Zentrum für Islamische Theologie (ZITh)

Der Islam in der westlichen Gesellschaft

Die Ringvorlesung „Islamic Theology between Continuity and Change“


Von Redoine Baghdadi

Die Ringvorlesung „Islamic Theology between Continuity and Change“ wurde im vergangenen Wintersemester von Professorin Lejla Demiri organisiert. Hier hatten Studierende, Forscher und sonstige Interessierte die Gelegenheit, sich über neue Sichtweisen zum Themenkomplex „Islam im Westen“ zu informieren. Der in diesem Rahmen herausgearbeitete multiperspektivische Blick auf ein Thema, das auch die islamische Theologie in Deutschland betrifft, ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass die eingeladenen Sprecherinnen und Sprecher ihre Erfahrungen und Beobachtungen in anderen Regionen Europas bzw. auch in Übersee gemacht haben.

Der erste Gast war Prof. Enes Karić, der neben seinem Blockseminar "New Trends in Qur’anic Exegesis: Bosnian Readings of the Qur’an from 1878 until the Present Day" auch einen öffentlichen Vortrag zum Thema "Islamic Theology and the Challenges of the Modern World – The Bosnian Example" referiert hat. Lesen sie hierzu den ausführlichen Bericht im letzten ZITH-Newsletter.

Zu Gast war weiterhin Professorin Ingrid Mattson aus Kanada. Sie studierte an der University of Waterloo und an der University of Chicago, wo sie 1999 promoviert wurde. Ab 1998 lehrte sie als Professorin für Islamwissenschaft und christlich-muslimische Beziehungen am Hartford Seminary in Hartford (Connecticut). Von 2006 bis 2010 war sie Präsidentin der Islamic Society of North America und ist seit 2012 Professorin für Islamwissenschaften am Huron University College der University of Western Ontario in London (Ontario), Kanada. Prof. Mattson war auch eine der 138 UnterzeichnerInnen des offenen Briefes "Ein gemeinsames Wort zwischen Uns und Euch". Im Rahmen der Ringvorlesung sprach sie über die Situation des Islams und der Muslime in Nordamerika – insbesondere bezogen auf die USA. Sie hob die besondere Bedeutung eines dauerhaften Dialogs mit der nichtmuslimischen Gesellschaft hervor und beschrieb ihre eigene Erfahrung diesbezüglich während ihrer Amtszeit als Präsidentin der Islamic Society of North America. Die Besonderheit ihrer Amtszeit war es, dass die Ereignisse vom 11. September 2001 in etwa mit ihrem Amtsantritt zusammenfielen und dass gerade in den darauffolgenden Jahren dadurch die Bemühung um einen öffentlichen Dialog besonders gefragt war. Im Rahmen ihrer spannenden Ausführungen beschrieb sie ihr Konzept des Zusammenlebens von Muslimen und Nichtmuslimen, welches sie in Bezug auf die USA „The Theology of Freedom“ nennt. Die Geschichte des Islams und der Muslime in den USA verlief nämlich gänzlich anders als dies beispielsweise in Europa der Fall war. Islam war und ist, laut Mattson, schon immer ein fester Bestandteil der Geschichte ihres Landes und sie erläuterte, dass sogar die „Gründungsväter“ der Vereinigten Staaten sich u.a. auch von der Islamischen Lehre haben beeinflussen lassen. So garantiert die Verfassung der USA jedem seiner Bürger die Freiheit der Religionsausübung. Das Konzept der „Theology of Freedom“ lehnt Professor Ingrid Mattson sehr stark an diesen amerikanischen Kerngedanken an.

Der dritte Gast war Professorin Tala Jarjour, Musikethnologin an der Universität Notre-Dame im US-Bundestaat Indiana, die sich in ihrer Forschungsarbeit mit Musik aus der arabischen Welt und im Nahen Osten befasst. In ihrem Vortrag ging es um christliche und muslimische Sufi-Musik und die Sufi-Gesänge Syriens. Diese stellte sie zunächst im Vergleich vor und ging insbesondere auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Wechselbeziehungen ein. Sie hob dabei hervor, dass sich die Stile nicht nur hinsichtlich des Musikalischen ähneln, vielmehr gibt es auch deutliche Parallelen in den Texten und Inhalten der Gesänge, zumal sowohl die christlichen wie auch die muslimischen Lieder spirituelle Zwecke verfolgen. In ihrer aktuellen Forschung befasst sich Jarjour unter anderem mit Fragen der zeitgenössischen Modalität von Musiksystemen und in diesem Zusammenhang mit Fragen der Identität von Minderheiten.

In seinem Vortrag "Islamic Legal Discourse on Biomedical Ethics – Modern Challenges and (Un)traditional Responses" erörterte der vierte Gast, Dr. Mohammed Ghaly (Universität Doha in Katar), die religiös-ethischen Auswirkungen der atemberaubenden Palette der biomedizinischen Entdeckungen und Fortschritte des zwanzigsten Jahrhunderts. Diese haben es beispielsweise möglich gemacht, die Entstehung von Leben im Mutterleib nicht nur sichtbar, sondern auch manipulierbar zu machen. Diese radikalen wissenschaftlichen Entwicklungen haben, laut Dr. Ghaly, erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis einiger grundlegender Konzepte über Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod und auch den Begriff der menschlichen Persönlichkeit. Anhand mehrerer Beispiele aus dem medizinischen Bereich arbeitete Dr. Ghaly in seinem Vortrag einige der modernen innermuslimischen rechtlichen Debatten und Diskurse heraus und wies auf Problemfelder und neuartige Lösungsansätze hin.

Der fünfte und letzte Beitrag im Rahmen dieser Ringvorlesung kam von Frau Dr. Saira Malik von der Universität in Cardiff (Wales). Dr. Maliks Vortrag mit dem Titel "Islamic Law and Medical Genetics – The Case of Britain" beschrieb die theoretischen islamischen Rechtsrahmen sowie die Methoden von religiös-islamischen Autoritäten (muftīs), die bei der Ausstellung von fatwās (Rechtsurteilen) bezüglich zeitgenössischer medizinisch-ethischer Fragestellungen für muslimische Minderheiten, Gesundheitsexperten und Entscheidungsträger in Großbritannien von Bedeutung sind. Die Referentin zeigte beispielhaft an der Rechtsfindungsinstitution in London, dem "Islamic Sharia Council", dass hierbei das koranische Leitbild „das Gute zu gebieten und das Schlechte zu verhindern“ zugrunde liegt. Anhand des Rechtsmittels der maṣlaḥa, dem „öffentlichen Nutzen,“ erläuterte sie Herausforderungen, Problemstellungen und Lösungswege, denen ein muftī sich bei Fragen der Rechtsfindung in einer pluralistischen Gesellschaft gegenübersieht. Die Referentin hob hervor, dass ein muftī durchaus in der Lage sein kann, innerhalb einer modernen liberalen Gesellschaft wie Großbritannien islamische Rechtswege zu finden, weil seine Autorität, auch historisch betrachtet, in den privaten Bereich fällt. Gegenstand des Vortrages war weiterhin auch die Frage, in welcher Weise das britische Rechtssystem sich mit dem "Islamic Sharia Council" arrangieren lässt und welche grundsätzlichen Rahmenbedingungen in Großbritannien für religiöse Minderheiten vorzufinden sind. Frau Dr. Malik schloss ihren Vortrag mit einigen Reflexionen über Lösungsansätze bei der Integration von Muslimen innerhalb einer liberalen Gesellschaft wie Großbritannien.