Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens (Edilife)

Digitale Technologien bestimmen zunehmend unser Leben – sie beeinflussen jedoch auch mehr und mehr den Umgang mit Tod, Trauer und Erinnerung. Technologien im Kontext der Digital Afterlife Industry (DAI) ermöglichen das „Weiterleben“ und die Interaktion mit digitalen Repräsentationen von Verstorbenen als Avatar, als Chatbot oder als Absender von Textnachrichten. Das Projekt Edilife hat das Ziel, aktuelle Dienste im Kontext des digitalen Umgangs mit dem Tod zu reflektieren, zukünftige Entwicklungen zu antizipieren, Handlungsbedarf zu kennzeichnen und Handlungsoptionen zu erarbeiten. Durch partizipative Verfahren wird das Spektrum der gesellschaftlichen Perspektiven auf das Thema „digitales Weiterleben“ erschlossen und durch Ethik, IT-Sicherheit und Recht analysiert. Edilife trägt zur Eröffnung der gesellschaftlichen Diskussion bei und stellt die Weichen für eine gelingende Umsetzung neuer digitaler Praktiken im Kontext von Tod und Erinnern.

IZEW-Team

Förderung

Juli 2022 – Februar 2024

BMBF

Insight - interdisziplinäre Perspektiven des gesellschaftlichen und technologischen Wandels

In Kooperation mit

Das Projekt

Die sogenannte Digital Afterlife Industry (DAI) ist ein neuer Wachstumsmarkt für Start-Ups und die großen kommerziellen Plattformbetreiber, in dem insbesondere die Interaktion mit Verstorbenen über Kommunikationsplattformen, Chatbots oder Avatare eine bedeutende Rolle spielt. Das Feld des „digitalen Weiterlebens“ umfasst Situationen des eigenen Todes, wenn Menschen vor ihrem Tod eine entsprechende Nutzung ihrer Daten vorbereiten oder ausdrücklich untersagen; es umfasst Situationen des Todes anderer, wenn Angehörige oder Freund:innen die „Präsenz“ der Verstorbenen weiter erleben möchten. Zugleich gehen die Forschungsfragen über die individuellen Situationen hinaus, etwa dort, wo im Kontext der Erinnerungskultur Avatare Holocaustüberlebender in Museen die Fragen von Schüler:innengruppen beantworten; dort, wo im Bildungsbereich digitale Lehre auch von Verstorbenen „übernommen“ werden kann; dort, wo verstorbene Personen des öffentlichen Lebens zu bestimmten Anlässen wieder in den Vordergrund gerückt werden (wie z. B. US-Präsident Kennedy, um die Rede zu halten, die er am Tag seiner Ermordung gehalten hätte, vgl. Rothco, 2018).

Aktuell gibt es diese Anwendungen etwa in der Werbung, der Musik- und Filmindustrie (McEvoy, 2021; Chesney & Citron, 2019, S. 1770). Besucher:innen der „Dalí Lives“-Ausstellung in den USA konnten mit dem 1989 verstorbenen Künstler „interagieren“ (Kwok & Koh, 2020, S. 3). Im Rahmen der US-Wahl 2020 ermöglichte ein Deepfake eines beim Parkland-Massaker getöteten Jugendlichen eine besonders eindringliche politische Kampagne zur Verschärfung der Waffengesetze (Diaz, 2020). Aber auch im persönlichen Umfeld werden entsprechende Anwendungen bereits eingesetzt, so wie im Fall einer koreanischen Frau, die ihrer toten Tochter auf diesem Weg wiederbegegnete (McEvoy, 2021), oder in Form von Rekonstruktionen kurzer Videoanimationen verstorbener Verwandter auf der Basis von Fotos  als Dienstleistung der Genealogie-Plattform MyHeritage.

Durch Fortschritte in der KI wird dieser Prozess deutlich beschleunigt und damit breiter und einfacher zugänglich. In Zukunft ist daher von einer vermehrten Nutzung auch im Privatbereich auszugehen. Das Projekt Edilife hat einen stark partizipativen Ansatz und nimmt auf Grundlage von Analysen der entsprechenden Anwendungen, Stakeholderworkshops sowie Gruppen- und Einzelinterviews eine Kartierung und erste Exploration des Forschungsfelds „digitales Weiterleben“ vor.

Ziele des Projekts sind

  • der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn in einem bedeutenden neuen Themenfeld, der sich einerseits auf ethische Fragen des Umgangs mit Trauer und Tod in Bezug auf Techniken des digitalen „Weiterlebens“ bezieht (IZEW) und andererseits auf die technischen Möglichkeiten, natürliche Personen virtuell zu repräsentieren, und die damit einhergehenden datenschutzrechtlichen und sicherheitstechnischen Implikationen (SIT);
  • die Kennzeichnung von politischem Handlungsbedarf in Bezug auf ethische Fragen (IZEW), Sicherheit und Datenschutz (SIT) und die Eröffnung einer gesellschaftlichen Diskussion (IZEW und SIT).

Zentrale Forschungsfragen lauten u.a.: Welche Wünsche haben Menschen für ihre digitale Existenz nach ihrem Tod? Wie können Trauer und Pietät in diesem soziotechnischen Kontext einen Platz finden? In welcher Weise wird Technik religiöses Leben beeinflussen und umgekehrt? Welche Manipulations- und Missbrauchsmöglichkeiten eröffnen sich? Wie wird der Datenschutz aller gewahrt? Kann ein digitaler Zwilling einer verstorbenen Person gegen das Gesetz verstoßen? Wie können die Rechte Betroffener gegenüber den kommerziellen Interessen der internationalen DAI und anderer Industrien (wie der Unterhaltungsindustrie) durchgesetzt werden?

So wie die soziale Interaktion in einer digitalen Gesellschaft nach Medienmündigkeit und einem (ethisch) reflektierten Technikverständnis verlangt, ist auch die Suche nach einem respekt- und pietätvollen Umgang mit Tod und Trauer in einer datengestützten und medialisierten Lebenswelt eine vordringliche Aufgabe. Im Projekt werden diese Fragen aus einer gleichermaßen technisch wie kulturell geprägten digitalen Gesellschaft interdisziplinär behandelt.

Publikationen

  • Heesen, Jessica/Hennig, Martin, Deadbots: Ethische Grenzen des digitalen Weiterlebens – eine medien- und technikethische Perspektive. In: Benjamin Rathgeber/Markus Maier (Hg.): Grenzen Künstlicher Intelligenz. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2023 (im Druck).
  • Meitzler, Matthias/Heesen, Jessica (2023), „Trauern und Gedenken im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“, in: Bestattungskultur 7-8, 2023, 14-17.
  • Heesen, Jessica (2022). Verstorbene als Medienprodukt. Die Programmierung von Unendlichkeit als ethische Herausforderung. In: Wolfgang George/Karsten Weber (Hg.): Fehlendes Endlichkeitsbewusstsein und die Krisen im Anthropozän. Psychosozial-Verlag: Gießen 2022, 161-172.
  • Hennig, Martin (2018). Fiktionen vom digitalen Körper, Leben und Tod in Literatur, Film und Computerspiel. In: Anja Hartung-Griemberg/Ralf Vollbrecht/ Christine Dallmann (Hg.): Körpergeschichten. Körper als Fluchtpunkte medialer Biografisierungspraxen. Baden-Baden: Nomos, 195-215.
  • Kubis, M., Naczinsky, M., Selzer, A., Sperlich, T.,Steiner, S. & Waldmann, U. (2019). Der digitale Nachlass – Eine Untersuchung aus rechtlicher und technischer Sicht. https://doi.org/10.24406/sit-n-57222
Vorträge
  • Ammicht-Quinn, Regina/Heesen, Jessica, „Der (verstorbene) Körper in digitalen Welten. Kulturelle und religiöse Dimensionen“, Tagung „Unsterblich als Avatar? Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens“, Universität Tübingen, 19.1.2024.
  • Heesen, Jessica, „Neue Trauerkultur oder Datafizierung des Todes. Ethische Perspektiven“, Tagung „Unsterblich als Avatar? Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens“, Universität Tübingen, 19.1.2024.
  • Hennig, Martin, „Deadbots als Medienphänomen. Digital Afterlife in der Populärkultur“, Tagung „Unsterblich als Avatar? Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens“, Universität Tübingen, 19.1.2024.
  • Meitzler, Matthias, „Kennenlernen und Wiederhaben. DAI-Diskurse im Lichte der partizipativen Forschung“, Tagung „Unsterblich als Avatar? Ethik, Recht und Sicherheit des digitalen Weiterlebens“, Universität Tübingen, 19.1.2024.
  • Meitzler, Matthias, „Digital Afterlife Industry. Potenziale und Herausforderungen des virtuellen ,Weiterlebens‘ durch Technologien der Künstlichen Intelligenz“, Konferenz „Afterlife. Die soziale Präsenz der Toten“, Universität Rostock, 6.10.2023.
  • Meitzler, Matthias, „Virtuelle Unsterblichkeit? Soziale Fortexistenz in Zeiten der Digitalisierung“, Universität Passau, 18.7.2023.
  • Meitzler, Matthias, „Digitales Weiterleben? Zum Wandel von Sterben, Tod und Trauer in digitalisierten Gesellschaften“, Institut für theatrale Zukunftsforschung, Zimmertheater Tübingen, 26.4.2023.
  • Heesen, Jessica, „Künstliche Intelligenz und die Grenzen des Todes. Ethik und Ökonomie des digitalen ‚Weiterlebens‘“, Konferenz „Grenzen künstlicher Intelligenz“, Hochschule für Philosophie, München, 30.3.2023.
  • Meitzler, Matthias, „Postmortale Fortexistenz als Trost? Räumliche und körperliche Dimensionen der Verlustbewältigung“, Konferenz „Transmortale XII – Neue Forschungen zu Sterben, Tod und Trauer: Trost“, Museum für Sepulkralkultur, Kassel, 25.3.2023.
  • Heesen, Jessica, "Digitalisierung und Sterbekultur", im Rahmen der Vortragsreihe (Zusammen)Leben in digitalen Welten, CAIS/Universität Düsseldorf/BürgerUniversität/DIID/Mercator Stiftung, Düsseldorf 16.1.2023.
Medien