Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Sebastian Schleidgen

Dissertationsprojekt

Sebastian SchleidgenDie Rolle des Vorsorgeprinzips für nachhaltige Entwicklung

Nachhaltige Entwicklung ist spätestens seit der 1987 im sogenannten Brundtland-Bericht formulierten Definition zu einem wichtigen Begriff im gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Alltag geworden. Die unspezifische Formulierung der Definition und die daraus resultierenden, stark divergierenden Interpretationen führen jedoch dazu, dass Entscheidungen unter dem Etikett nachhaltiger Entwicklung häufig arbiträr und schwer nachvollziehbar erscheinen. Das Dissertationsprojekt greift diese Problemstelle auf und stellt die Frage nach Möglichkeiten einer eindeutigen und nachvollziehbaren Umsetzung nachhaltiger Entwicklung in der gesellschaftlichen und politischen Praxis.

Ausgangspunkt dazu bildet ein ethisch-normatives Verständnis der Brundtland-Definition nachhaltiger Entwicklung als intra- und intergenerationelle Gerechtigkeitskonzeption, die auf eine gerechte Verteilung von Möglichkeiten zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse abstellt. Damit sind – entgegen der weit verbreiteten Auffassung, nachhaltige Entwicklung berühre ausschließlich umweltethische Problembereiche – alle Sphären menschlichen Handelns und Entscheidens von den Anforderungen nachhaltiger Entwicklung betroffen, die sich auf Möglichkeiten der menschlichen Grundbedürfnisbefriedigung auswirken (können).

Um einem solchermaßen holistischen Konzept gerecht zu werden, muss – so die Ausgangsthese des Dissertationsprojekts – nachhaltiges Handeln eine zweigleisige Strategie verfolgen: Einerseits muss nachhaltige Entwicklung aktiv forciert werden. Dazu sind die gesellschaftlichen und politischen Zielvorgaben im Sinne der gerechtigkeitstheoretischen Anforderungen nachhaltiger Entwicklung stetig an die jeweils bestehenden technologischen und sozialstrukturellen Bedingungen anzupassen. Da eine solche Anpassung jedoch nicht garantieren kann, alle Sphären menschlichen Handeln und Entscheidens adäquat zu berücksichtigen, die sich auf Möglichkeiten der menschlichen Grundbedürfnisse auswirken (können), muss darüber hinaus eine Prozedur für gesellschaftliche und politische Entscheidungssituationen entwickelt werden, die nachhaltigkeitsschädigende Handlungen verhindert.

Das Dissertationsprojekt beschäftigt sich mit diesem prozeduralen Teil einer nachhaltigen Handlungsstrategie und stellt die Frage nach einem angemessenen Verständnis des Vorsorgeprinzips im Sinne einer geeigneten Prozedur zur Verhinderung nachhaltigkeitsschädigender Handlungen in gesellschaftlichen und politischen Entscheidungssituationen. Mit Hinblick auf diese Zielsetzung ergeben sich zwei Forschungsfragen: 1. Wie muss das Vorsorgeprinzip verstanden werden, um dem ethisch-normativen Charakter nachhaltiger Entwicklung gerecht zu werden? 2. In welchen Situationen ist das Vorsorgeprinzip mit Hinblick auf die moralischen Anforderungen nachhaltiger Entwicklung überhaupt anzuwenden?

Je nach konkretem Problembereich ergeben sich jedoch sehr unterschiedliche Reichweiten der Folgen menschlichen Handelns. Daher wird die Spezifikation des Vorsorgeprinzips – v.a. mit Hinblick auf die Frage nach Situationen, in denen seine Anwendung geboten ist – anhand der exemplarischen Auseinandersetzung mit Entscheidungen über die Entwicklung sowie den Einsatz von AIDS-Medikamenten, insbesondere in Drittweltländern, vorgenommen. Die Fokussierung auf einen biomedizinischen Problembereich bietet sich aus verschiedenen Gründen an: Zum Einen wird verdeutlicht, dass nachhaltige Entwicklung weit mehr ist als nur ein umweltethisches Konzept. Zum Anderen sind es gerade Entscheidungen über neue biomedizinische Anwendungen, bei denen häufig zwischen potentiellen Nutzen und Schäden für die Möglichkeiten menschlicher Grundbedürfnisbefriedigung abgewogen werden muss.

Zur Person

Magisterstudium der Philosophie und Soziologie an der Universität Konstanz (2000 – 2007). Tätigkeit im Teilprojekt „Außervertragliche Voraussetzungen von Vertragstheorien“ des SFB 485 „Norm und Symbol“ an der Universität Konstanz (2004 – 2005). Tätigkeit im Teilprojekt „Normativität und Freiheit“ des SFB 485 „Norm und Symbol“ an der Universität Konstanz (2006 – 2007). Hauptinteressengebiete sind Ethik, politische Philosophie, Handlungs- und Entscheidungstheorie.
Weitere Informationen unter: www.sebastian-schleidgen.de

Kontakt

sebastian.schleidgen[at]izew.uni-tuebingen.de