Zentrum für Islamische Theologie (ZITh)

Neue Perspektiven für den europäischen Diskurs über den Islam

Die internationale Konferenz “Islam in/and/of Europe? – Perspectives from the Middle Ages to the Post-Secular Age”

Von Caner Yusuf Keskingöz



Die Postdoc-Gruppe des ZITh veranstalte in Kooperation mit der Universität Trento Anfang Oktober eine dreitätige Konferenz mit dem Titel “Islam in/and/of Europe? – Perspectives from the Middle Ages to the Post-Secular Age”. Neben den zahlreichen Dozenten des ZITh nahmen auch zwei Studenten aus Tübingen an der Konferenz in Trento (Italien) teil.


Als einer von zwei Studierenden der Islamischen Theologie hatte ich die Gelegenheit an der Konferenz „Islam in/and/of Europe? – Perspectives from the Middle Ages to the Post-Secular Age“ teilzunehmen. Durch die großzügige finanzielle Förderung des „Universitätsbund Tübingen e.V.“ wurde uns die Teilnahme an dieser Veranstaltung ermöglicht. Aus diesem Grund möchte ich mich im Namen aller studentischen Teilnehmer ganz herzlich beim Universitätsbund bedanken.


Die Konferenz fand in der soziologischen Fakultät der University of Trento statt. In der „Opening Session“ am ersten Tag trug Herr Prof. Dr. Schreiner seinen Vortrag „Islam and Europe – their Second Encounter or the East European Chapter of Muslim-European Relations“ vor. In diesem Vortrag beschrieb er die Verbreitung des Islams in Osteuropa, insbesondere in der Balkan-Region und den Ländern Litauen und Polen. Prof. Schreiner bemerkte, dass Osteuropäer bereits um das 9./ 10. Jh. freiwillig zum Islam konvertierten. Als Beispiel nennte er die Wolgabulgaren. Muslimische Schriftsteller wie Ahmad ibn Fadlan und Abu Hamid al-Garnati fertigten die ersten Reiseberichte an, in denen sie über diese Konvertiten berichteten. Etwa ab dem 14. Jh. wurden dann Muslime in Polen zum Christentum zwangskonvertiert, während sie in Litauen Religionsfreiheit genossen. In Osteuropa sind es insbesondere die Tataren, die ihre eigene islamische Kultur entwickelten und zu der wichtigsten muslimischen Gemeinde in Osteuropa wurden.


Prof. Massimo Campanini von der Universität Trento legte in seinem Vortrag „Muslim Thinkers Face European Modernity: Laroui, Fazlur Rahman and Hanafi from Reform to Revolution“ eine Unterscheidung verschiedener Modernitätsbestreben innerhalb der europäisch-islamischen Gemeinde dar. Wie er anmerkte, sei der Modernitätsbegriff sehr vage und enthalte viele Konnotationen. Aus diesem Grund würde der Begriff im Diskurs häufig Missverständnisse aufwerfen. In der Entwicklung der Islamischen Welt würde der Referent stattdessen den Begriff der Kreativität verwenden. In diesem Sinne hätte die Islamische Welt ab dem 16. Jh. eine Abnahme der Kreativität zu verzeichnen. Die Unterschiedlichen Reformbewegungen europäischer Muslime kategorisierte Prof. Campanini in drei Richtungen. Dabei unterschied er zwei Extreme: Das erste Extrem beschrieb er als eine Reformbewegung, die eine Unterwerfung an die westliche Moderne fordere und die Modernisierung in den Mittelpunkt stelle. Dem gegenüber stehe die Kritik am Orientalismus und der islamistische Reformbewegung, die antikolonialistisch sei und salafitische Eigenschaften habe. Als Gründe für den Rückgang der Kreativität sah Campanini zunächst eine Überwältigung der Philosophie durch die Jurisprudenz. Als zweiten Grund beschrieb er den Mangel einer mathematischen bzw. logischen Metaphysik. Letztlich erkannte Campanini auch eine wirtschaftliche Ursache: der Islam habe den Merkantilismus nicht erfolgreich in einen Kapitalismus überführen können.


Der zweite Tag der Konferenz stand unter dem Titel „Islam and Europe: Shaping Religious and Cultural Identities“. Prof. Nora Bender von der Cambridge University hielt einen Vortrag über Muslime in Ungarn. Nachdem die Mongolen den Islam angenommen hatten, fielen sie in Ungarn ein und hinterließen dort auch ihren Glauben. Muslime konnten in Ungarn ihren Glauben lange praktizieren, da sie der späteren christlichen Herrschaft gegenüber loyal waren und somit akzeptiert wurden.
In der zweiten Session mit dem Titel “Islam in Europe: Developing Religious Education in Secular Contexts“ referierte Prof. Agata Nalborczyk von der Universität Warschau über die Entwicklung der religionspädagogischen Literatur in Polen. Bereits 1920 wurde ein Islamischer Religionsunterricht in Polen eingeführt. Die Unterrichtsmaterialien wurden dabei zunehmend aus arabischen Abschriften, die ins Polnische übersetzt wurden, entwickelt. Meist wurden auch Werke aus den Balkanstaaten übernommen und integriert. Prof. Nalborczyk erwähnte außerdem auch die individuelle Kultur der tatarischen Muslime, die eine enge Verbindung zwischen ihrer Konfession und ihrer Ethnie sehen würden. So hätten diese eigene Rituale und Traditionen entwickelt, die sich von anderen sunnitischen Gemeinden unterscheiden.


Prof. Ahmet Alibasic hielt am Nachmittag einen Vortrag zu der Entwicklung der Islamischen Literatur in Bosnien. Nach dem Kommunismus hätte die Anzahl islamischer Literatur sprungartig zugenommen. Etwa ein Drittel der Werke zwischen 1990 und 2012 seien Übersetzungen, wobei zwei Drittel in der Originalsprache verfasst sind. Alibasic merkte an, dass es innerhalb der bosnisch-islamischen Literatur eine große Vielfalt an Strömungen und Richtungen gibt. Dies führte er auf den offenen und gemäßigten Charakter der islamischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina zurück.


In der letzten Session mit dem Titel „Islam of Europe: Negotiating a Common Space“ stellte Herr Prof. Umar Ryad seine Forschungen über transkulturelle und transnationale muslimische Netzwerke der Zwischenkriegszeit dar. Er berief sich dabei mehrmals auf einen im Jahre 1935 gegründeten „Kongress der Europäischen Muslime“. Hierbei berichtet er insbesondere über einen osmanischen Offizier (Zeki Kiram), der in Deutschland diplomatische Beziehungen zu arabischen Ländern pflegte. Im Laufe seines Vortrages stellte Ryad die Theorie dar, dass die europäischen Muslime in der Zwischenkriegszeit als globale Akteure auftraten und eine überlappende Funktionen in sozio-politischen, kulturellen und religiösen Bereichen innehatten.


Die Konferenz zeigte neue Perspektiven für den europäischen Diskurs über den Islam auf. Durch die Forschungsergebnisse der Referenten kann historisch eine muslimische Präsenz in Europa erkannt werden, die sich bis in das 9. Jh. zurückverfolgen lässt. Insbesondere in Osteuropa kann eine lange islamische Geschichte nachgewiesen werden. Die europäischen Muslime der Neuzeit hatten darüber hinaus eine eigene Kultur, die sich über mehrere Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. Charakteristika dieser Kultur liegen in der Architektur von Moscheen, aber auch in Ritualen und Traditionen, die sich von anderen islamischen Kulturen unterscheiden konnten. Viele Muslime lebten nicht nur in Europa, sondern formten als aktive Bürger die Geschichte der europäischen Gesellschaften.