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29.03.2019
Neuer ERC Advanced Grant für den Sprachwissenschaftler Gerhard Jäger
Forschungsprojekt „CrossLingference“ verbindet historische Linguistik und linguistische Typologie
Professor Dr. Gerhard Jäger vom Seminar für Sprachwissenschaft der Universität Tübingen hat einen Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) eingeworben. Er erhält damit eine Förderung von 2,5 Millionen Euro über die nächsten fünf Jahre für sein Forschungsvorhaben mit dem Titel „CrossLingference“ – Cross-linguistic statistical inference using hierarchical Bayesian models. In dem Projekt will Jäger die historische Linguistik mit der linguistischen Typologie zusammenbringen. Der ERC unterstützt mit den Advanced Grants bahnbrechende und risikoreiche Forschungsansätze von etablierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit einer herausragenden Leistungsbilanz. „CrossLingference“ ist der zweite ERC Advanced Grant in Folge für Gerhard Jäger. Bereits 2013 hatte der Wissenschaftler eine Förderung für ein Projekt zur Erforschung der Sprachentwicklung erhalten.
Die historische Linguistik und die linguistische Typologie verfolgen beide das Ziel, die Variation bestimmter sprachlicher Phänomene wie etwa der Wortstellung über Einzelsprachen hinweg zu erklären. Ihre Forschungsansätze gehen jedoch weit auseinander: Die historische Linguistik befasst sich mit der Sprachgeschichte und strebt dabei eher tiefgehende Analysen an. Die Typologie dagegen nimmt Sprachen aufgrund gemeinsamer Merkmale in den Blick und forscht mehr in die Breite. Dieser Gegensatz spiegelt sich auch in statistischen und computerbasierten Modellen wider, die derzeit in den beiden Disziplinen angewendet werden. Computermodelle in der historischen Linguistik konzentrieren sich in der Regel auf den Sprachwandel in einzelnen Sprachfamilien, während die statistische Typologie diachronen Prozessen – Prozessen des Sprachwandels im Laufe der Zeit – wenig Beachtung schenkt.
Das Projekt CrossLingference möchte diese Lücke schließen. Professor Jäger wird dazu einen besonderen statistischen Ansatz nutzen, die Bayes'schen hierarchischen Modelle. Damit lässt sich die Reichweite der modernen phylogenetischen Linguistik, die sich mit der Entwicklung der Sprachfamilien von ihren Anfängen bis heute beschäftigt, auf familienübergreifende Modelle ausdehnen. Solche Modelle gehen davon aus, dass jede Sprachfamilie ihrer eigenen Dynamik folgt, sich aber in familienübergreifender Betrachtung nur eine begrenzte Zahl von Variationen entwickelt hat. Daten aus einer Sprachfamilie werden dann verwendet, um daraus Rückschlüsse auf die Prozesse in anderen Sprachfamilien zu ziehen. Diese modellbasierten Ansätze werden durch sogenannte agentenbasierte Computer-Simulationen ergänzt, die Abhängigkeiten von vielen individuellen Faktoren untereinander gut abbilden können.
Mit dem Forschungsansatz von CrossLingference will Gerhard Jäger sowohl die statistische Typologie als auch die rechnergestützte historische Linguistik nachhaltig weiterentwickeln. So sollen im Rahmen des Projekts fundierte Gesetze zur Sprachänderung formuliert werden, die eine automatisierte Rekonstruktion des Vokabulars prähistorischer Sprachstufen ermöglichen. Ein weiteres Ziel ist es, kausale Zusammenhänge zwischen typologischen Variablen zu identifizieren. Nicht zuletzt will Gerhard Jäger auch universelle Tendenzen, historische Kontingenzen und sprachliche Kontakte berücksichtigen, um Variationen bestimmter Sprachphänomene zu erklären.
Maximilian von Platen