Universitätsbibliothek

Zwischen Wissenschaft und Sattel: Das Reitinstitut der Universität Tübingen

Zur Geschichte

„Gerade die günstige Lage des Tübinger Reitinstituts – wenige Schritte vom Hauptgebäude der Universität, in unmittelbarer Nähe mehrerer Institute und Kliniken, wozu in absehbarer Zeit noch die Bibliothek kommen wird – erleichtert den Studenten das Reiten ganz außerordentlich“ (Erich Heyfelder, Die Reitkunst auf den Deutschen Universitäten, 1909)

Die Reittradition in Tübingen reicht bis ins 16. Jahrhundert zurück. Bereits 1559 wurde das Collegium Illustre gegründet – eine Adelsakademie, die neben Leibesübungen wie Fechten, Tanzen und Ballspielen auch Reitunterricht anbot. Damals galt Reiten noch als Teil der Reitkunst und nicht primär als Fortbewegungsmittel. Die Einrichtungen des Collegiums waren jedoch ausschließlich dem Adel vorbehalten und blieben bürgerlichen Kreisen verschlossen.

Der frühneuzeitliche Reitunterricht am Collegium Illustre hatte das Ziel, die „Hohe Schule der Reitkunst“ zu vermitteln – also die kunstvolle und theoretisch fundierte Handhabung des Pferdes. Einen Eindruck davon gibt das Werk des Tübinger Stallmeisters Wolfgang Ernst von Berga: „Gantz neu-erfundene und durch langwiehrige Erfahrung mit grossem Nutzen practicirte Reit-Kunst“, erschienen 1725.

Das Reitinstitut der Universität Tübingen wurde 1819 mit der Bestellung eines Universitätsstallmeisters offiziell gegründet. Es entwickelte sich über die Jahrzehnte zu einer festen Einrichtung innerhalb der Universität und diente sowohl der körperlichen Ertüchtigung als auch der akademischen Ausbildung. 1837 entstand auf dem Gelände der heutigen Mensa zwischen Wilhelm- und Nauklerstraße ein neues Reithaus, das 1961 dem Neubau der Mensa weichen musste. 1877 wurde ein Marstall hinzugefügt, und 1885 wurde das Reitinstitut als eigenständige Institution etabliert. Die Pferde für den Unterricht stellte zunächst das Landgestüt Marbach, ab 1890 übernahmen die Stallmeister diese Aufgabe selbst.

Zwischen 1890 und 1941 wurde der Reitbetrieb als privatrechtlicher Wirtschaftsbetrieb der Stallmeisterfamilie Fritz weitergeführt. Der Universitätsstallmeister war nicht mehr staatlich angestellt, sondern in einem privatrechtlichen Dienstverhältnis tätig und musste Pferde sowie Inventar eigenständig bereitstellen. Der Erste Weltkrieg und die Inflation der 1920er Jahre brachten den Reitbetrieb zeitweise zum Erliegen. Dank des Engagements der Studierenden und des damaligen Institutsleiters Professor Köhler konnte das Reitinstitut im August 1923 wieder eröffnet werden. Trotz anhaltendem Interesse am Reiten konnten ab 1930 die Kosten nicht mehr durch Einnahmen gedeckt werden – das Institut wurde zum Zuschussbetrieb.

Wie schon im Ersten Weltkrieg wurden auch im Zweiten Weltkrieg alle Pferde zu Kriegszwecken eingezogen. Stallmeister Ernst Fritz gelang es jedoch, zehn Pferde leihweise zu organisieren, sodass der Reitbetrieb im August 1940 wieder aufgenommen werden konnte. 1941 wurde das Reitinstitut per Beschluss des Kultusministeriums als Abteilung dem Institut für Leibesübungen zugeordnet.

Mit dem Einmarsch der französischen Truppen 1945 wurde das Reitinstitut offiziell aufgelöst, und die Reithalle in der Wilhelmstraße diente als Gefangenensammelstelle. Doch schon bald nahmen französische Offiziere den Reitbetrieb wieder auf und gründeten die Société de Concours Hippique de Tübingen. Deutsche durften zunächst nur als Gäste teilnehmen. Am 29. März 1949 wurde schließlich die Tübinger Reitgesellschaft gegründet, die sich als Nachfolgerin des Universitätsreitinstituts versteht und sich für das studentische Reiten engagiert. Zunächst war sie Gast der französischen Garnison in der Wilhelmstraße. 1957 erfolgte die Rückgabe des Reithauses durch das französische Militär an das Land Baden-Württemberg, das die Anlage an die Reitgesellschaft vermietete. 1961 musste die Reitgesellschaft Abschied vom Reithaus in der Wilhelmstraße nehmen und fand ihre neue Heimat in Waldhausen. 

Archivische Überlieferung

Das Universitätsarchiv Tübingen verwahrt keinen eigenen Provenienzbestand zum Reitinstitut. Informationen zur Geschichte finden sich jedoch in verschiedenen Archivbeständen, darunter:

  • Akten des Akademischen Rektorats (UAT 117/656 und 977 sowie UAT 117 C/525 und 526)
  • Unterlagen des Bestands Universitätsturnanstalt / Institut für Leibesübungen (UAT 715/20-22)
  • Kassenbücher der Universitätskasse zur finanziellen Lage des Instituts (Bestände UAT 146 und 279)
  • Einzelne Schriftstücke aus dem Nachlass von Universitätsstallmeister Ernst Fritz (UAT 183/44)
  • Fotografien im Bestand UAT S 19.

Literatur

  • Biener, Hans: Studenten hoch zu Roß. Das Universitäts-Reit-Institut zu Tübingen. In: Tübinger Blätter 79 (1992/93), S. 26–27 (L XV 198)
  • Doeser, Thomas: Vom Adelsprivileg zum Volkssport. In: Tübinger Blätter 74 (1987), S. 85-86 (L XV 198).
  • Fritz, [Ernst]: Kurze Chronik des Tübinger Universitäts-Reitinstitut. In: Tübinger Chronik. Festausgabe zur 450-Jahrfeier der Universität Tübingen, S. 53–54 (AT 90/571).
  • Heyfelder, Erich: Die Reitkunst auf den deutschen Universitäten, Berlin 1909 (Ka I 268).
  • Köhler, Ludwig von: Das Universitätsreitinstitut. In: 450 Jahre Landes-Universität Tübingen. Sonderbeilage zum Schwäbischen Merkur Stuttgart vom 23. Juli 1927, S. 29–30 (L XV 79.2-AF).
  • Schwarz, O.: Tübingen und das Reiten. In: 450 Jahre Landes-Universität Tübingen. Sonderbeilage der Süddeutschen Zeitung vom 23. Juli 1927 (L XV 79.2-AF).