Institut für die Kulturen des Alten Orients

Tontafelfunde aus Bakr Awa

Prof. Dr. Wiebke Meinhold
Projektlaufzeit: 2021-2023

Der Fundort Bakr Awa liegt in der autonomen Region Kurdistan im Nordosten des Irak zwischen den modernen Städten Sulajmanija und Halabdscha. Der Haupthügel erhebt sich bis zu 40 m über der Shahrizor-Ebene in den Ausläufern des Zagros-Gebirges. Umgeben ist er von einer ca. 800 × 600 m großen Unterstadt. Im östlichen Bereich der Unterstadt kamen 1960-61 bei Grabungen des irakischen Antikendienstes in einem großen Bauwerk der spätbronzezeitlichen Schicht 24 Tontafeln und Tontafelfragmente zu Tage. Weitere 17 Tontafeln fand 2013-14 ein Grabungsteam der Universität Heidelberg unter Leitung von Prof. Dr. Peter Miglus im Schutt, der wohl während Bauarbeiten an einem islamischen Gebäude (etwa 12.-13. Jh. n. Chr.) verlagert wurde. Aufgrund inhaltlicher Übereinstimmungen besteht die Möglichkeit, dass alle Textfunde ursprünglich ein und demselben Archiv entstammen, das aufgrund von Paläografie und C14-Datierung wahrscheinlich in das 15. Jahrhundert v. Chr. zu datieren ist.

Die Textfunde umfassen Verwaltungsurkunden, gesiegelte Bullen, eine Zeugenliste – vermutlich Teil einer Rechtsurkunde –, einen Brief, eine Hemerologie (Matouš 1961, Sumer 17, 17-66), Opferschauomina und -gebete sowie ein Fragment der Weidnerschen Götterliste, das deutlich ältere, evtl. archaisierende Zeichenformen aufweist.

In einigen Verwaltungsurkunden sind zahlreiche kleinere Ortschaften erwähnt, die unter der Aufsicht von Verwaltungsbeamten für die Feldbestellung im Umland von Bakr Awa verantwortlich waren und die Stadt mit Getreide versorgten. Der Haushalt, aus dem diese Urkunden stammen, war offenbar eine Verwaltungseinheit größeren Maßstabs, möglicherweise eine Herrscherresidenz. Dafür sprechen auch die Hemerologie und die Opferschautexte: Sie enthalten Herrschaftswissen, das uns regelmäßig als Bestandteil von Palast-, Tempel- oder Gelehrtenbibliotheken überliefert ist. Die Opferschautexte sind zudem dadurch interessant, dass sie neue Quellen zu der in Mesopotamien nur selten bezeugten Opferschautechnik anhand von Vögeln bieten.

Eine weitere Gruppe von Fragmenten verdient besonderes Augenmerk: Sie enthält Texte in hurritischer Sprache. Ihr Inhalt entzieht sich - bedingt durch Quellenlage und Forschungsstand zum Hurritischen - bislang noch dem Verständnis. Ihre Struktur aber deutet möglicherweise auf Texte literarischen Inhalts, da sie rhetorische Figuren wie Repetition und Chiasmus aufweisen. An der Bearbeitung der hurritischen Texte ist Prof. Dr. Gernot Wilhelm (Universität Würzburg) maßgeblich beteiligt.

Das Projekt hat die Edition und inhaltliche Erschließung aller Textfunde aus Bakr Awa zum Ziel. Bereits jetzt zeigt sich anhand des Textmaterials, dass sich Bakr Awa im Einflussbereich des hurritischen Reiches von Mittani befand. Das Formular der Urkunden findet jedoch auch deutliche Parallelen in Assur und Dur-Katlimmu. Sprache, Schrift und die Fragmente überlieferter Literaturwerke zeigen babylonischen Einfluss. Somit weist das Schrifttum aus Bakr Awa eine Mischung unterschiedlicher Einflüsse auf, was der Lage des Fundorts zwischen den Großreichen Babylonien und Mittani sowie dem später in Nordmesopotamien entstehenden Assyrien Rechnung trägt.