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20.11.2014

Tübinger Forscher entdecken einen im Pflanzenreich weit verbreiteten Stickstoffsensor

Eine Erfindung der Evolution erweist sich als Erfolgsmodell

Subtropischer Regenwald in Südbrasilien: Stickstoff brauchen alle Pflanzen. Foto: Karl Forchhammer

Mengenmäßig ist Stickstoff einer der wichtigsten Nährstoffe für das Wachstum pflanzlicher Organismen – von einfachen Algen bis zu hochentwickelten Blütenpflanzen. Stickstoff ist für den Aufbau aller wesentlichen Zellbausteine nötig. Eine gute Versorgung führt zu einem schnelleren Pflanzenwachstum, daher wird Stickstoff häufig als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt. Zugeführter Stickstoff wird in der Pflanzenzelle in den Chloroplasten, dem Blattgrün, in Glutamin eingebaut. Dieser Stoff fungiert als zentraler Verteiler und speist den gebundenen Stickstoff in verschiedene Stoffwechselwege ein. Forscher aus der Arbeitsgruppe von Professor Karl Forchhammer vom Interfakultären Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin haben in einer Kooperation mit Dr. Marcus Hartmann vom Tübinger Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie und Kollegen der Universität St. Petersburg diesen zentralen Knotenpunkt genauer untersucht. Sie haben entdeckt, dass pflanzliche Organismen eine Art Stickstoffsensor besitzen, der über die Bindung von Glutamin an die sogenannten PII-Signalproteine die Menge des verfügbaren Stickstoffs ermittelt. So können die Pflanzen ihr Wachstum genau steuern.

PII-Signalprotein von Chlamydomonas reinhardtii. Die Q-Loop Fortsätze sind violett dargestellt, die Glutamin-Andockstellen grün. Abbildung: Karl Forchhammer

PII-Signalproteine aus Bakterien, die in der Arbeitsgruppe des Mikrobiologen Karl Forchhammer schon länger untersucht wurden, dienen dort als Regulatoren des Stoffwechsels. Bei der Untersuchung dieser Proteingruppe in der Grünalge Chlamydomonas stellte sich jedoch heraus, dass sie ihre Signalfunktion nur wahrnehmen konnte, wenn ausreichend Glutamin vorhanden ist. Bei einem hohen Glutaminspiegel stimulierte das PII-Protein in der Alge die Herstellung verschiedener anderer Aminosäuren, den Bausteinen der Proteine. Zusammen mit Marcus Hartmann erforschten nun die Mikrobiologen die räumliche Struktur der PII-Proteine aus der Alge: Sie verfügen im Vergleich mit den bakteriellen PII-Proteinen über einen zusätzlichen kleinen Fortsatz – von den Forschern Q-Loop genannt –, in den das Glutamin sozusagen eingewickelt wird. „Nur wenn dieser Fortsatz mit Glutamin beladen ist und dadurch das PII-Protein in die richtige Form bringt, kann es die weiteren Schritte im Stoffwechsel aktivieren“, erklärt Vasuki Chellamuthu, die Erstautorin der Studie.

Mikroskopische Bilder der einzelligen Grünalge Chlamydomonas reinhardtii. Fotos: Karl Forchhammer

Im nächsten Schritt wollten die Forscher herausfinden, ob die Grünalge Chlamydomonas diese Funktion speziell entwickelt hat oder ob sie sich auch bei anderen Lebewesen findet. Sie analysierten die genetischen Baupläne von PII-Proteinen vieler verschiedener Pflanzen, die in Datenbanken verfügbar sind, mithilfe bioinformatischer Methoden. „Es zeigte sich, dass der kleine Fortsatz am Ende der Proteinkette in allen pflanzlichen PII-Proteinen vorkommt, von Grünalgen über Moose bis hin zu Reis und anderen Blütenpflanzen“, sagen Marcus Hartmann und Karl Forchhammer. Nur in einer Pflanzenfamilie sei der Q-Loop-Fortsatz verkürzt: bei den Kreuzblütlern. „Kurioserweise gehört die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana, die in der Forschung häufig als Modellpflanze zur Klärung grundsätzlicher Vorgänge verwendet wird, in diese Familie und damit zu den Ausnahmen“, so die Forscher. Tatsächlich ist das entsprechende PII-Protein aus der Ackerschmalwand nicht von Glutamin abhängig. Setzten die Forscher im Laborversuch das fehlende Ende aus dem entsprechenden Algenprotein an, war die Reaktion auf Glutamin wieder hergestellt – ein weiterer Hinweis auf die Funktion des Q-Loops.

Das Moos Physcomitrella (links) hat es, die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana (rechts) nicht: das glutaminabhängige PII-Protein. Fotos: Karl Forchhammer

Wenn es gelänge, die PII-Proteine in Pflanzen gezielt zu verändern, könnte so die Bildung bestimmter Stoffwechselprodukte beeinflusst werden. „Ob die Entdeckung des Stickstoffsensors Bedeutung für die Pflanzenzüchtung erhalten wird, bleibt abzuwarten“, sagt Forchhammer. Schon jetzt bietet sie aber ein kleines Lehrstück in Sachen Evolution. Der Stickstoffsensor ist ein Beispiel dafür, wie neue Eigenschaften auf der Grundlage vorhandener Bauteile entstehen können: Bei den Chloroplasten handelt es sich ursprünglich um in die Zelle eingewanderte Cyanobakterien, die PII-Signalproteine ohne Fortsatz besaßen. Als die Notwendigkeit entstand, die Verfügbarkeit von Stickstoff für die Steuerung des Stoffwechsels direkt zu messen, wurde der Fortsatz angehängt und die Signalübertragung an den Glutaminspiegel gekoppelt. Diese Eigenschaft war so nützlich, dass sie auf alle Nachfahren des Pflanzenreichs vererbt wurde und – mit wenigen Ausnahmen – bis heute besteht.

Cyanobakterien: Synechocystis (links) und Anabaena sp. (rechts). Fotos: Karl Forchhammer

Originalpublikation:

Vasuki-Ranjani Chellamuthu, Elena Ermilova, Tatjana Lapina, Jan Lüddecke, Ekaterina Minaeva, Christina Herrmann, Marcus D. Hartmann, and Karl Forchhammer: A Widespread Glutamine-Sensing Mechanism in the Plant Kingdom. Cell, DOI 10.1016/j.cell.2014.10.015

Kontakt:

Prof. Dr. Karl Forchhammer
Universität Tübingen
Medizinische und Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät
Interfakultäres Institut für Mikrobiologie und Infektionsmedizin
Telefon +49 7071 29-72096
<link mail ein fenster zum versenden der>karl.forchhammer[at]uni-tuebingen.de

Dr. Marcus Hartmann
Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie
Telefon +49 7071 601-323
<link mail ein fenster zum versenden der>marcus.hartmann[at]tuebingen.mpg.de

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