Ein gutes Jahr für die jüdisch-muslimische Begegnung
Von Patrick Brooks
Im Jahr 2016 konnten weitere wichtige Schritte gegangen werden, um den freundschaftlichen Austausch von Juden und Muslimen als festen Bestandteil der am ZITh gelebten Dialogkultur zu etablieren. Den Auftakt dazu bildete ein Besuch in der Stuttgarter Synagoge, an dem rund 20 unserer Studierenden teilnahmen.
Dieser fand am 17. Januar statt. Michael Kashi, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), begrüßte die Studierenden und erzählte ihnen über die wechselhafte Geschichte der Gemeinde sowie über jüdisches Leben in Stuttgart damals und heute. Anschließend sprach er mit Ihnen über religiöse Themen. Zum Abschluss des Programms wurde den Gästen sogar erlaubt, im Hauptraum der Synagoge das islamische Mittagsgebet zu verrichten, wovon mehrere Studierende gerne Gebrauch machten. Welch große Geste interreligiöser Anerkennung! Am Nachmittag des 17. Januar fand dann eine Vortragsreihe mit anschließender Podiumsdiskussion im Stuttgarter Paul-Gerhardt-Haus statt. Titel der – vom Haus Abraham ausgerichteten – öffentlichen Veranstaltung war „Wie heißt Dein Gott? – Zu den Namen und Attributen Gottes im Judentum und Islam“. Es referierten Patrick Brooks (wissenschaftlicher Mitarbeiter, ZITh), Ármin Langer (Student der jüdischen Theologie, Universität Potsdam) und Hakan Turan (Staatliches Seminar für Didaktik und Lehrerbildung, Stuttgart). Die Moderation übernahm Susanne Jakubowski (IRGW). An der Veranstaltung nahmen Angehörige aller drei Religionen teil.
Am 24. April besuchten etwa zehn Studierende erneut das Paul-Gerhardt-Haus, um einem interreligiösen Abend anlässlich des jüdischen Pessachfests beizuwohnen. Die Veranstaltung, zu der das Haus Abraham und die IRGW luden, diente dazu, das Sedermahl nachzustellen und den Teilnehmern somit einen Eindruck von den Feierlichkeiten zu geben. Die Anwesenheit und das Interesse der vornehmlich weiblichen Studierenden des ZITh wurden von den Gastgebern in besonderer Weise wertgeschätzt. Am 26. Juni bat das Haus Abraham in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Dialog (GfD) ein weiteres Mal zu Tisch, diesmal unter dem Motto „Fastenbrechen unter Freunden“. Die Veranstaltung fand im Rahmen des islamischen Fastenmonats Ramadan statt. Vor dem Iftar gab es eine Podiumsdiskussion zum Thema „Zakat, Zedaka und soziale Gerechtigkeit“, an der sich Referenten der drei abrahamitischen Religionen, namentlich Michael Kashi (Judentum), Lisbeth Blickle (Christentum) und Patrick Brooks (Islam) beteiligten. Moderatorin war Pfarrerin Monika Renninger (Evangelisches Bildungszentrum Hospitalhof, Stuttgart). Die Veranstaltung wurde von zahlreichen Christen, Juden und Muslimen besucht. Studierende des ZITh beteiligten sich maßgeblich beim Auf- und Abbau sowie bei der Bewirtung der Gäste.
Am 16. Juli bekamen zwei Studierende die Gelegenheit, einem liberalen Morgengottesdienst im kleinen Gebetsraum der Stuttgarter Synagoge beizuwohnen. Besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang David Holinstat, Cláudia Marx-Rosenstein und Susanne Jakubowski. Da es Sabbat war und sich zudem die erforderliche Anzahl von zehn jüdischen Betenden eingefunden hatte, beinhaltete der Gottesdienst auch eine Lesung aus der Thora. Vorbeterin war Prof. Dr. Birgit Klein von der Hochschule für Jüdische Studien (HFJS) in Heidelberg. Die geringe Teilnehmerzahl seitens der Studierenden war dem Umstand geschuldet, dass zu den liberalen Gottesdiensten in der Stuttgarter Synagoge nicht so viele Betenden erscheinen. Es sollte daher vermieden werden, die Andächtigen durch zu viele „Beobachter“ von außerhalb in Verlegenheit zu bringen. Weitere solcher Besuche sind allerdings für das Jahr 2017 geplant, sodass auch andere interessierte Studierende des ZITh diese besondere Erfahrung werden machen können. Im Anschluss an den Morgengottesdienst konnten die beiden Studierenden mit Prof. Dr. Birgit Klein, David Holinstat und Susanne Jakubowski ein längeres Gespräch führen.
Am 4. November besuchte Ármin Langer das ZITh, um aus seinem Buch vorzulesen, das wenige Wochen zuvor erschienen war. Der Titel des Buches lautet „Ein Jude in Neukölln – Mein Weg zum Miteinander der Religionen“. Darin schreibt der Autor u.a. über sein Engagement für die Verständigung zwischen Juden und Muslimen in Berlin. An der Lesung vom 4. November nahmen 20 Studierende teil und brachten sich aktiv in die anschließende Diskussion ein. Am 5. November war Ármin Langer dann erneut zu sehen, und zwar an der Universität Stuttgart, wo er gemeinsam mit Pfarrer Heinrich Georg Rothe, dem Islambeauftragten der Evangelischen Landeskirche, sowie Patrick Brooks an einer Podiumsdiskussion über das Gottesbild in den drei abrahamitischen Religionen teilnahm. Das jeweilige Gottesbild wurde dabei von jedem Referenten am Beispiel eines zentralen liturgischen Textes veranschaulicht. Die von Matthias Meier (Doktorand an der PH Ludwigsburg) moderierte Veranstaltung bildete den Abschluss der 20. Islamwoche, welche von der Muslimischen Studentenunion (MSU) organisiert worden war. Mehrere Studierende des ZITh waren anwesend. Wenige Tage später fanden sich zudem einige Studierende in der Tübinger Stiftskirche ein, um an der Gedenkstunde anlässlich der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 teilzunehmen. Der Abend wurde von verschiedenen Initiativen in Tübingen unterstützt. David Holinstat, Vorsitzender des jüdischen Vereins Bustan Shalom, hielt einen bewegenden Vortrag. Er rief darin zu mehr zwischenmenschlicher Achtsamkeit und gesellschaftspolitischem Engagement auf, um ein klares Zeichen gegen rechte Hetze, Ausländerhass, Antisemitismus und Islamophobie zu setzen.
Die vielfältigen jüdisch-muslimischen Begegnungen im Jahr 2016 haben, begleitet von entsprechenden Lehrveranstaltungen am ZITh, bei mehreren Studierenden den Wunsch geweckt, im Jahr 2017 einen Schritt weiter zu gehen und mehr Dialog zu wagen. Aus diesem Grund traf sich am 21. Dezember eine Gruppe von Interessierten, um über mögliche Wege zu sprechen, wie das Gespräch zwischen Juden und Muslimen ausgeweitet werden kann und inwieweit die islamische Theologie hierzu ihren Beitrag leisten kann. An dem Treffen nahmen auch christliche Studierende aus dem Theologicum teil.