziplinären Forschungsverbünden, wie dem SFB 1391 Andere Ästhetik, gearbeitet.
Jun.Prof. Dr. Rebecca Merkelbach
► SFB 1391 Andere Ästhetik: Teilprojekt B05 „Kaleidoskopische Narration in den Isländersagas“
Zusammen mit Stefanie Gropper und Hilkea Blomeyer
Ausgehend von der Annahme, dass die spätmittelalterliche Sagaliteratur Islands kaleidoskopisch aus gleichen oder ähnlichen narrativen Elementen zusammengesetzt wird, untersuchen wir, wie solche kaleidoskopische Reflexionsfiguren auch in anderen Isländersagas angewandt werden. Gleichzeitig untersuchen wir mit den Gegenwartssagas ein vermeintlich historiographisches Kontrollcorpus und betrachten außerdem die Intersektion zwischen Isländer- und Vorzeitsagas, um daraus neue Beobachtungen zu Saganarration, Gattungskonstruktion und Fiktionalität abzuleiten. Die Produktivität dieses Ansatzes zeigte sich bereits in einem Aufsatz, in dem Merkelbach am Beispiel der Kjalnesinga saga demonstriert, wie kaleidoskopisches Erzählen in den sog. Ächtersagas erlaubt, ähnliche Stoffe, Motive und Figurentypen an unterschiedliche (narrative wie kulturelle) Situationen anzupassen.
Für weitere Informationen, siehe die Projektseite.
► ‘The Other Sagas: A New Reading of the “Post-Classical” Sagas of Icelanders’ (Abgeschlossen)
In dem von der DFG geförderten Projekt (Projektnr. 400154111) befasste sich Rebecca Merkelbach mit der Darstellung von Protagonisten, Paranormalem und sozialen Kontexten in den sog. „postklassischen“ Isländersagas und entwickelte so einen neuen Ansatz zu diesen von der Forschung lange marginalisierten Texten. Im Rahmen ihrer Arbeit zu Fiktionalität und Erzählwelten dieser Sagas entwickelte sie zudem die Hypothese, dass Narration und Weltenbau in diesem Kontext auf kaleidoskopischen Prinzipien basiert. Dazu erschien vor kurzem bei Brepols der Sammelband Storyworlds and Worldbuilding in Old Norse-Icelandic Literature, der auf einen 2021 gehaltenen Workshop („Storyworlds and Worldbuilding in Medieval Northern European Literature“) zurückgeht.
Prof. Dr. Stefanie Gropper (em.):
► Projekt MoMod (Modes of Modification)
in Zusammenarbeit mit Karl-Gunnar A. Johansson (Oslo), Anna Horn (Oslo), Jonatan Petterson (Stockholm), Massimiliano Bampi (Venedig) und Elise Kleivane (Oslo).
https://www.hf.uio.no/iln/english/research/projects/modes-of-modification/index.html
Das Teilprojekt „Texts in the Insular Distance. Narrative Concepts in Medieval Icelandic Literature“ untersucht, nach welchen Selektions- und Bewertungskriterien die anonym überlieferten Íslendingasögur einen Platz im literarischen System des isländischen Mittelalters erhielten und wie sich diese Kriterien im Lauf der Überlieferungsgeschichte der Texte veränderten.
► SFB 1391 Andere Ästhetik: Teilprojekt B05 "Narrative (Selbst-) Reflexion in den Isländersagas" (Abgeschlossen)
► The Íslendingasögur as Prosimetrum (ISAP) (Abgeschlossen)
The Íslendingasögur as Prosimetrum
Dr. Anna Katharina Heiniger
Mit dem Projekt „Erzählkommentare in den Íslendingasögur als Ausdruck literarischer Ästhetik“ wird erstmals eine systematische Untersuchung der Erzählkommentare in einer der bekanntesten Sagagattungen erarbeitet. Die kurzen Einwürfe, wie z.B. sem var sagt („wie erzählt wurde“) oder maðr hét („ein Mann hiess…“), werden meist von der extradiegetisch-heterodiegetischen Erzählstimme geäußert. Sie dienen zunächst mal der Selektion, Strukturierung, Wertung und Verknüpfung des Erzählten. Gleichzeitig generiert die Erzählstimme durch geschicktes Platzieren und Kombinieren von Kommentaren literarische Effekte. Die Betrachtung der Erzählkommentare ermöglicht somit Einblicke in die Gestaltung des Erzählprozesses und des literarischen Selbstverständnisses der Texte. Methodisch in den Digital Humanities verortet und auf einem mixed-methods-Zugang basierend kategorisiert das Projekt in einem ersten Schritt die verschiedenen Kommentare und wertet sie quantitativ aus. Darauf aufbauend widmet sich der zweite Schritt der qualitativen Untersuchung der literarischen Effekte.
Juliane Witte, MA
► „Þú er it mesta forað: The Role of Anger and Social Monstrosity in the Depiction of Women in Old Norse-Icelandic Literature“
Juliane Witte ist seit Oktober 2022 Doktorandin bei der Abteilung für Skandinavistik. In ihrer Dissertation untersucht sie die Rolle weiblicher Charaktere in der altnordischen Literatur durch den dreigleisigen Ansatz von Genderforschung, Emotionsforschung und der sozialen Monstrosität. Während der Rahmen der Arbeit aus der vergleichenden Analyse hervorgeht, ist sie in diesen drei Ansätzen verwurzelt, um die Spannungen herauszuarbeiten, die in der Darstellung dieser weiblichen Figuren und ihrer Wut eine Rolle spielen. Die Emotionsforschung, insbesondere die Analyse der Darstellung weiblicher Wur, dient als Ausgangspunkt für die Hinterfragung der Gesamtdarstellung weiblicher Figuren, der ihnen auferlegten Annahmen und der unterschiedlichen narrativen Aufgaben, die sie erfüllen müssen. Die Verwendung der Theorie der sozialen Monstrosität bietet der Forschung die Möglichkeit zu diskutieren, auf welche Weise die Darstellung weiblicher Charaktere sie sowohl als monströse Charaktere als auch als Repräsentanten sozialer Spannung positioniert.