Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

„Marktlücke“ entdeckt?

Führungsethik-Seminar im Fachbereich Chemie mit großem Erfolg angelaufen

Im Projekt „Führungsethik als Ethik in den Wissenschaften“ wird ein Bildungsangebot für MINT-Studierende und -Promovierende entwickelt. Dieses ist nun mit knapp 40 Interessierten angelaufen. Die Teilnehmenden werden darin durch praxisnahe Fallbeispiele mit moralischen Problemen von Führungskräften konfrontiert.

„Dr. Mayer hat ein Problem: Die neue Textilfaser, die unter ihrer Leitung in der Firma Grausteg entwickelt wurde, ist zwar ein voller Erfolg, was die Anforderungen der Kund*innen betrifft. Doch bei der Herstellung entstehen deutlich mehr hochgiftige Abfallprodukte als erwartet. In Deutschland wäre eine umweltgerechte Entsorgung zu teuer, um die Faser martktauglich zu halten. Im Ausland sind die Standards und Kosten der Entsorgung niedriger. Sollte sie sich dies zunutze machen?“

Nicht nur unternehmerische Fragestellungen, wie das eingangs skizzierte Problem, gehören zum Alltag einer Führungskraft sondern auch Fragen der Personalführung, wie z.B. diese: Was macht eine gute Führungskraft, wenn ein eigentlich tatkräftiges Mitglied des eigenen Forschungsteams auf einmal weniger Leistung bringt, weil ein Elternteil kürzlich zum Pflegefall wurde? Doch was macht (gute) Führung genau aus und was kann eine „Ethik der Führung“ dazu beitragen? Sollte man auch moralisch handeln, wenn es andere vielleicht nicht tun? Ist als Führungskraft die gute Absicht entscheidend oder das Ergebnis? Das Seminar greift diese Fragen auf und vermittelt anhand praxisnaher Fallbeispiele führungsethische Kompetenzen.

Neben der Konzeptionierung und Durchführung des Seminars ist die begleitende wissenschaftliche Evaluation ein entscheidender Baustein des Forschungsprojekts: Um feststellen zu können, inwiefern sich die Handlungs- und Urteilskompetenzen der Seminarteilnehmer*innen durch den Besuch des Führungsethik-Seminars verändern werden, kommen zu Beginn und zum Ende des Semesters unterschiedliche Erhebungsinstrumente (z.B. Fragebogen, schriftliche Fallanalyse, Angabe von Soziodemografik) zum Einsatz, die Aufschluss darüber geben sollen, ob die anvisierten Lehr- und Lernziele realisiert wurden.

Das entwickelte Pilot-Seminar im Fachbereich Chemie sollte hierfür im Wintersemester 2020/21 als Präsenzseminar starten. Angesichts der Pandemie-Situation wurde zusätzlich die Chance genutzt, eine Online-Variante zu entwickeln. Diese Konzeption setzt auf eine Kombination aus synchronen und asynchronen Anteilen. Die Wissensvermittlung wird hierbei von den Studierenden selbstständig geleistet. Die wertvolle gemeinsame Zeit mit den Dozierenden dient vornehmlich der Diskussion sowie der Einübung der zu vermittelnden Kompetenzen. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen, für Studierende wie Dozierende, war die Rückmeldung überwältigend positiv:

Obwohl das Seminar derzeit nur Masterstudierenden und Promovierenden des Fachbereichs Chemie der Universität Tübingen zugänglich ist, wurden so viele Anmeldungen verzeichnet, dass ein zweiter Seminartermin angeboten werden konnte. Mit 40 Teilnehmenden ist das Pilot-Seminar nun gestartet. Erste Rückmeldungen der Studierenden zeigen, dass ihre Wahl auf das Seminar fiel, weil normalerweise weder Fragen von Führung noch von Ethik vom Curriculum adressiert würden, obwohl beide Bereiche an sich, und in Kombination, als wichtig für das künftige Berufsleben angesehen werden. Es scheint als hätte das Projekt Führungsethik hier eine Lücke in der universitären Ausbildung aufgetan.

Das beschriebene Seminar ist Teil des Forschungsprojekts „Führungsethik als Ethik in den Wissenschaften“, welches von der Carl-Zeiss-Stiftung gefördert wird. In diesem Verbund forschen die Arbeitsgruppe Chemiedidaktik der Friedrich-Schiller-Universität Jena, das Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung der Universität Mainz und das Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik unter Leitung des Internationalen Zentrums für Ethik in den Wissenschaften an neuen Formaten der Ethiklehre in den MINT-Fächern. Mehr zum Projekt finden Sie unter https://www.fuehrungundethik.de/. Dort finden Sie auch das gesamte Projektteam.