Universitätsbibliothek

Das Schönbuch-Schätzchen

Ganz unscheinbar steckte die Karte des Schönbuchs zusammengefaltet in einem Pappumschlag im Magazin der Universitätsbibliothek und entpuppte sich als echtes Schätzchen. 

Die Karte wurde mit Aquarellfarben von Hand gemalt und stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Besonders ist daran nicht nur die Malerei und die winzige Beschriftung, sondern auch, dass sie nach dem Vorbild des berühmten Altwürttembergischen Forstkartenwerks von Andreas Kieser gemalt wurde, der seine Karten in den Jahren 1680-1687 anfertigte. Diese Originale existieren nicht mehr. Sie wurden bei einem Bombenangriff auf Stuttgart am 12.9.1944 in der Königlichen Öffentlichen Bibliothek zerstört. Geblieben sind Schwarzweiß-Aufnahmen, die die Landesbildstellte Württemberg im Jahr 1939 von den Karten angefertigt hatte.

Bei Kiesers Forstkartenwerk handelte es sich um 279 Einzelkarten, die zusammengesetzt eine Fläche von 72,5 qm ergeben hätten! Sie umfassten die sieben Forstbezirke Böblingen, Leonberg, Tübingen, Kirchheim, Stromberg, Reichenberg und Schorndorf. Falls man sich übrigens fragt, wie man damals die Landschaft vermessen und auf Papier darstellen konnte, so gibt bereits Wilhelm Schickard in seinem in Tübingen erschienenen Buch aus dem Jahr 1629 eine Antwort darauf. Darin veranschaulicht er am Beispiel der Tübinger Umgebung, wie mittels Dreiecksvermessung und trigonometrischer Methoden Punkte in der Landschaft bestimmt und die Ergebnisse auf Karten übertragen werden konnten.

Unsere handgemalte Karte ist ein stark verkleinerter Auszug von ungefähr 31 Kieser-Karten und zeigt den Schönbuch im Mittelpunkt seiner weitreichenden Umgebung. Die Karte setzt sich aus neun Einzelblättern auf Leinwand zusammen und hat aufgeklappt die Maße 90,5 x 66 cm. So wie die Kieserschen Forstkarten ist auch unsere Karte nach Süden ausgerichtet, was in der Fachliteratur seiner Zeit als „auffallende Eigentümlichkeit“ bezeichnet wurde. Die Karte reicht also von Tübingen (oben) bis nach Echterdingen (unten) und von Harthausen (links) bis nach Herrenberg (rechts). Man erkennt auf der Karte nicht nur Wälder, Hütten und Felder, sondern auch Details wie die Standorte von Mühlen, Brunnen und die der zahlreichen Keltern. Nicht zuletzt sieht man außerhalb der Stadt Tübingen entlang der heutigen B27 das Hochgericht: den Tübinger Galgen am Fuße des Galgenbergs. 

Doch wer war eigentlich der Künstler unserer Schönbuchkarte? Auf der Innenseite des Vorderdeckels lesen wir „Geschenk der Erben des † Oberforstrats F. A. v. Tscherning“. Das Zugangsbuch bestätigt mit einem Eintrag vom 6.8.1900 die Abgabe der Karte durch die Erben am 23. Juli 1900. Friedrich August von Tscherning wurde am 18. Juli 1819 in Tübingen geboren und starb dort am 22. Juni 1900. Nach einem forstwissenschaftlichen Studium in seiner Heimatstadt und dem späteren Ruf als Professor nach Hohenheim, schlug er den Ruf an die Universität Tübingen aus und bewarb sich stattdessen um die freie Forstmeisterstelle in Bebenhausen, die er von 1854-1892 ausübte.

Tscherning war insbesondere an der Forstgeschichte des Schönbuchs interessiert, was ihn zu einem Kenner der historischen Quellen werden ließ - so waren ihm auch die Kieserschen Forstkarten bekannt. Ihm wurde zudem eine zeichnerische Begabung attestiert. Ein Schriftvergleich legt nahe, dass Friedrich August von Tscherning selbst der Zeichner der Schönbuchkarte ist.

Zu den Verdiensten Tschernings gehört seine maßgebliche Beteiligung am Aufbau des Schönbuchs nach der Misswirtschaft und Waldverwüstung der vorigen Jahrhunderte sowie seine Veröffentlichungen zur Forstgesetzgebung. Sein Interesse galt zudem naturwissenschaftlichen Themen, wie beispielsweise die Bestände von Auerhahn und Bär im Schönbuch. Nicht zuletzt konnte er König Karl davon überzeugen, das zu seiner Zeit in desolatem Zustand befindliche Kloster Bebenhausen restaurieren zu lassen.

Außer der Schönbuchkarte haben die Erben Tschernings der Universitätsbibliothek noch mehrere handschriftliche Kollektaneen zur Geschichte des Schönbuchs und Notizbücher geschenkt. Auf dem Gedenkstein im Schönbuch bei Dettenhausen lautet die Widmung für Friedrich August von Tscherning treffend Patri Scainbuochensi: „dem Vater des Schönbuchs“.

Quellen:

Alt-Wuerttemberg in Ortsansichten und Landkarten: 1680 - 1687 / Andreas Kieser. Stuttgart: Theiss, 1985. UB-Signatur: 25 D 59-1.2.3.

Charte von Schwaben / von J. A. Amman. Tübingen, 1832. UB-Signatur: Fh IV 75.

[Karte des Schönbuchs, ca. 1890]. Aquarell nach den Forstkarten von Andreas Kieser, entstanden von 1680-1687. UB-Signatur: L X 21.4.

Kiesersche Forstkarten (Wikimedia)

Schickard, Wilhelm: Kurze Anweisung wie künstliche Landtafeln auß rechtem Grund zumachen… Straßburg: Michelspacher, 1629. UB-Signatur: Fh I 21.

Der Schönbuch im Kartenbild der Jahrhunderte: Katalog einer Ausstellung. [Ausstellung im Winterrefektorium des Klosters Bebenhausen vom 20. Juni bis 21. Juli 1996] / Hermann Grees unter Mitwirkung von Rolf Beck und Hans-Joachim Rosner. Tübingen: Geographisches Institut, 2002. UB-Signatur: 42 B 323.

Schwäbische Lebensbilder. Jg. 5.1950. Darin: Friedrich August Tscherning. S. 379-394. 
UB-Signatur: L XVI 446-5:1.

Tübinger Blätter. Jg. 5.1902. Darin: Tscherning: Grenze des Klosterwalds von Bebenhausen, S. 11-17. UB-Signatur: L XV 198-5.1902.

Tübinger Blätter. Jg. 61.1974. Darin: Kazmaier, Martin: Ruhesitz erlauchter Gäste, S. 33-43. UB-Signatur: L XV 198-61.1974.

Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde. 1890/91. Darin: Regelmann, C.: Das Altwürttembergische Forstkartenwerk des Kriegsrats Andreas Kieser, S. 185-224. UB-Signatur: L I d-1892 oder Digitalisat der BSB.