Science and Innovation Days: Über kontroverse Themen besser streiten: Ideen für und aus der Lehrpraxis
Soll in der Schule darüber diskutiert werden, ob die Erde eine Scheibe ist oder ob „Remigration“ eine legitime Handlungsoption der Politik ist? Dies war eine der Fragen, die während der Diskussion anlässlich der Science and Innovation Days zur Sprache kamen. Studierende und Lehrkräfte aus Schule und Hochschule haben aber vor allem gemeinsam darüber nachgedacht, wie man konstruktiv, anerkennend und gut miteinander streiten kann.
Dass in pluralistischen Demokratien über kontroverse Themen gestritten werden kann, ist positiv zu bewerten und zeichnet freiheitliche Gesellschaften aus. In jüngster Zeit erleben wir aber, dass in manchen Fällen, auch in der Schule und Hochschule, nicht „gut“ gestritten wird. Zugleich gibt es gute Argumente dafür, in manchen Situationen bestimmte Grundüberzeugungen wie etwa die Ablehnung von Diskriminierung und Rassismus oder einen wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht grundsätzlich zu diskutieren. Wie man „besser“ streiten kann, wurde in der Veranstaltung „Über kontroverse Themen besser streiten: Ideen für und aus der Lehrpraxis“, die im Rahmen der universitären „Science and Innovation Days“ stattfand, diskutiert.
Mit Lehrkräften aus der Schule und der Universität, Studierenden und weiteren Teilnehmer*innen haben wir in verschiedenen Diskussionsformaten erörtert, wie Auseinandersetzungen um kontroverse Themen besser geführt werden können und wie Lehrveranstaltungen dabei helfen können. Die Veranstaltung fokussierte sich auf das gute Streiten und verknüpfte mit diesem Thema aktuelle interdisziplinäre und ethische Debatten.
Als Experten mit in der Runde waren Erik Müller vom Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte Tübingen, der die Perspektive aus der Schulpraxis einbrachte, PD Dr. Dr. Martin Harant vom Institut für Erziehungswissenschaft als Vertreter der Hochschullehrenden, sowie Tobias Haug als Lehramtsstudierender und angehende Lehrkraft. Die Gesprächsrunden waren sehr offen und es wurden ganz verschiedene Perspektiven auf das Streiten – aus der Praxis und der Theorie – lebhaft diskutiert.
In einem „World Café“ haben wir zunächst die gemeinsamen Bedingungen und Beschränkungen für „gutes Streiten“ besprochen, wie insbesondere die Bereitschaft zuzuhören und sich gegenseitig mit Empathie zu begegnen. Damit kann (auch) Dogmatismus vermieden werden und die Offenheit gefördert werden, auch andere Standpunkte (zunächst) zuzulassen. Damit einher geht die Überlegung, dass es eine gemeinsame Basis gibt, von der aus sich Differenzen erst ergeben – auch dies sollten Streitende versuchen, sich immer klarzumachen.
Es gibt Einstellungen – Tugenden –, die uns helfen können, gut zu streiten, wie etwa intellektuelle Bescheidenheit, Wertschätzung und Respekt, die mit dazu beitragen können, den anderen als Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren. Immer wieder wurde auf die Grenzen des Streitens hingewiesen. Beispielsweise ist eine Auseinandersetzung, die in Demütigung oder Kränkung abdriftet, selten zu einem produktiven Ende zu bringen. In manchen Streitsituationen ist die Reflexion des eigenen Confirmation Bias notwendig, um der Tendenz zu entgehen, nur nach Informationen zu suchen, die die eigene Sichtweise bestätigen und auch nur diese zuzulassen.
Für gutes Streiten sind auch Zeit und Ort von Bedeutung: Es muss (genügend) Zeit für Streiten vorhanden sein und auch der Ort des Streitens ist wichtig: Virtuelle Orte, z.B. in den Social Media, machen Streiten schwieriger, weil die persönliche Begegnung fehlt und sich der Streit schneller aufheizt. Daneben gibt es auch Themen oder Fragen, wie etwa die Behauptung, die Erde sei eine Scheibe, die gar nicht kontrovers sind und über die auch nicht gestritten werden kann.
Die Veranstaltung fand in den neuen Räumlichkeiten der Außenstelle Tübingen der Landeszentrale für politische Bildung BW statt, die – zusammen mit der Moderation von Anja Meitner – einen sehr angenehmen Rahmen geschaffen haben, um gut ins Gespräch zu kommen. Das Organisationsteam – Prof. Dr. Taiga Brahm und Victoria Vochatzer von der Wirtschaftsdidaktik, Anja Meitner von der LpB und Dr. Simon Meisch und Dr. Uta Müller vom IZEW – hat sich gefreut, dass die Veranstaltung so lebhafte Debatten initiierte und wir hoffen, dass sowohl die Studierenden als auch die Lehrenden mit Anregungen für „gutes Streiten“ nach Hause gegangen sind.
Verfasst von: Uta Müller