Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Globale Krise(n): Covid-19 und das Mensch-Tier-Verhältnis

von Leonie Bossert*

28.05.2020 · Die aktuelle Pandemie wirft zahlreiche Fragen zwischenmenschlicher Ethik auf. Darüber hinaus wirft sie jedoch auch ein Schlaglicht auf ein bestehendes Mensch-Tier-Verhältnis, welches – wie die folgenden Ausführungen zeigen – in vielerlei Hinsicht problematisch ist und eine andere, Interspezies-Ethik‘ erfordert.

Die Erwähnung tierethischer Überlegungen im Rahmen der aktuellen Covid-19 Pandemie, mag einigen fernliegend anmuten. Bezüge und Überschneidungen gibt es jedoch einige. Wie Birgit Beck aufzeigt, werden diese Aspekte in der Covid-19-Debatte bislang kaum adressiert. Laut Beck stellt der tierliche Ursprung der aktuellen Pandemie und die Umstände, wie es zum Übergang von Tier auf Mensch gekommen ist, einen ‚Elefanten‘ dar, der ignoriert wird. Der Name dieses Elefanten ist Zoonose.

Zoonosen, also Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, können Pandemien wie die aktuelle auslösen. Auch sie sind – wie andere globale Probleme – in vielen Fällen anthropogen verursacht. Dass die gegenwärtig vorherrschenden gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnisse dazu beitragen, dass vermehrt Epidemien sowie Pandemien globalen Ausmaßes (wie z.B. Sars, Mers und Ebola) entstehen, sollte bereits aus anthropozentrischer Perspektive zum (Um)Denken anregen. Aus tierethischer Perspektive ist der menschliche Umgang mit Tieren in den meisten Bereichen als mindestens fragwürdig, bis hin zu moralisch falsch zu werten. Welche konkreten Bereiche des Mensch-Tier-Verhältnisses durch die Pandemie tangiert werden, wird im Folgenden umrissen.

Tierethische Fragen ergeben sich sowohl in Bezug auf wildlebende Tiere, als auch auf domestizierte Tiere. Der Bezug zu wildlebenden Tieren ist offensichtlich, da nach wie vor diskutiert wird, ob das Covid-19-verursachende Virus von Fledermäusen direkt, von Fledermäusen mit Zwischenwirten, wie Schuppentieren, oder doch von Marderhunden auf den Menschen übergegangen ist.

Ebenfalls wird die (Intensiv-)Tierhaltung innerhalb der Debatte erneut kritisch beleuchtet, da Viren in dieser zwangsläufig gut gedeihen, wie auch der Virologe Peter Rottier betont und verdeutlicht, dass es auch in „unseren Schweineställen“ zu Epidemie-Ausbrüchen kommen kann. (Diese Beleuchtung findet jedoch aus anthropozentrischer Sichtweise statt, so dass sie nicht Becks Beobachtung widerspricht, dass tierethische Aspekte bislang nicht andressiert werden. In der Tierethik stehen die tierlichen Individuen im Fokus.)

Neben domestizierten farmed animals sind auch domestizierte companion animals betroffen. Beispielsweise führt die Angst vor Ansteckung dazu, dass zahlreiche Hunde in Tierheimen stranden. In anderen Fällen möchten Menschen für die Zeit der Ausgangssperre zur persönlichen Zerstreuung gerne ein Tier aus dem Tierheim aufnehmen, welches danach aber bitte wieder vom Heim ‚zurückgenommen‘ wird?

Nach Aussage der Tierethikerin Clare Palmer[1] bestehen gegenüber domestizierten Tieren auf Grund ihrer Vulnerabilität und Abhängigkeit vom Menschen andere Hilfspflichten als gegenüber wildlebenden Tieren. Nicht-Schädigungspflichten bestehen ihnen gegenüber jedoch in gleicher Weise. Dies leitet dann auch über zum problematischen menschlichen Umgang mit diesen Tieren, da in den Fällen, die auch für die Covid-19 Pandemie relevant sind, ein schädigender Umgang ausgemacht werden kann.

In Bezug auf wildlebende Tiere ergibt sich die Schädigung aus der Zerstörung und starken Reduzierung ihres Habitats sowie daraus, dass sie intensiv gefangen, gehandelt und gegessen werden. Auch wenn der Ursprung des Virus nach wie vor ungeklärt ist, ist es wahrscheinlich, dass es auf dem wet market in Wuhan aufgekommen ist und sich von dort von Mensch zu Mensch weiterverbreitete. Auf diesem Markt wurden die, nach dem Washingtoner Artenschutzabkommen streng geschützten Schuppentiere gehandelt, die als Zwischenwirt für das Virus debattiert werden. Dass die ‚Wildtier-Bereiche‘ der wet markets, auf denen eingefangene wildlebende Tiere gestapelt in kleinen Käfigen oder als – kaum auf schmerzfreie Weise möglich – zusammengebundene Bündel zum Verkauf angeboten werden, aus tierethischer Perspektive sehr problematisch sind, ist evident.

Die Schuppentiere stellen, wenn überhaupt, lediglich Zwischenwirte dar. Als ursprünglicher Wirt des Virus dienen Fledermäuse. Sie stellen wahre Viren-Brutstätten dar – auch die Infektionskrankheiten Hendra (1994), Nipah (1998), Sars (2002), Mers (2012) und Ebola (2014) wurden von Fledermaus-Viren verursacht. Wie aber auch Linfa Wang von der Duke-NUS Medical School in Singapur betont, sind nicht die Tiere das Problem, sondern der menschliche Kontakt zu ihnen, der immer häufiger auftritt, je weiter sich menschliche Siedlungen in den Lebensraum der Fledermäuse ausdehnen und je weiter das natürliche Habitat der Tiere zerstört wird.

Jüngst wird nun auch der Marderhund als potentieller Zwischenwirt debattiert. Dies wirft ein Licht auf ein weiteres problematisches Element der Mensch-Tier-Beziehung: auf die Pelzproduktion. Die Zucht mit Marderhunden auf Grund ihres Fells ist in China ein großer Wirtschaftszweig. Laut Christian Drosten ist es sehr wahrscheinlich, dass Viren dort „hochkochen“, wo Tiere gezüchtet werden. 

So eben nicht nur in asiatischen Fledermaus-Arten, chinesischen wet markets oder wildlife-markets im Globalen Süden, sondern auch in europäischen Ställen der Tierindustrie. Neben Fledermäusen gelten auch Schweine als „Schmelztiegel“ für Viren. Zoonosen, die im Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Tierhaltung entstanden sind, sind hinlänglich bekannt durch die Vogel- und Schweinegrippe. Der Virologe Peter Rottier betont, dass „je mehr Tiere auf einer kleinen Fläche gehalten werden, desto leichter können Viren zirkulieren und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie früher oder später auf den Menschen überspringen. In dieser Hinsicht stellt die Massentierhaltung ein Risiko für die öffentliche Gesundheit dar.“ Und auch Jonathan Safran Foer und Aaron Gross machen darauf aufmerksam, dass ein großer Teil von als besonders besorgniserregend deklarierter neuartiger Influenzaviren in Geflügelproduktionsbetrieben gefunden werden. Empirische Nachweise dieser Art gibt es zahlreich und sie sollten ausreichen, um eine Debatte über eine sinnvollere Zukunft der Landwirtschaft anzustoßen. Tierethische Argumente fordern eine solche Debatte sowie die Änderung landwirtschaftlicher Praxis ebenfalls seit Jahrzehnten. 

Im Zusammenhang mit dem Entstehen von Zoonosen spielt der menschliche Umgang mit wildlebenden Tieren und sogenannten farmed animals also eine gewichtige Rolle. Von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sind jedoch auch companion animals, wenn die einstigen Familienmitglieder aus Angst vor Infektionen, oder auf Grund von Überforderung in Zeiten der Ausgangssperre ins Tierheim abgegeben werden. Oder eben, wenn sie in solchen Zeiten als eine Art ‚Beschäftigungstherapie‘ oder kurzfristiges neues Hobby dienen sollen. Diese Art des Umgangs mit den Tieren setzt sie gewissermaßen mit anderen käuflichen (Unterhaltungs-)Produkten gleich und offenbart dadurch ebenfalls ein problematisches Mensch-Tier-Verhältnis. Das ließe sich (mindestens ansatzweise) beheben, wenn Tiere nicht mehr als Besitz gelten dürften, wie es der Philosoph Gary Francione[2] beständig fordert.    

Diese Ausführungen zeigen, dass es jetzt, während der Pandemie, aber auch fortwährend danach durchaus an der Tagesordnung sein sollte, den menschlichen Umgang mit Tieren zu überdenken und zu ändern. Das betrifft zahlreiche gesellschaftlichen Bereiche und es betrifft nicht lediglich die Länder, in denen ‚exotische‘ wildlebende Tiere gejagt und auf wet und wildlife markets gehandelt werden, sondern es betrifft ebenso u.a. die (Intensiv-)Tierhaltung hierzulande. Änderungen dieser Praktiken sind sowohl aus menschlichem Eigeninteresse erstrebenswert, um – neben all den anderen negativen Auswirkungen der Tierindustrie – die Wahrscheinlichkeit für weitere Epidemien und Pandemien zu reduzieren und auch auf die häufig tierleidverursachenden Konsequenzen des gegenwärtigen Mensch-Tier-Verhältnisses einzuhegen und eine andere Interspezies-Ethik auf den Weg zu bringen.

Kurz-Link zum Teilen: https://uni-tuebingen.de/de/178476

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* Dieser Beitrag ist eine überarbeitete Fassung eines Beitrags aus dem Praefaktisch-Blog.

[1] Palmer, Clare (2010): Animal Ethics in Context. New York: Columbia University Press.

[2] Francione, Gary L. (2008): Animals as Persons. New York: Columbia University Press.