Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

"Die Helden der Pandemie sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, heißt es. Aber wer ist damit gemeint? Die Virologen sind längst nicht mehr unter sich; [...]. Vor allem Wissenschaftler aus zwei - scheinbar fachfremden - Disziplinen haben sich inzwischen eine eigene Deutungshoheit über die Corona-Lage erarbeitet: Volkswirte und Physiker."
(Lars Weisbrod in DIE ZEIT, Nr. 12, 18.3.2021, S. 46)

 

„Was können Ethiker*innen, was andere nicht können?“ Digitaler Workshop zur „Ethik in der Praxis“ (21./22.1.2021)

Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Disziplinen werden ganz selbstverständlich öffentlich um Rat gefragt. Dies ist bei der Ethik nicht der Fall. Wie kann also ethische Expertise in der Praxis stärkere Anerkennung erfahren? Dieser und anderen Fragen ging ein Workshop nach, den das IZEW zusammen mit dem Münchner Kolleg „Ethik in der Praxis“ (MKEP) und dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) durchgeführt hat.

Philosophisch ausgebildete Ethiker*innen, die in nicht-akademischen Bereichen beruflich aktiv sind, stehen oft vor der Frage, welchen Mehrwert sie in praktischen Kontexten beitragen können: Wozu braucht etwa der Daimler-Konzern Ethikberatung? Das Besondere ethischer Expertise und die Frage, wie sie in die Praxis eingebracht werden kann, wurde mit Kollegiat*innen des MKEP und Ethiker*innen diskutiert. Die Kollegiat*innen berichteten davon, welche Erfahrungen sie jeweils in Praxisfeldern gesammelt hatten. Ihre philosophische Reflexion dieser Erfahrungen wurden von Ethiker*innen aus dem IZEW und dem KIT kommentiert. Dabei kamen unterschiedliche Fragen zur Sprache, wie etwa, welche Fähigkeiten Ethiker*innen einbringen können und müssen, um aus Sicht der beruflichen Praxis erfolgreich zu sein. Aber auch grundsätzlichere Fragestellungen, nach den konkreten Zielen der ethischen Expertise für die Praxis, wurden besprochen. Dabei fragte sich manche Kollegiat*in, wie viel ein*e Ethiker*in vom speziellen Gegenstandsbereich des jeweiligen Praxiskontexts verstehen muss, um die erwarteten Ziele verfolgen zu können. Verschiedene Arbeitsgruppen diskutierten, welche Methoden der Ethik in praktischen Kontexten eingesetzt werden können; außerdem ging es um die besonderen Kompetenzen, die für ethische Beratung und den praktischen Einsatz nötig sind. Dabei stand immer wieder die Herausforderung im Fokus, wie denn die Gültigkeit ethischer Aussagen überzeugend begründet und wie mit Zweifeln an der Gültigkeit umgegangen werden kann. Diese Fragen beschäftigen die (akademische) Ethik selbst und der Transfer in praktische Kontexte stellt eine besondere Herausforderung dar. Ein wiederkehrendes Thema in Auseinandersetzungen um Ethik in der Praxis ist auch die Enttäuschung von Praktiker*innen, dass ethische Abwägung meistens nicht zu einfachen, eindeutigen und endgültigen Antworten oder gar Lösungen führt. Die Diskussionen mit den Teilnehmenden zeigten einen grundsätzlichen Konsens hinsichtlich der Erwartungen an ethische Expertise: Was Ethik leisten kann, ist, die Werte und Normen in einem (bestimmten) Handlungsfeld zu explizieren, zu systematisieren und nach ihrer Begründung zu fragen. Dies bedeutet aber nicht, dass man ethische Konzepte in ein Handlungsfeld „einfügt“, von dem man dachte, es sei eigentlich „Ethik-frei“. Sondern es geht um den Versuch, zusammen mit den Praxispartner*innen grundlegende Werthaltungen aufzuspüren, Handlungsalternativen deutlich zu machen und gemeinsam zunächst am Verständnis einer Situation (oder eines Konflikts) zu arbeiten, bevor es um ethisch fundierte Lösungswege geht.

Die Diskussionen über „Ethik in der Praxis“ wurden an zwei Nachmittagen von zwei Vorträgen eingerahmt: Prof. Dr. Weyma Lübbe, Universität Regensburg, sprach direkt zum Thema der Ethik in der Praxis und den Möglichkeiten professioneller Ethikberatung. Ihrer Einschätzung nach sollten sich Ethiker*innen eher darum bemühen, gut begründete Haltungen zu vermitteln als mit besonderem Sachverstand Ratschläge zu geben. Dabei müsse über die „eingewöhnten Diskursgrenzen“ der Ethik hinausgegangen werden, um in praktischen Handlungsfeldern gehört zu werden.

Der Vortrag am zweiten Nachmittag von Prof. Dr. Ralf Stoecker, Universität Bielefeld, widmete sich ganz direkt der Ausgangsfrage: „Was können Ethiker*innen, was andere nicht können?“ Er zeigte an einem aktuellen Beispiel, der Triage-Diskussion in der Corona-Pandemie, wie Ethiker*innen theoriegeleitet nachdenken und zu möglichen Entscheidungen kommen – und – dass es mehrere (gleich gut) begründete Entscheidungen geben kann. Ein wesentliches Charakteristikum von Ethik sei, dass ihre Überlegungen oft anfechtbar sind. Trotzdem sei es in vielen Praxiskontexten sinnvoll, hilfreich und oft unausweichlich, die Überlegungen der Ethik zu berücksichtigen, um verantwortungsvoll handeln zu können.

 

Organisiert wurde der Workshop von Jonas Vandieken (MKEP), Alexander Bagattini (KIT), Eugen Pissarskoi (IZEW) und Uta Müller (IZEW)

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