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Curiöses Gespräch im Reiche der Todten

Das Genre der Totengespräche, auch Dialoge der Toten genannt, erfreute sich im 17. und 18. Jahrhundert großer Beliebtheit. In diesen fingierten Dialogen treffen Verstorbene im Jenseits aufeinander, um ihre irdischen Taten, Überzeugungen oder Meinungen zu reflektieren. Ein Beispiel für diese Gattung ist das erstmals im Jahre 1741 anonym veröffentlichte Werk Curiöses Gespräch Im Reiche der Todten, Zwischen Der Päbstinn Johanna, Und Dem berühmten Friderico Spanhemio, Welcher die Wahrheit der Historie von dieser Päbstinn, in einem gelehrten Tractat, nachdrücklich behauptet hat, Bey Gelegenheit der, Von dem Herrn D. und P. Heumann, in Göttingen, A. 1739. herausgegebenen Dissertation: De origine vera traditionis falsae, de Joanna Papissa, an das Licht gegeben. Dieser ausführliche Titel fungiert bereits als Inhaltsangabe und führt die Protagonisten sowie die Absicht des Autors ein: Päpstin Johanna und der Theologe Friedrich Spanheim kommen aus Anlass einer kurz zuvor veröffentlichten Dissertation des Göttinger Theologen Christoph August Heumann im Totenreich zu einem Gespräch zusammen. Im UB-Besitz ist das schmale Werk mit 49 weiteren Stücken ohne inhaltlichen Zusammenhang in einem Sammelband eingebunden.

Das Gespräch zwischen der legendären Päpstin Johanna und dem Theologen Friedrich Spanheim dem Jüngeren (1632–1701) zeigt exemplarisch, wie das Totengespräch als Bühne für wissenschaftliche Diskurse genutzt wurde. In diesem Fall geht es um die Frage nach der historischen Existenz der sogenannten Päpstin Johanna, die im 9. Jahrhundert als Johannes VIII. den Heiligen Stuhl innegehabt haben soll. Seit den ersten nachweisbaren Zeugnissen über die Existenz der Päpstin im 13. Jahrhundert wurde sie bis in die heutige Zeit Gegenstand zahlloser Debatten. Die unterschiedlichen Versionen ihrer Lebensgeschichte haben zumeist gemein, dass Johanna als Mann verkleidet aufgrund ihrer großen Gelehrtheit zum Papst gewählt wurde, ihr wahres Geschlecht jedoch verriet, als sie während einer Prozession ein Kind gebar. Nachdem diese Berichte zunächst für wahr gehalten wurden, wurde die Existenz der Päpstin in nachreformatorischer Zeit zunehmend in Frage gestellt. Einerseits waren es gerade Protestanten, welche die Legende wissenschaftlich zu widerlegen suchten, andererseits diente sie im Konfessionsstreit der protestantischen Romkritik, da mit ihr sowohl die päpstliche Infallibilität wie auch eine seit Petrus durchgängige apostolische Sukzession bestritten werden konnten.

Hier reiht sich das vorliegende Werk thematisch ein. Es ist als Antwort auf die Widerlegung der Existenz Johannas in der Dissertation Christoph August Heumanns (1681–1764) zu verstehen. Heumann sieht die Geschichte um die Päpstin Johanna als Fabel an und vermutet deren Ursprung in einem den Frauen verfallenen Papst. Der anonyme Autor verfolgt in seinem Widerspruch auf dieses Werk eine Dreifachstrategie: so wird nicht nur der Text inhaltlich genutzt, um die Historizität der Päpstin argumentativ zu belegen, sondern auch die Form des Genres der Totengespräche, die Johanna selbst auftreten und sich gewissermaßen selbst verifizieren lässt. Zudem ist Johannas Gesprächspartner mit Friedrich Spanheim gleichzeitig ein wichtiger Fürsprecher für die Existenz Johannas, der selbst ein einflussreiches Werk über sie verfasst hatte. Dieses verteidigt er nun quasi posthum gegen Heumann. Der Autor selbst tritt anonym hinter seinen Darstellern zurück und lässt die beiden wohl an seiner Stelle sprechen. 

Dieses Vorgehen, welches den Protagonisten der Totengespräche die Bühne überlässt, ist nicht ungewöhnlich in dieser Textgattung und erlaubte es den Autoren, unerkannt in Kontroversen Stellung zu beziehen. Nachdem Heumann selbst wiederum auf das Totengespräch geantwortet hatte, erfolgte eine erneute Antwort des Autors der Totengespräche, dieses Mal jedoch unter Aufgabe seiner Anonymität in seiner eigenen Person als Johann Zacharias Gleichmann (1700-1758). Heute geht die Wissenschaft davon aus, dass es eine Päpstin Johanna als reale Person nicht gegeben hat.

Der Inhalt des Totengesprächs selbst widmet sich nach einer kurzen Einleitung und einem Vorgeplänkel zwischen Johanna und Spanheim, die sich „an dem Ufer desjenigen Flusses, welcher das glückselige Land, von dem Unseligen unterscheidet“, treffen, auch komplett diesem akademischen Diskurs. Während man sich viele interessante Fragen an die Päpstin vorstellen kann, so dient Johanna hier nur als Stichwortgeberin für Spanheims Argumente. Diese speisen sich aus der deutschen Übersetzung seines eigenen Werkes, die erst nach seinem Tod auf Grundlage der französischen Übersetzung des lateinischen Originals entstanden ist. Ohne eigene Fragen an Johanna legt er dar, warum die Päpstin Johanna keine „Chimäre“, also kein Hirngespinst ist, sondern ihre Existenz „in rerum naturam“ bewiesen werden kann. Als Belege werden unter anderem zeitgenössische Manuskripte des Anastasius Bibliothecarius († 879) herangezogen (entsprechenden Einträge haben sich mittlerweile als spätere Nachträge herausgestellt) und Zeugen benannt. Nach dem Ende der Argumentation wird die Päpstin Johanna von ihrem Aufseher wieder „an ihren Ort“ verwiesen, wobei offenbleibt, ob sie zu den Glückseligen oder Unseligen gehört…

 

Quellen in ihrer zeitlichen Abfolge

  • Spanheim, Friedrich: Merckwürdige Historie der Päbstin Johanna, aus des Herrn von Spanheim, Professoris der Academiae zu Leyden, Lateinischen Dissertation von dem Herrn L'Enfant gezogen, und von demselben nebst verschiedenen Anmerckungen des Herrn des Vignoles in Frantzösischer Sprache herausgegeben; nunmehro aber, wegen ihrer Vortrefflichkeit, aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzet, Franckfurth und Leipzig 1737.
  • Heumann, Christoph August: Dissertatio de origine vera traditionis falsae de Ioanna papissa, Gottingae 1739. 
    (Gh 845.4)
  • Curiöses Gespräch Im Reiche der Todten, Zwischen Der Päbstinn Johanna, Und Dem berühmten Friderico Spanhemio, Welcher die Wahrheit der Historie von dieser Päbstinn, in einem gelehrten Tractat, nachdrücklich behauptet hat, Bey Gelegenheit der, Von dem Herrn D. und P. Heumann, in Göttingen, A. 1739. herausgegebenen Dissertation: De origine vera traditionis falsae, de Joanna Papissa, an das Licht gegeben, 2. Auflage, Franckfurth und Leipzig 1744. (Ka I 600-1140)
  • Heumann, Christoph August: 48. Stück der Götting. Zeitungen von gelehrten Sachen, 1741, Jun., in Göttingische Zeitungen von Gelehrten Sachen auf das Jahr MDCCXLI., S. 410-415.
    Gleichmann, Johann Zacharias: Die Wahrheit Der Geschichte, Von der Päbstinn Johanna, Wieder die Recension Des Herrn Doct. Und Professoris Christoph Avgvst Heumanns, in Göttingen, Franckfurth u. Leipzig 1744. (Gh 845.4)

Literatur

  • Gössmann, Elisabeth (Hrsg.): Mulier papa. Der Skandal eines weiblichen Papstes. Zur Rezeptionsgeschichte der Gestalt der Päpstin Johanna, München 1994. (UB: 25 A 4755-5)
  • Paravicini Bagliani, Agostino: La papessa Giovanna. I testi della leggenda (1250-1500), Firenze 2021. (UB: 62 A 471)
  • Suitner, Riccarda: Die philosophischen Totengespräche der Frühaufklärung, Hamburg 2016 
    (Historisches Seminar: Hc e 10-37)