Urgeschichte und Naturwissenschaftliche Archäologie

Preisverleihungen

1999 Preisträger: Dr. Jacobo Weinstock

Zum ersten Mal vergibt die Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie des Instituts für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters an der Universität Tübingen in diesem Jahr den ROMINA-Förderpreis für Eiszeitforschung. Verliehen wird der Preis für Arbeiten zur eiszeitlichen Archäologie und Quartärokologie. Die Reutlinger Firma Romina-Quellen Mineralbrunnen hat die neue Auszeichnung, die mit 10 000 Mark dotiert ist, gestiftet. Innovative Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlern sollen mit dem jährlichen Preis ausgezeichnet werden: Das Institut für Ur- und Frühgeschichte und die Stifterfirma wollen damit neue Impulse in der Eiszeitforschung anregen und den Austausch mit ideenreichen Nachwuchskräften nachhaltig fördern.

Erster Romina-Förderpreisträger ist der Wissenschaftler Dr. Jacobo Weinstock-Arenovitz vom Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart. Die fünfköpfige Jury würdigte damit seine Dissertation "Late Pleistocene Reindeer Populations in Western and Central Europe. An osteometrical study of Rangifer tarandus." Die Arbeit befaßt sich unter anderem mit der ökologischen und ökonomischen Bedeutung des Rentiers in Europa in der Zeit zwischen 130 000 und 10 000 v.Chr.. Die Wanderung der Herden und die unterschiedliche Nutzung der Tiere durch altsteinzeitliche Jäger stehen dabei im Zentrum.

Weinstock-Arenovitz´ Untersuchung von Knochenserien zeigt zudem - entgegen der vielzitierten, traditionellen Bergmannschen Regel - Zusammenhänge zwischen Umweltbedingungen und Körpergröße der Tiere. Aufgrund der neuen Ergebnisse können bisherige Modelle zur Wanderung der Rentiere gegen Ende der letzten Eiszeit verworfen werden. Die Forschungsarbeit war in diesem Jahr bereits mit dem Promotionspreis der Universität für die beste Dissertation der Geowissenschaftlichen Fakultät prämiert worden.

2000 Preisträgerin: Dr. Sandrine Costamagno

Den ROMINA-Förderpreis für Eiszeitforschung erhält am heutigen Nachmittag Dr. Sandrine Costamagno für ihre 1999 abgeschlossene Dissertation "Stratégies de chasse et fonctions des sites au Magdalénien dans le sud de la France". In dieser Arbeit beschäftigt sich Costamagno mit Jagdstrategien und der Funktion altsteinzeitlicher Fundstellen während des sogenannten Magdalénien (16.000 bis 10.000 v. Chr.). Diese Epoche gilt als Höhepunkt eiszeitlicher Jägerkulturen. Sandrine Costamagno konnte aufzeigen, daß entgegen bisheriger Hypothesen die von ihr analysierten Lager- und Jagdplätze keine besondere Dominanz eines bestimmten Jagdtieres aufweisen. Sie hat damit langjährig bestehende Lehrmeinungen über Jagdspezialisierung revidieren können und einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Lebensweise unserer eiszeitlichen Vorfahren geleistet.

2001 Preisträgerin: Dr. Lynn E. Fisher

Ausgezeichnet wird mit dem Preis Fischers Dissertation, die sie an der University of Michigan in der Tübinger Partnerstadt Ann Arbor eingereicht hat. Sie untersucht darin die mobilen Jäger- und Sammlerkulturen in Südwestdeutschland im Zeitraum von 16.000 bis 8.000 Jahre vor heute. Kernfrage ist dabei, in welcher Weise sich die Wildbeuter auf die sich stark ändernden Klima- und Umweltbedingungen der Späteiszeit und frühen Nacheiszeit eingestellt haben. Um diesen Anpassungsprozess herauszuarbeiten, untersuchte Fischer technologische Entwicklungen, Fragen der Landschaftsnutzung, der Rohmaterialbeschaffung und der Wanderbewegungen. Auf die Tatsache, dass größere Jagdtiere damals im südlichen Mitteleuropa immer seltener wurden, mussten unsere eiszeitlichen Vorfahren durch höhere Mobilität, andere Siedlungsweisen und vor allem die Entwicklung präziserer und effektiverer Jagdwaffen, wie zum Beispiel Pfeil und Bogen, reagieren.

2002 Preisträger: Dr. Olaf Jöris

Träger des Tübinger Förderpreises für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie, mit 5000 € dotiert und von der Firma ratiopharm, Ulm, gestiftet, ist in diesem Jahr Dr. Olaf Jöris. Nach drei internationalen Preisträgerinnen und Preisträgern reiht sich damit erstmals ein nationaler Wissenschaftler in die Liste der Preisträger ein.

Die Dissertation befasst sich mit den in den 60er Jahren des 20. Jhs. am sogenannten Oberen Fundplatz in Buhlen in Nordhessen ausgegrabenen archäologischen Funden. Es handelt sich dabei zusammen mit dem unmittelbar benachbarten Unteren Fundplatz um einen der bedeutendsten Fundplätze für die Zeit des späten Neandertalers vor etwa 60-90.000 Jahren in Mitteleuropa. Am wichtigsten sind innerhalb der komplexen Schichtenfolge die Funde der sogenannten Keilmessergruppe, deren Werkzeugspektrum vor allem durch die namengebenden Keilmesser gekennzeichnet ist. Es gelang Jöris in zahlreichen Fällen, durch Zusammenfügen der Werkzeuge mit ihren Herstellungsabfällen die ‚Lebensgeschichte’ solcher Stücke zu rekonstruieren. Er konnte dabei zeigen, dass die Keilmesser ihre Form im Laufe der Verwendungsdauer z.T. erheblich verändern und revidierte damit seit den 60er Jahren des 20. Jhs. bestehende chronologische Gliederungsschemata, die auf der unterschiedlichen Form der Keilmesser basieren.

2003 Preisträgerin: Dr. Natalie D. Munro

Die Preisträgerin des fünften Tübinger Förderpreises für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie ist Prof. Natalie Dawn Munro, Ph.D., von der University of Connecticut. Der Preis wurde im Rahmen einer Feierstunde am 6. Februar 2003 verliehen. Frau Prof. Munro wird für ihre wissenschaftlichen Untersuchungen ausgezeichnet, die sich mit der Nutzung tierischer Ressourcen am Übergang von der letzten Kaltzeit in die derzeitige Warmzeit im Vorderen Orient beschäftigen. Der fruchtbare Halbmond, das Gebiet, das sich vom heutigen Israel in einem großen Bogen um Mesopotamien herum bis nach Südwest-Persien erstreckt, ist das Ursprungsgebiet der bäuerlichen Wirtschaftsform. Da diese Wirtschaftsform die Grundlage unserer heutigen Kultur ist, steht ihre Entstehung seit 50 Jahren im Zentrum wissenschaftlicher Anstrengungen. Die Entschlüsselung der Vorgänge, die vor mehr als 10.000 Jahren zum Ackerbau und zur Entwicklung der Viehzucht geführt haben, ist eine besondere Herausforderung für die Urgeschichte. Die Untersuchungen an Tierknochenfunden aus späteiszeitlichen Fundstellen in Israel leiten einen wesentlichen Beitrag zu diesen Forschungen.

2004 Preisträgerin: Dr. Marie Soressi

Preisträgerin des Tübinger Förderpreises für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie ist dieses Jahr die Französin Dr. Marie Soressi vom renommierten „Institut de Préhistoire et de Géologie du Quaternaire“ der Universität Bordeaux. Der von der Firma ratiopharm gestiftete Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und wird nun zum sechsten Mal verliehen.

Dr. Marie Soressi erhält den Preis für ihre Dissertation über die Technologien der Steinbearbeitung der Neandertaler aus der Kultur des „Moustérien de tradition acheuléenne“, kurz MTA. Sie gehören zu den letzten ihrer Art in Europa und lebten in der ersten Hälfte der letzten Eiszeit, vor etwa 40.000 – 50.000 Jahren. Dr. Marie Soressi ist es gelungen, durch minutiöse Analyse von vier Inventaren aus der Dordogne eine innere Gliederung dieser Kultur herauszuarbeiten, sie von anderen, gleichzeitig existierenden Kulturen abzugrenzen und eine Verbindung zum Châtelperronien herzustellen, einer Kultur der allerletzten Neandertaler in Westeuropa. Fragen über eine mögliche Beeinflussung des Neandertaler durch den anatomisch modernen Menschen können nur durch eine detaillierte Kenntnis der Technologie der letzten Neandertaler näher beleuchtet werden. Zu dieser Problematik hat Marie Soressi einen bedeutenden Beitrag geleistet.

2005 Preisträger: Dr. Nicolas Teyssandier

In diesem Jahr wird der Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie zum siebten Mal verliehen. Der diesjährige Preisträger ist Dr. Nicolas Teyssandier von der Abteilung „Préhistoire et Technologie“ des CNRS in Nanterre bei Paris, einer der renommiertesten Forschungseinrichtungen zur Archäologie der Altsteinzeit in Frankreich. Der Preis, der von der Firma ratiopharm gestiftet wird, ist mit 5000 Euro dotiert und damit die höchstdotierte jährlich verliehene Auszeichnung dieser Art für Archäologen.

In seiner nun preisgekrönten Dissertation geht Nicolas Teyssandier (Jahrgang 1974) den frühesten Spuren des Aurignacien in Europa nach, einem etwa 28-40.000 Jahre alten Kulturkomplex, der vor allem nach Funden aus Südwestfrankreich definiert wurde und gemeinhin mit den ersten anatomisch modernen Europäern in Verbindung gebracht wird. In der Diskussion spielen Funde aus dem westlichen und östlichen Mitteleuropa, speziell auch von der Schwäbischen Alb, eine Schlüsselrolle. Teyssandier kann zeigen, dass das Aurignacien im engeren Sinne nicht die einzige Erscheinung im fraglichen Zeitraum ist, sondern dass auch andere Traditionen zeitgleich existierten, wie zum Beispiel das so genannte Protoaurignacien, das unter anderem in Norditalien sowie in Süd- und Südostfrankreich anzutreffen ist. Eine weitere Tradition findet sich vor allem auf dem Balkan. Mit seiner Synthese liefert der Preisträger einen wichtigen Beitrag für das Verständnis der Übergangsphase, in welcher die Neandertaler in Europa durch anatomisch moderne Menschen abgelöst wurden.

2006 Preisträgerin: Dr. Shara E. Bailey

Die Preisträgerin Shara Bailey lehrt als Assistant Professor am Department of Anthropology der New York University. Sie forscht dort als Mitglied des renommierten Center for the Study of the Human Origins. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Paläoanthropologie. Dabei beschäftigt sie sich mit der Unterscheidung verschiedener Menschenformen ab ca. 500 000 Jahren vor heute anhand von Zahnfunden. Hauptthema ihrer Forschung ist die Unterscheidbarkeit von Neandertalern und anatomisch modernen Menschen anhand der Beschaffenheit ihrer Zähne.

Shara Bailey wurde mit dem Förderpreis gewürdigt für ihre Arbeit über die Frage, ob Neandertaler zu unseren Vorfahren zu rechnen sind oder der moderne Mensch sich von Neandertalern unabhängig in Afrika entwickelte. Die US-Amerikanerin untersuchte dazu Zahnreste früherer Menschenformen und verglich deren Maße und verschiedene Merkmale wie z.B. Höckerformen. Bailey konnte nachweisen, dass die Zähne von Neandertalern und späteren anatomisch modernen Europäern die geringste Ähnlichkeit aufwiesen und bestätigte damit unabhängig von genetischen Ergebnissen, dass Neandertaler nicht zu unseren Vorfahren zählen. Gleichzeitig bietet die von Bailey weiterentwickelte Methode eine Basis, um künftig auch einzelne Zahnfunde eindeutig einer Art zuzuordnen. Die Bestimmung bislang nicht identifizierter Menschenreste hilft, das Verschwinden der Neandertaler und die Ankunft des anatomisch modernen Homo sapiens in Europa räumlich und zeitlich besser zu verstehen

2007 Preisträgerin: Dr. Sonia Harmand

Der neunte Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie wurde 2007 an Dr. Sonia Harmand (Jahrgang 1974) vom Laboratoire de Préhistoire et Technologie am Maison de l’Archéologie et de l’Ethnologie der Université de Paris X – Nanterre verliehen.

Seit den späten 1990er Jahren hat sich Frau Harmand mit der Archäologie Afrikas und insbesondere der frühen kulturellen Entwicklung des Menschen beschäftigt. Sie hat seither an zahlreichen wichtigen Ausgrabungen in Kenia teilgenommen und diese zum Teil geleitet. Ihre Forschungen konzentrieren sich auf die frühesten Perioden der Menschheitsgeschichte zwischen 2,5 und 0,7 Millionen Jahren vor heute. Im Zentrum steht für sie dabei das Verständnis der geistigen Fähigkeiten der ersten Hersteller von Steingeräten. Diesen versucht sie in ihrer Dissertation mit dem Titel „Matières premières lithiques et comportements techno-économiques des homininés plio-pléistocènes du Turkana occidental, Kenya“ (Steinerne Rohmaterialien und techno-ökonomisches Verhalten plio-pleistozäner Homininen von West-Turkana, Kenia) auf die Spur zu kommen durch Untersuchungen des techno-ökonomischen Verhaltens von Vormenschen, das in archäologischen Hinterlassenschaften konserviert ist.

2008 Preisträger: Dr. Charles P. Egeland

Der zehnte Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie wurde am 07. Februar 2008 an Dr. Charles P. Egeland, der an der Wisconsin Historical Society in Madison tätig ist, verliehen. Der Preis, der von der Firma ratiopharm gestiftet wird, ist mit 5.000 Euro dotiert und damit der höchstdotierte jährlich verliehene Preis dieser Art für Archäologen.

Charles P. Egeland erhält den Preis für seine 2007 an der Indiana University, Bloomington abgelegte Dissertation. Er untersucht darin sechs archäologische Fundstellen der berühmten Olduvai-Schlucht in Tanzania. Er wendet dabei einen völlig neuartigen Untersuchungsansatz an, der bei bisherigen Forschungen noch nicht zum Tragen kam. Sein Ziel ist es aufzuzeigen, inwieweit der Mensch an der Bildung der Fundstellen beteiligt war und wie sich seine Strategien zur Nahrungsbeschaffung in Konkurrenz zu großen Fleischfressern entwickelt haben. Grundlage für Egelands Arbeit sind die Überreste von Tierknochen an den Fundstellen, die er hinsichtlich des Spektrums der Beutetiere, der Bruchmuster, Biss-, Schnitt- und Verdauungsspuren untersucht. So kann er den Einfluss von Großkatzen und Hyänen auf die Fundanhäufung rekonstruieren und diese mit menschlichen Aktivitäten vergleichen. Aus der frühen Phase zwischen 1,9 und 1,7 Millionen Jahren sind vor allem Fressplätze von Großkatzen überliefert mit wenig menschlicher Konkurrenz. Die Hinweise auf ein Vertreiben der Jäger von der Beute und eine weitere Zerlegung der Kadaver durch Menschen sind gering. In der späteren Phase bis 1,2 Millionen Jahre lassen sich Verhaltensänderungen feststellen. Menschen brachten zunehmend Teile von Tieren zu den Lagerstellen und zerlegten sie dort weiter. Hyänen waren dabei die Hauptrivalen, die den Menschen die Beute streitig machten. Die Untersuchung feiner Zerlegungsmerkmale an Knochen durch Charles Egeland erlaubt einen tiefen Einblick in die Entwicklung des Verhaltens früher Menschen und ihrer Rolle in der ostafrikanischen Umwelt.

2009 Preisträgerin: Dr. Daniela Holst

Am 07. Mai 2009 wurde in den Fürstenzimmern auf Schloss Hohentübingen zum elften Mal der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie verliehen. Preisträgerin des Jahres 2009 ist Frau Dr. Daniela Holst, die am Museum für die Archäologie des Eiszeitalters, Forschungsbereich Altsteinzeit des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz mit Sitz auf Schloss Monrepos in Neuwied tätig ist.

Daniela Holst wird für Ihre Dissertation mit dem Titel ‚Subsistenz und Landschaftsnutzung im Frühmesolithikum: Nussröstplätze am Duvensee‘ ausgezeichnet, mit der sie im Februar 2008 an der Johannes Gutenberg Universität Mainz promoviert wurde. Duvensee in Schleswig-Holstein wurde 1924 erstmals ausgegraben; weitere Grabungen zwischen den 1960er Jahren und 2001 legten ein umfangreiches Fundmaterial sowie unzählige Befunde frei. Die enorm große Fund- und Datenmenge verhinderte bisher eine detaillierte wissenschaftliche Aufarbeitung. In ihrer preisgekrönten Arbeit beschäftigt sich Daniela Holst mit dreien der so genannten ‚Wohnplätze‘ von Duvensee, den Wohnplätzen 6, 8 und 9, die in den 1970er und 1980er Jahren ausgegraben wurden und in die Zeitspanne zwischen etwa 8000-9000 v.Chr. datieren, innerhalb dieser Spanne aber unterschiedlichen Phasen angehören. Besonders auffallend und charakteristisch an diesen Fundstellen sind Röststellen für Haselnüsse. Durch die unterschiedliche Zeitstellung lassen sich etwaige Veränderungen in der Landschaftsnutzung vor dem Hintergrund des früh-nacheiszeitlichen Landschaftswandels sichtbar machen.

Die Untersuchung ist in mehrere Schwerpunktbereiche gegliedert. Basis für weitere Interpretationen bildet eine Detailanalyse der Artefaktherstellung, vor allem der Klingentechnologie. Solche Analysen liegen für das frühe Mesolithikum bisher nicht vor, so dass die Ergebnisse Referenzcharakter für zukünftige Forschungen haben. Ein zweiter Schwerpunkt sind die räumlichen Untersuchungen, die eine Rekonstruktion des Siedlungsgeschehens auf den Fundstellen ermöglichen, insbesondere der Nutzung und Verarbeitung von Haselnüssen als Nahrungsressource. Anhand ihrer Untersuchungen in Duvensee kann Daniela Holst nachweisen, welch hohen Stellenwert pflanzliche Nahrung im Mesolithikum gehabt hat, und dass gerade die mesolithische Ökonomie und Landschaftsnutzung ganz spezifische Züge aufweisen, die sie sowohl vom vorhergehenden Paläolithikum als auch vom folgenden Neolithikum abheben. Holst arbeitet auch heraus, dass es sich bei den so genannten ‚Wohnplätzen‘ von Duvensee wohl gar nicht um Wohnstellen im Sinne von Basislagern handelt, sondern viel mehr um saisonal genutzte, spezialisierte Arbeitsplätze im Zusammenhang mit der Verarbeitung von Haselnüssen. Zu der großen Bedeutung pflanzlicher Ressourcen und dem speziellen Charakter der Befunde aus Duvensee passt die Tatsache, dass die mesolithische Besiedlung an dieser Stelle mit dem (klimatisch bedingten) drastischen Rückgang der Hasel um etwa 6200 v.Chr. abbricht.

Bei ihren Untersuchungen wendet Daniela Holst modernste Analysemethoden an und nutzt dabei auch die vielfältigen Möglichkeiten Geographischer Informationssysteme (GIS). Auf diese Weise gelingt ihr ein hoch-innovativer Ansatz, der die von ihr erzielten Ergebnisse überregional bedeutsam werden lässt und Duvensee zu einer Referenzfundstelle für die moderne Mittelsteinzeitforschung macht.

2010 Preisträger: Dr. Johannes Krause

Am 04. Februar 2010 wurde in den Fürstenzimmern auf Schloss Hohentübingen zum zwölften Mal der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie verliehen. Preisträger des Jahres 2010 ist Dr. Johannes Krause, der am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig tätig ist.

Mit Johannes Krause wird erstmals ein Wissenschaftler aus dem Bereich der Genetik ausgezeichnet. Er erhält den Preis für seine Dissertation mit dem Titel ‚ From genes to genomes: Applications for Multiplex PCR in Ancient DNA Research ‘, mit der er 2008 in Leipzig promoviert wurde. Innerhalb der Genetik-Forschung decken die Forschungen Krauses ein enorm breites Spektrum ab. Neben grundlegenden Beiträgen zur Analysemethodik stehen Arbeiten zu den Genomen von Mammuts, von Höhlenbären und von Menschenaffen, Untersuchungen über das Erbgut von Neandertalern und frühen anatomisch modernen Menschen und Arbeiten über die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen beiden Menschenformen. Ein deutlicher Schwerpunkt der Forschungen Krauses liegt dabei auf Genuntersuchungen an Neandertalern. So gehört er beispielsweise zu der Arbeitsgruppe, die das komplette Neandertaler-Genom entschlüsselt hat. Mit den Untersuchungen kann durch Vergleiche mit den Genomen von anatomisch modernen Menschen und Schimpansen gezeigt werden, dass die DNA-Sequenzen der Neandertaler und der modernen Menschen vor etwa 500.000 Jahren divergierten. Dies ist ein kaum hoch genug einzuschätzender Beitrag zur Klärung der Verwandtschaftsverhältnisse beider Menschenformen.

Die Forschungen, für die Johannes Krause ausgezeichnet wird, sind hoch innovativ und zukunftweisend und stellen ein Bahn brechendes Stück Grundlagenforschung dar. Auch wenn Krause aufgrund seines Alters von 29 Jahren noch als Nachwuchswissenschaftler bezeichnet werden kann, gehört er aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen bereits jetzt zu den etablierten Forschern auf seinem Gebiet.

2011 Preisträger: Dr. Héloïse Koehler

Die französische Historikerin Dr. Héloïse Koehler wurde Anfang Februar auf Schloss Hohentübingen mit dem Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie ausgezeichnet. Koehler erhielt den Preis für ihre Dissertation zum Mittelpaläolithikum, das in Europa vor mindestens 200.000 Jahren beginnt und vor etwa 35.000 Jahren endet. Diese Zeit wird insbesondere mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht. Für ihre Dissertation untersuchte Héloïse Koehler verschiedene Neandertalerfunde aus dem Pariser Becken.


Eine erste und überraschende Erkenntnis der Dissertation Koehlers liegt in der Beobachtung, dass die bislang das Fach dominierenden Lehrmeinungen zur Definition und Abgrenzung unterschiedlicher Einteilung der materiellen Kultur, wie beispielsweise Werkzeuge oder Geräte, auf unterschiedliche angewendete Analysemethoden zurückgeführt werden können. In ihrer eigenen Arbeit bei der von ihr analysierten mittelpaläolithischen Inventare fiel Héloïse Koehler auf, dass die Zuweisung eines Inventars zu einer bestimmten Raum-Zeit-Einheit von den angewendeten Analysekriterien und vor allem dem wissenschaftlichen Maßstab abhängt, nach dem die Recherchen durchgeführt werden. Dafür untersuchte sie Inventare der Neandertaler aus dem Pariser Becken. Ergebnis dieser Untersuchungen war, dass Ähnlichkeit und Unterschied von Objekten auch von der archäologischen Bestimmungsmethodik abhängig sind, woraus letztlich eine nur bedingte Vergleichbarkeit mit unterschiedlichen Methoden erzielter Ergebnisse resultiert. Die Arbeit der Preisträgerin regt damit zum Nachdenken über die Gültigkeit bislang vorgenommener Kategorisierungen angeblich unterschiedlicher Neandertalerkulturen an.


Der Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie wird von der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie des Instituts für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters der Eberhard Karls Universität Tübingen verliehen. Er wird von der Firma EiszeitQuell gestiftet und ist mit 5.000 Euro dotiert. In diesem Jahr wurde er zum 13. Mal verliehen. Der Preis ist der höchst dotierte jährlich vergebene Preis dieser Art für Archäologen.

Quelle: http://www.uni-tuebingen.de/aktuelles/newsletter-uni-tuebingen-aktuell/2011/1/forschung/11.html

Simona Steeger-Przytulla

2012 Preisträger: Dr. Britt Marie Starkovich

Die Universität Tübingen hat den 14. Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie an die US-Amerikanerin Dr. Britt Marie Starkovich verliehen. Die Wissenschaftlerin von der „School of Anthropology“ der Universität von Arizona wurde am 2. Februar für ihre Dissertation über Tierknochenfunde aus dem Mittel- und Jungpaläolithikum ausgezeichnet, mit denen sich die wandelnden Ernährungsgewohnheiten der Neandertaler und des frühen modernen Menschen nachvollziehen lassen. Der mit 5000 Euro dotierte Preis ist von EiszeitQuell gestiftet und der höchst dotierte jährlich vergebene Preis dieser Art für Archäologen.


Dr. Britt Marie Starkovich (Jahrgang 1981) wurde 2011 an der Universität von Arizona im Fach Anthropologie mit Schwerpunkt Archäologie promoviert. In ihrer Arbeit „Trends in Subsistence from the Middle Paleolithic through Mesolithic at Klissoura Cave 1 (Peleponnese, Greece)“ hatte sie mehr als 21.000 Tierknochen aus der Klissoura-Höhle 1 in Griechenland analysiert. Die Fundstelle ist von herausragender Bedeutung, weil sie eine Schichtenfolge von der Zeit der Neandertaler bis in die beginnende Nacheiszeit aufweist, aus der Zeit zwischen 80.000 und 10.000 vor heute.


In dem etwa 70.000 Jahre umspannenden Zeitraum wurde der Neandertaler durch anatomisch moderne Menschen abgelöst, auch änderten sich mehrfach die Klima- und Umweltbedingungen. Aufgrund der langen Nutzung der Höhle durch Menschen lässt sich aus der Fundstelle unter anderem nachvollziehen, wie sich die Strategien der Nahrungsbeschaffung veränderten. So konnte Starkovich zeigen, dass die Menschen im Mittel- und Jungpaläolithikum neben größeren Huftieren wie Damhirschen auch zunehmend kleinere und schnelle Beutetiere jagten, wie zum Beispiel Hasen. Die Wissenschaftlerin führt dies vor allem auf die wachsende Bevölkerung in Süd-Griechenland während des späten Eiszeitalters und in der frühen Nacheiszeit zurück, wie sie erklärt. Als Postdoc plant sie ähnliche Analysen an weiteren Grabungsstätten, in Griechenland sowie in anderen Ländern. „Mich interessiert das Gesamtbild der Entwicklung, mit der sich die Menschen an ihre Umwelt anpassten: Woher wir kommen und wie wir zu dem wurden, was wir sind.“

2013 Preisträger: Dr. Katerina Duoka

Zum fünfzehnten Mal wurde der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie verliehen, er ging in diesem Jahr an Dr. Katerina Douka von der Universität Oxford. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert und wird von der Firma Romina Mineralbrunnen GmbH gestiftet. Er ist damit der am höchsten dotierte jährlich vergebene Preis dieser Art für Archäologen.

Katerina Douka, 1981 in Griechenland geboren und Spezialistin für die C14-Datierung, erhielt den Preis für ihre Oxforder Doktorarbeit von 2011 über die Chronologie von Wanderungsbewegungen altsteinzeitlicher Menschen im mediterranen Raum anhand der Datierung von Schmuck aus Muscheln, Originaltitel: “Investigating the Chronology of the Middle to Upper Paleolithic Transition in Mediterranean Europe by Improved Radiocarbon Dating of Shell Ornaments”.

Doukas Arbeit stellt einen wichtigen Beitrag für die Archäologie der Eiszeit dar, da sie sowohl die Methodik der C14-Datierung weiterentwickelt, als auch Schlüsselfragen zu der Besiedlung Europas durch den modernen Menschen ab einem Zeitpunkt vor 40.000 Jahren behandelt. Douka stellt eine verbesserte Methodik für die Datierung von Muscheln vor, wie sie oft von Menschen der Altsteinzeit als Schmuck getragen wurden. Die Datierung von Meeresmuscheln ist besonders wichtig, da Muschelschmuck als Indiz für die Anwesenheit moderner Menschen gelten kann: an Fundplätzen früherer Menschenformen wie beispielsweise der Neandertaler kommt er nicht vor.

Mit ihrer Methode hat Dr. Douka Muschelschmuck von 14 bekannten Fundplätzen aus dem Libanon, der Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich untersucht. Diese Fundplätze sind wichtig für Archäologen, die die Einwanderungen moderner Menschen nach Europa in der Übergangsphase zwischen dem Mittel- und Jungpaläolithikum verstehen wollen. Vielen geläufigen Annahmen widersprechend, stellte Katerina Douka fest, dass die frühesten Muschelperlen in Westeuropa (Frankreich) zu finden sind und nicht, wie erwartet, im Nahen Osten. Sie konnte auch nachweisen, dass moderne Menschen eindeutig schon vor mehr als 36.500 Jahren in Westeuropa anwesend waren. Dies stärkt die Tübinger Hypothese, wonach der moderne Mensch Europa dem Donautal folgend rasch besiedelte, anstatt sich langsam von Ost nach West auszubreiten.

2014: Preisträger Dr. Kurt Rademaker

Der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie geht in diesem Jahr an Dr. Kurt Rademaker von der University of Maine. Er erhält den Preis für seine Forschung über spätpleistozäne Kolonisierungsrouten in den Anden, mit der er bewiesen hat, dass der Mensch sich früher als bislang angenommen an die harten Umstände in den Hochanden anpasste, um dortige Ressourcen zu nutzen.
Der mit 5000 Euro dotierte Preis wird von der Firma Romina Mineralbrunnen GmbH gestiftet und in diesem Jahr zum 16. Mal verliehen. Er ist der am höchsten dotierte, jährlich vergebene Preis dieser Art für Archäologen.
Die Preisverleihung findet am Donnerstag, den 6. Februar, um 11 Uhr an der Universität Tübingen in den Fürstenzimmern auf Schloss Hohentübingen statt.
Dr. Rademaker, geboren 1974 in Pittsburgh, hat an der University of Kentucky studiert. Hier sammelte er erste Erfahrungen im Bereich der Lateinamerikanischen Archäologie an Ausgrabungsstätten in Mexiko. An der University of Maine promovierte er 2012 zum Thema „Geoarchaeological investigations of the Wayñuna site and Alca obsidian source, Peru“ und ist dort derzeit als Gastprofessor tätig.
Rademaker hat alte Kolonisierungsrouten in den Anden (Peru) erforscht. Er konnte nachweisen, dass die frühen Südamerikaner regelmäßig durch die Gebirgszüge wanderten, trotz extremer Kälte, Vereisung und niedrigen Sauerstoff-Gehalts.
Die Forschung geht davon aus, dass die Einwanderung auf dem amerikanischen Kontinent vor rund 13.500 Jahren über die Beringstraße entlang der Küsten erfolgte. In einer der Ausgrabungsstätten entlang dieser Küstenwege, Quebrada Jaguay in Peru, wurden Steinwerkzeuge aus Alca-Obsidian entdeckt, einem vulkanischen Glas, das aus Lagerstätten oberhalb des Ortes Alca stammt. Diese Lagerstätten liegen mehrere hundert Kilometer entfernt auf 3000 Höhenmetern in den Anden. Rademaker machte sich auf die Suche nach möglichen Handelswegen, auf denen dieses Gestein an die Küste gelangt sein konnte. Dabei führte er monatelange Erkundungen und Ausgrabungen in den Anden durch. Auf einer Höhe von 4800 Metern entdeckte er unter dem Cuncaicha Felsschutzdach nahe einer Obsidianlagerstätte archäologische Ablagerungen, die auf ein Alter von 12.500 Jahren vor heute datiert werden konnten. Somit ist Cuncaicha der weltweit höchstgelegene Ausgrabungsort aus dem späten Pleistozän, der bislang entdeckt wurde. Dies beweist erstmals, dass die frühen Südamerikaner nicht nur die Küstenregionen besiedelten, sondern auch im Andengebirge unterwegs waren.

2015: Preisträger Dr. Adrián Pablos

Der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie geht in diesem Jahr an Dr. Adrián Pablos von der Universidad de Alcalá in Madrid. Er erhält den Preis für seine Forschung über die Morphologie des menschlichen Fußes in den vergangenen 800.000 Jahren. Damit dokumentierte er die Evolutionsprozesse dieses Körperteils seit der Eiszeit. Der mit 5000 Euro dotierte, jährlich vergebene Preis wird von der Firma Romina Mineralbrunnen GmbH gestiftet und in diesem Jahr zum 17. Mal verliehen. Er ist der höchstdotierte Preis dieser Art für Forschungsarbeiten in der Archäologie.

Dr. Adrián Pablos (geb. 1978 in Madrid) studierte zunächst Biologie und anschließend Paläontologie in Madrid. 2013 promovierte er mit einer „paläobiologischen und morphologischen Studie von Fußknochen in der menschlichen Evolution“. Er verwendete dafür hauptsächlich Funde aus der Sierra de Atapuerca nahe Burgos in Nordspanien, einer der größten eiszeitlichen Fundstätten weltweit. Dort wurden bis zu 800.000 Jahre alte menschliche Knochen gefunden wie auch zahlreiche Werkzeuge aus verschiedenen Entwicklungsstufen der Menschheit. „Die Arbeit von Adrián Pablos eröffnet neue Perspektiven der Interpretation, wie sich der Mensch im Pleistozän angepasst hat“, sagt Professorin Katerina Harvati vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen. Das Pleistozän umfasst das Eiszeitalter und endete etwa 12.000 Jahre vor heute. Die häufig kaum beachteten Fußknochen besäßen eine große Aussagekraft über die menschliche Entwicklung, so die Wissenschaftlerin. Pablos hat mehrere Hundert dieser Knochen aus einem Zeitraum bis zu 800.000 Jahre vor heute dokumentiert und analysiert. Seine Ergebnisse könnten zu einer wichtigen Referenz für Paläoanthropologen weltweit werden, sagt Harvati.


„Dieser Preis ist eine großartige Würdigung meiner Arbeit, aber auch des gesamten Atapuerca-Forschungsteams“, sagte der Preisträger. „Er motiviert uns, weiter zu graben und viele weitere, bisher unveröffentlichte Daten in den nächsten Jahren ebenfalls zu publizieren.“

2016: Preisträger Dr. Antonio Rodríguez-Hidalgo

Den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie erhält in diesem Jahr der spanische Archäologe Dr. Antonio Rodríguez -Hidalgo vom Catalan Institute of Human Paleoecology and Social Evolution (IPHES) in Tarragona. Der Wissenschaftler gilt als Spezialist im Bereich der Zooarchäologie, einer Disziplin der Archäologie, die sich mit den Überresten von Tieren beschäftigt. Anhand tierischer Knochen hat Rodríguez-Hidalgo in seiner Dissertation die Strategien früher Menschen zur Nahrungsbeschaffung vor über 400.000 Jahren rekonstruiert. Demnach setzten sie bei der Jagd auf eine komplexe Planung. Der mit 5000 Euro dotierte, jährlich vergebene Förderpreis wird vom Mineralbrunnen EiszeitQuell gestiftet und in diesem Jahr zum 18. Mal verliehen. Er ist der höchstdotierte Preis dieser Art für Forschungsarbeiten in der Archäologie.


Dr. Antonio Rodríguez-Hidalgo (geb. 1978) studierte zunächst Geschichtswissenschaft mit dem Fachgebiet Archäologie im spanischen Cáceres und dem italienischen Parma. Seinen Master in Quartärarchäologie und menschlicher Evolution absolvierte er 2008 in Tarragona. Schon seit 2003 ist er Teil des Ausgrabungsteams in der Sierra de Atapuerca nahe Burgos in Nordspanien, einer der größten eiszeitlichen Fundstätten weltweit. 2015 veröffentlichte er seine Dissertation über tierische Fossilien in der Sierra de Atapuerca – und was uns diese über die Frühmenschen verraten können. „Ich interessiere mich sehr für die Frühmenschen als Jäger, welche Tiere sie erbeutet, welche Strategien sie dafür angewandt und wie sie ihre Beute zerteilt haben“, sagt der Archäologe.


„Dr. Rodríguez-Hidalgo hat die bisher ältesten Belege für eine Art der Nahrungsbeschaffung gefunden, die wir als ‘menschlich‘ bezeichnen würden“, sagt Dr. Britt Starkovich vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment (HEP) an der Universität Tübingen. Dafür untersuchte er Tierknochen aus zwei Schichten der Gran Dolina, einer der Fundstellen der Sierra de Atapuerca, in der auch Fossilien des sogenannten Homo antecessor entdeckt wurden. In der älteren, 400.000 Jahre alten Schicht waren Knochen von rund 60 Bisons eingeschlossen, die durch menschliche Hand gestorben waren. Da das Alter der Tiere zum Todeszeitpunkt stark variierte, schloss Rodríguez-Hidalgo daraus, dass dort eine ganze Herde auf einmal in eine Art natürliche Falle getappt sein musste, die eine Gruppe von eiszeitlichen Jägern bewusst genutzt hatte. „Dies ist das älteste Beispiel eines solchen Verhaltens und es sagt uns, dass Frühmenschen bereits vor 400.000 Jahren eine abstrakte Planung, Technologie und soziale Fähigkeiten einsetzten, um an Nahrung zu gelangen“, so Starkovich. In der zweiten, 300.000 Jahre alten Schicht fand der Archäologe Hinweise darauf, dass die Stätte den Frühmenschen nun als Basislager gedient hatte und sie von dort ausgehend gezielt Rothirsche im besten Alter erbeutet hatten – ähnlich wie später auch der Neandertaler und der moderne Mensch.


Dr. Antonio Rodríguez-Hidalgo ist der zweite spanische Wissenschaftler in Folge, der an der Sierra de Atapuerca arbeitet und den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie erhält. 2015 wurde er Dr. Adrián Pablos für seine Arbeit über den menschlichen Fuß verliehen. „Der Preis ist für mich eine sehr wichtige Auszeichnung und eine großartige Anerkennung meiner Forschung“, sagt Rodríguez-Hidalgo.

2017 Preisträgerin: Trine Kellberg Nielsen

Den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie erhält in diesem Jahr Dr. Trine Kellberg Nielsen von der Universität Aarhus in Dänemark. Die Archäologin wird für Ihre Dissertation „Northern Neanderthals: A systematic assessment of the possibility of a pre-modern human occupation of southern Scandinavia” ausgezeichnet. Darin zeichnete sie die Diskussion darüber nach, ob Skandinavien auch schon in Warmzeiten vor der letzten Eiszeit besiedelt wurde.

Trine Kellberg Nielsen absolvierte 2008 ihren Bachelor am Department of Anthropology der Universität Aarhus. Für ihr Masterstudium wechselte sie an das „Department of Human Origins“ der Universität Leiden, Belgien. 2016 wurde sie in Aarhus promoviert, wo sie nun als Postdoc am „Centre for Biocultural History“ forscht. Im Jahr 2015 war sie für einen längeren Forschungsaufenthalt an der Universität Tübingen tätig, bei der Forschungsstelle „The Role of Culture in Early Expansions of Humans (ROCEEH) der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

Dass moderne Menschen Skandinavien rasch nach der letzten Eiszeit besiedelten, ist belegt. Über die Frage, ob es auch eine Besiedlung durch Neandertaler in einer früheren Warmzeit gab, entbrennen in Skandinavien immer wieder hitzige Diskussionen, meist anhand von Steingeräte-Funden durch Privatsammler. Nielsen hat das Thema aus verschiedensten Perspektiven beleuchtet: Sie verglich den möglichen Lebensraum in Südskandinavien in der sogenannten Eem-Warmzeit (Warmzeit vor 126.000-115.000 Jahren, benannt nach dem niederländischen Fluss Eem) mit den Ansprüchen von Neandertalern an ihren Lebensraum. Sie betrachtete die Steingeräte-Funde morphologisch und in ihrem wahrscheinlichen Fundkontext und bewertete die Möglichkeit einer Eem-zeitlichen Herkunft neu. Zudem entwickelte sie, unter anderem auf Grundlage der Nationalen Bohrloch-Datenbank Dänemarks, eine Karte möglicher Eem-zeitlicher Schichten. Unter anderem sichtete sie private Sammlungen, führte eigene Untersuchungen vor Ort durch und organisierte mit Freiwilligengruppen Feldbegehungen.

Ein unzweifelhafter Nachweis für eine frühe Besiedlung wurde dabei nicht gefunden ‒ offensichtlich war Südskandinavien vor der Eiszeit allenfalls ein sporadisch aufgesuchter Lebensraum. „Es ist aber das große Verdienst von Trine Kellberg Nielsen, eine hochemotionale Diskussion zwischen Amateur- und professionellen Archäologen auf ein breites neues wissenschaftliches Fundament ohne Polemik gestellt zu haben“, sagt die Archäologin PD Dr. Miriam Noël Haidle, Laudatorin und Wissenschaftliche Koordinatorin der Forschungsstelle ROCEEH. „Dabei hat sie die Potentiale beider Gruppen für die Frage gewinnbringend einbezogen.“

2018: Preisträger Dr. Frido Welker

Den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie erhält in diesem Jahr an Dr. Frido Welker von der Universität Kopenhagen. Er wird für seine Dissertation “From Bones to Proteomes: Gaining a biological understanding of the Middle to Upper Palaeolithic transition” ausgezeichnet. In dieser untersucht er archäologisches Material aus der Periode der letzten Neandertaler und der ersten modernen Menschen.

Frido Welker hat an der Universität Leiden (Niederlande) Archäologie studiert und absolvierte 2013 seinen Master in Bioarchäologie an der Universität York (Vereinigtes Königreich). Dort und am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo er auch als Postdoktorand tätig war, führte er seine Promotionsforschungen durch. 2016 wurde er in Leiden promoviert, seit 2017 forscht er im Natural History Museum der Universität Kopenhagen.

In der Zeit des Übergangs vom Mittelpaläolithikum (200.000 Jahre vor unserer Zeit) zum Jungpaläolithikum (40.000 Jahre vor unserer Zeit) löste der anatomisch moderne Mensch die Neandertaler ab. Bei archäologischen Funden aus dieser Zeit ist oft unklar ist, ob sie dem Neandertaler zuzuordnen sind oder eher dem anatomisch modernen Menschen, auch sind biologische Überreste von Hominiden selten erhalten. Frido Welker hat deshalb eine neue Methode entwickelt, mit der sich Funde aus archäologischen Schichten mittels charakteristischer organischer Moleküle einer der Menschenformen zuordnen lassen. Für eine Fundstelle des Châtelperronien konnte er so bereits eine Verbindung zum Neandertaler nachweisen. Das Châtelperronien in Südwestfrankreich und Nordspanien gilt als letzte archäologische Kultur, die mit dem Neandertaler in Verbindung steht. Sie gibt wichtige Aufschlüsse über Verhalten und Kognition des Neandertalers, aber auch über die Interaktionen zwischen den Menscharten und das Aussterben des Neandertalers.

2019: Preisträger Dr. Andrew Sorensen

Den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie erhält in diesem Jahr Dr. Andrew C. Sorensen von der Universität Leiden in den Niederlanden. Der aus den USA stammende Archäologe wird für seine Dissertation „Beyond Prometheus: Pursuing the origins of fire production among early humans” ausgezeichnet. Darin beschäftigte er sich mit der Frage nach der Feuerherstellung in Europa schon vor der Ankunft anatomisch moderner Menschen um 40.000 Jahre vor heute.

Andrew C. Sorensen absolvierte 2004 seinen Bachelor in Geologie und Geschichte am Cornell College in Mt. Vernon, Iowa, USA. Nach sechs Jahren praktischer Tätigkeit als Feldarchäologe und Geomorphologe an der University of Iowa wechselte er für ein Masterstudium in Paläolithischer Archäologie an die Faculty of Archaeology der Universität Leiden, das er 2012 beendete. 2018 wurde er dort promoviert und forscht seither als Postdoc im Rahmen der „Human Origins Group“.

Feuer ist bis heute eine bedrohliche und gleichzeitig faszinierend Urgewalt. Seine Kontrolle und erst recht die gezielte Herstellung waren wichtige Schritte auf dem Weg der menschlichen Entwicklung, heute gründet ein Großteil unserer Lebenswelt auf der Beherrschung von Energiequellen. Doch die Ursprünge dieses menschlichen Verhaltens liegen weitgehend im Dunkeln. Sorensen hat sich der Frage gewidmet, wann Menschen anfingen Feuer herzustellen. Sichere Hinweise gibt es in Europa nur für anatomisch moderne Menschen; häufig wird bezweifelt, dass auch Neandertaler in der Lage waren, Feuer herzustellen.

Sorensen hat diese Frage aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Er untersuchte kritisch die Annahme, Neandertaler hätten nur das Feuer von Blitzeinschlägen genutzt und auch dies nur selten, weil in der Eiszeit Gewitter weniger häufig vorkamen. Zudem entwickelte er mit einem Kollegen das computergestützte Model „fiReproxies“, mit dem sich bewerten lässt, ob erhitzte Steine ein Hinweis auf Feuernutzung sind, wenn sonstige Spuren für Feuerstellen fehlen.

Der wichtige dritte Teil seiner Arbeit war die Suche nach direkten Hinweisen auf die Herstellung von Feuer. Einer der frühesten Belege dafür war bislang eine Knolle aus dem Mineral Schwefelkies (auch Pyrit genannt) mit Gebrauchsspuren: Sie wurde in den ca. 40.000 Jahre alten Aurignacienschichten des Vogelherd gefunden, eine der 2017 als UNESCO-Welterbestätten ausgezeichneten Höhlen der Schwäbischen Alb. Teile steinzeitlicher Feuerzeuge wie diese Knolle sind allerdings in der Regel schlecht erhalten. Sorensen nahm sich daher Feuersteingeräte vor, die ergänzend zum Schlagen von Funken gedient haben könnten. Ein von ihm mitentwickeltes Modell geht davon aus, dass Neandertaler nicht bestimmte Werkzeugtypen als Feuerschläger benutzten, sondern Feuersteinstücke, die gerade zur Hand waren. Sorensen suchte hier nach mikroskopisch feinen Spuren und fand schließlich ‒ nach Rückschlägen ‒ an Steingeräten von Neandertalern geringe Überreste von Pyrit  sowie Gebrauchsspuren, die auf das Schlagen harter Mineralien zurückzuführen sind.

„Es ist das große Verdienst von Andrew Sorensen, mit verschiedenen neuen Ansätzen Bewegung in eine lange und festgefahrene Kontroverse gebracht zu haben“, sagt die Archäologin PD Dr. Miriam Noël Haidle, Laudatorin und Wissenschaftliche Koordinatorin der Forschungsstelle „The Role of Culture in Early Expansions of Humans“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. „Seine Herangehensweise bietet das Potenzial, Hinweise auf Feuerherstellung nicht nur bei Neandertalern während der letzten Eiszeit festzustellen, sondern Spuren möglicherweise auch noch in früheren Zeiten zu finden.

2020 Preisträgerin: Dr. Flavia Venditti

Der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie geht in diesem Jahr an Dr. Flavia Venditti von der Sapienza Universität in Rom. Die Italienerin wird für ihre Dissertation „The recycling phenomenon during the Lower Palaeolithic: the case study of Qesem Cave (Israel)“ ausgezeichnet. Darin untersucht sie die gezielte Herstellung kleiner Schneidgeräte aus unbrauchbar gewordenen größeren Geräten und deren vielfältige Verwendung vor 400.000 Jahren. 

Flavia Venditti hat an der Sapienza Universität in Rom Archäologie studiert und spezialisierte sich danach mit einem Master Course auf das Thema „Kulturerbe“. Dort schloss sie ihre Promotion mit Auszeichnung ab. Sie arbeitet heute an der Universität von Tel Aviv in Israel mit Professor Ran Barkai an der Fortsetzung des Themas ihrer Doktorarbeit an Werkzeugen der noch älteren Freilandfundstelle Revadim.

Recycling, also die Wiederverwertung von Abfall, ist keineswegs eine Erfindung des Industriezeitalters. Sowohl archäologische als auch historische Aufzeichnungen zeigen, dass es bereits in frühen Gesellschaften und Jäger- und Sammlerpopulationen gängige Praxis war. In den altpaläolithischen Schichten der Qesem-Höhle in Israel kann gezieltes Recycling bereits für den Zeitraum 420.000 bis 200.000 Jahre vor heute durchgehend nachgewiesen werden: Steingeräte, die in ihrer ursprünglichen Funktion nicht mehr nutzbar waren, wurden nicht weggeworfen, sondern dienten als Rohmaterial für die Fertigung kleiner, sehr scharfer Werkzeuge. 

Archäologen betrachteten diese in ihrer Form nicht besonders markanten Stücke lange Zeit als Notlösungen ‒ geschuldet einem Mangel an geeignetem Rohmaterial zur Herstellung ausgefeilter Werkzeuge. Die Arbeit von Flavia Venditti zeigt nun, dass die kleinen Abschläge ein gängiger und bedeutender Bestandteil des altsteinzeitlichen Werkzeugkastens in manchen Fundstellen waren. 

Unterschiedliche Gebrauchsspuren weisen auf die Verwendung der Recyclingprodukte hin. Für die Qesem-Höhle konnte die Preisträgerin die Bearbeitung vor allem von Fleisch, Häuten und Knochen beim Zerlegen von Tieren, aber auch von pflanzlichen Materialien wie Knollen belegen. Durch die besonders günstigen Erhaltungsbedingungen der Höhle blieben zudem Rückstände der bearbeiteten Materialien konserviert. Mithilfe mikroskopischer und chemischer Analysen, die im „Laboratory of Technological and Functional Analyses of Prehistoric Artefacts“ unter Leitung von Professorin Cristina Lemorini (Sapienza Universität Rom) durchgeführt wurden, konnten Überreste von Knochen, fleischlichem Gewebe und Fett nachgewiesen werden. In Experimenten eigneten sich die kleinen scharfen Geräte besonders zum Enthäuten von Jagdbeute und zum Zerschneiden der gesäuberten Häute. Die Untersuchung der Verteilung der unscheinbaren Artefakte in der Fundstelle weist auf eine deutliche räumliche Gliederung der Aktivitäten in unterschiedliche Bereiche der Höhle hin. 

„Flavia Venditti hat mit ihrem breiten Repertoire von Untersuchungsansätzen deutlich gemacht, wie viel bewusstes Handeln schon unseren Vorfahren vor 400.000 Jahren zu eigen war“, sagt die Archäologin PD Dr. Miriam Noël Haidle, Laudatorin und wissenschaftliche Koordinatorin der Forschungsstelle „The Role of Culture in Early Expansions of Humans“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. „Ihre Arbeit ist richtungweisend für ein besseres Verständnis einer zielgerichteten Ressourcennutzung in der Altsteinzeit, und es wird spannend, wie tief in der Vergangenheit sich Ähnliches mit ihren Methoden nachweisen lassen wird.“

2021 Preisträgerin: Dr. Anna Florin

Der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie geht in diesem Jahr an Dr. Anna Florin von der University of Queensland in Brisbane. Die Australierin wird für ihre Dissertation „Archaeobotanical investigations into 65,000 years of plant food use at Madjedbebe, Mirarr Country, northern Australia“ ausgezeichnet. Sie untersuchte 65.000 Jahre alte Pflanzenmakrofossilien, die in Madjedbebe in Nordaustralien gefunden wurden, um so Veränderungen in der Ernährung und Landnutzung der Menschen nachzuvollziehen. Sie zeigte in ihrer Arbeit, dass die ersten Menschen geschickte Sammler waren, die komplexe Verarbeitungstechniken für pflanzliche Lebensmittel beherrschten.

Anna Florin studierte an der University of Queensland in Brisbane Archäologie und promovierte dort auch. Sie ist derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin am ARC Centre of Excellence for Australian Biodiversity and Heritage an der University of Wollongong.

In ihrer Forschung setzten Florin und ihr Team Hochleistungs- Lichtmikroskopie und Rasterelektronenmikroskopie ein, um verkohlte Pflanzenreste aus alten Feuerstellen der Madjedbebe-Stätte zu analysieren. Es sind weggeworfene Reste von Mahlzeiten, die vor Zehntausenden von Jahren gekocht und geteilt wurden. Es zeigte sich, dass die Proben konservierte Reste von Früchten, Nüssen, Samen, Palmstämmen sowie Wurzeln und Knollen enthielten. „Für viele der gefundenen pflanzlichen Nahrungsmittel benötigte man viel Zeit und gute Kenntnisse für die Zubereitung“, erklärt Florin. Die Ergebnisse stellen frühere Theorien in Frage, die davon ausgingen, dass die frühen modernen Menschen sich mit möglichst wenig Aufwand ernährten und keine abwechslungsreiche Ernährung hatten.

Die in Madjedbebe gefundenen pflanzlichen Überreste deuten darauf hin, dass die ersten Australier geschickte Sammler waren und verschiedene Techniken anwandten, um sich von einer Vielzahl pflanzlicher Nahrungsmittel zu ernähren, von denen einige zeitaufwendig in der Zubereitung waren. „Der Fund ist so interessant, weil es weltweit kaum Nachweise für die Nutzung von Pflanzen in der Ernährung früher Menschen gibt”, sagt Florin. Es ist der früheste Nachweis für pflanzliche Nahrungsmittel, die Menschen außerhalb Afrikas oder des Nahen Ostens verzehrt haben. „Mit diesen Ergebnissen können wir nachvollziehen, was die ersten Australier aßen und wie sie sich in den vergangenen 65.000 Jahren an diese Umgebung anpassten.“

Florin arbeitete eng mit den Mirarr Aborigines zusammen, um sich über die heutige Nutzung der Pflanzen in der Region zu informieren. Das Fachwissen der Einheimischen über Pflanzen und Land ermöglichte es, die archäologischen Funde zu interpretieren. Mehrere der gefundenen Pflanzen mussten erst verarbeitet werden, um sie essen zu können. Dazu gehörte das mühsame Herauslösen der Pandanus-Nüsse aus ihren Schalen, das Schälen und Kochen von Wurzeln, Knollen und Palmen sowie das Stampfen des Palmkerns, um die essbare Stärke von den weniger verdaulichen Fasern zu trennen.

Die Fossilien von Madjedbebe geben Aufschluss über die damalige Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen. Dies umfasst einen langen Zeitraum, von der Nutzung der Region über zwei Glazialphasen, den Anstieg des Meeresspiegels bis hin zur Entstehung der berühmten Kakadu-Feuchtgebiete.

2022 Preisträgerin: Dr. Lucía Cobo-Sánchez

Dr. Lucía Cobo-Sánchez von der Universität Madrid hat den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie 2022 erhalten. Die Wissenschaftlerin wurde für ihre Dissertation „Taphonomic and spatial study of the archaeological site DS from Bed I in Olduvai Gorge (Tanzania)” ausgezeichnet. In dieser kombinierte sie klassische Tierknochenuntersuchungen mit Maschinenlernverfahren und konnte so zeigen, dass Menschen bereits vor 1,84 Millionen Jahren zu Planung, Kooperation und koordiniertem Handeln fähig waren.

In ihrer Dissertation behandelte Cobo-Sánchez die kontrovers diskutierten Fragen, inwieweit Menschen vor knapp zwei Millionen Jahren Fleisch aßen und wie sie es sich beschafften. Als Grundlage diente ihr der außergewöhnlich gut erhaltene Fundplatz David’s Site in der Olduvaischlucht in Tansania, an dessen Ausgrabung sie beteiligt war. Anhand der Knochen von Huftieren, Spuren ihrer Bearbeitung durch Menschen und räumlichen Verteilung untersuchte sie – unterstützt durch den Einsatz künstlicher Intelligenz – die Entstehung der Fundstelle.

Mit ihren Erkenntnissen konnte die Wissenschaftlerin zeigen, dass kleine bis mittelgroße Beutetiere im Ganzen zum Fundort gebracht und dort mithilfe zahlreicher Steingeräte zerlegt wurden. Es gibt wenig Anzeichen, dass sich fleischfressende Tiere an den Kadavern bedienten. Dies und der hohe Anteil junger erwachsener Tiere lässt Cobo-Sánchez darauf schließen, dass die Tiere gezielt aus dem Hinterhalt gejagt wurden.

Darüber hinaus bietet ihre Arbeit grundlegenden Einblick in das Sozialverhalten unserer frühen Vorfahren. Das wiederholte Aufsuchen des Ortes über einen Zeitraum von ein bis zwei Jahren weist auf eine Nutzung als zentralen Platz hin, an dem vermutlich die Nahrung geteilt wurde. Neben Jagdbeute transportierten die Menschen auch große Mengen Rohmaterial zur Herstellung von Steingeräten dorthin. „Offensichtlich prägten in dieser frühen Zeit bereits Planung, Kooperation und koordiniertes Verhalten das enge menschliche Miteinander“, sagt die Preisträgerin. Die große Zahl von Knochen- und Gerätefunden auf engem Raum zeigen jedoch ein Verhalten, das sich sehr deutlich sowohl von dem anderer Primaten als auch moderner Menschen unterscheidet.

Lucía Cobo-Sánchez studierte an den Universitäten Madrid und Tübingen Archäologie mit Schwerpunkt Vorgeschichte und Archäozoologie. Für ihren Master an der Universität Cambridge wählte sie den Studiengang “Human Evolutionary Studies“. Ihre Promotion in Vorgeschichte schloss sie 2020 an der Universität Madrid ab. Seit 2021 forscht sie an der Universität Köln in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Eleftheria Paliou und Dr. Tilman Lenssen-Erz im vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekt „Modellierung prähistorischen Jagdverhaltens“.

Der mit 5000 Euro dotierte Förderpreis für Urgeschichte und Quartärökologie ist von der Mineralwassermarke EiszeitQuell gestiftet und wurde in diesem Jahr zum 24. Mal vergeben.

Quelle: https://uni-tuebingen.de/universitaet/aktuelles-und-publikationen/newsletter-uni-tuebingen-aktuell/2022/1/forschung/7/

2023 Preisträgerin: Prof. Briana N. Doering

Der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie geht in diesem Jahr an Briana N. Doering, Juniorprofessorin an der Universität Wyoming, USA. Die Wissenschaftlerin wird für ihre Dissertation „Evaluating the Social and Environmental Processes of the Athabascan Migration“ ausgezeichnet. In dieser erforscht sie die Migration der indigenen Dene/Athabascan: Vor etwa 1500 Jahren hatten diese ihre Heimat in Alaska und Yukon verlassen und waren in den amerikanischen Südwesten ausgewandert. Briana Doering stellte eine neue These zu den Ursachen auf und bewies diese in gründlicher Kleinarbeit und unter der Anwendung verschiedener Methoden.

Briana N. Doering studierte am Barnard College der Columbia Universität (New York) den Bachelor Anthropologie und absolvierte an der Universität Michigan (Ann Arbor) den Master „Anthropologische Archäologie“. Dort schloss sie 2020 ihre Promotion ab und ist seitdem als Juniorprofessorin in der Abteilung Anthropologie an der Universität Wyoming tätig. Sie forscht in Alaska unter anderem an Fragen zu Migration, indigener Archäologie, Mensch-Tier-Beziehungen, räumlicher Organisation, Resilienz und Anpassung.

In ihrer Dissertation stellt die Archäologin eine neue These zur Migration der indigenen Dene/Athabascan auf, die durch archäologische, sprachliche, genetische und mündlich überlieferte Daten belegt ist. Lange war die gängige Meinung, diese Sprachgruppe hätten wegen eines Vulkanausbruchs ihre Heimat verlassen. Doering stellt in Frage, dass hier ein plötzliches dramatisches Umweltereignis zugrunde lag. Stattdessen ging sie von einem allmählichen Prozess aus, der durch soziale Faktoren ausgelöst wurde: eine wachsende Bevölkerung und eine Reorganisation von Gruppen im Zusammenhang mit der Verwandtschaftsstruktur.

2024 Preisträgerin: Dr. Paola Cerrito

Der Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie geht in diesem Jahr an Dr. Paola Cerrito von der Universität Zürich. Die Wissenschaftlerin erhält die Auszeichnung für ihre Dissertation “Histological and elemental markers of physiological stressors in hard tissues”. In dieser untersuchte sie, wie Ereignisse, die den Stoffwechsel beeinflussen wie Fortpflanzung, Wechseljahre und Veränderungen der Lebensgewohnheiten, dauerhaft im Skelett gespeichert werden. Dieses gilt als biologisches Archiv eines Menschenlebens. Übertragen auf fossile Menschenreste können so neue Einblicke in die Lebensgeschichten von Individuen und die Entwicklung menschlicher Besonderheiten gewonnen werden, wie beispielsweise ungewöhnlich kurze Geburtenabstände und eine verlängerte postreproduktive Lebensspanne.

Paola Cerrito (geboren 1990 in Italien) studierte Biologische Anthropologie an der Sapienza Universität Rom. Den gleichnamigen Masterstudiengang absolvierte sie an der Universität New York und wurde dort 2022 promoviert. Sie war Gastwissenschaftlerin an der Universität Genf, arbeitete als Postdoc an der ETH Zürich und seit August 2023 an der Universität Zürich. Ab Juli 2024 wird sie als Assistant Professor für Evolutionäre Anthropologie an der Duke Universität in Durham (USA) tätig sein.  

Cerrito forscht an der Frage, wie sich bestimmte Lebensmuster in der Evolution des Homo Sapiens ausgebildet haben: In welchem Alter wurden Frauen zum ersten Mal schwanger, in welchem Abstand gebaren sie Kinder, wie lange lebten sie nach der Menopause, und wie veränderte sich dies im Lauf der Zeit? Die Entwicklung solcher lebensgeschichtlichen Variablen lässt sich traditionell schwer untersuchen: Knochen und andere mineralisierte Gewebe werden hauptsächlich bereits in Kindheit und Jugend gebildet, so dass kaum Spuren von Ereignissen im Erwachsenenalter erhalten bleiben. 

Cerrito konzentrierte sich daher auf ein in dieser Beziehung wenig erforschtes Zahngewebe, den Wurzelzement, der die Zahnwurzel im Kiefer mitverankert. Das Besondere an diesem Zement ist, dass er sich während des gesamten Lebens des Individuums weiter in einer Art Jahrringen ablagert. Ausgehend von verbesserter histologischer Präparation und Bildgebungsverfahren untersuchte die Preisträgerin Proben von Menschen mit bekannter Lebens- und Krankengeschichte. Sie konnte zeigen, dass sich Ereignisse wie Geburten und Menopause im Zement feststellen und anhand der jährlichen Ablagerungen einem Lebensalter zuordnen lassen. 

Mit Synchrotonstrahlung an der ELETTRA SYRMEP-Beamline belegte sie, dass solche „histologischen Marker“ unter Verwendung von virtueller Histologie nachweisbar sind. Da dabei die Zähne nicht zerstört werden müssen, können so auch seltene fossile Menschenreste untersucht werden. In einer Pilotstudie wandte sie diese Methoden erstmals an Neandertalerzähnen aus Krapina (Kroatien; ca. 130.000 Jahre alt) und Zähnen früher Ackerbauern aus dem heutigen Serbien an. Allerdings sind die histologischen Marker unspezifisch, es lässt sich nicht zwischen Anzeichen einer Schwangerschaft oder Anzeichen der Menopause unterscheiden. 

Deshalb untersuchte Cerrito zusätzlich, welche chemische Signatur verschiedene lebensgeschichtliche Ereignisse am Skelett hinterlassen. Ziel der Forscherin ist es, sowohl die Evolution der typisch menschlichen Lebensgeschichte nachzuzeichnen sowie das Ineinandergreifen der dabei wirksamen Entwicklungsstränge zu verstehen, beispielsweise das Sozial- und Fortpflanzungsverhalten sowie die Notwendigkeit, vorhandene Nahrungsressourcen optimal auszuschöpfen.

Der mit 5000 Euro dotierte Förderpreis für Urgeschichte und Quartärökologie ist von der Mineralwassermarke EiszeitQuell gestiftet und wird in diesem Jahr zum 26. Mal vergeben. 

Quelle: https://uni-tuebingen.de/news-default/article/was-menschliche-fossilien-ueber-lebensgeschichten-verraten/