Ruben von der Heydt
Dissertationsprojekt
Abschaffung des Strafrechts? – Untersuchungen zu einer philosophischen Begründung rechtlicher Sanktionen in Auseinandersetzung mit der Hirnforschung
Die in der Neuzeit geprägte Vorstellung von der Selbstgesetzgebung des Einzelnen bildet das zentrale philosophische Fundament der kontinentaleuropäischen Rechtsauffassung: Der Mensch will seine Entschlüsse und Handlungen nicht als fremdbestimmt ansehen, sondern als selbst verursacht. Denn nur jemand, der für seine Handlungen persönlich einsteht, kann auch, etwa im Rahmen eines Gerichtsprozesses, für schuldhaftes Verhalten zur Verantwortung gezogen werden. Vor Gericht gelten Faktoren, auf welche die betreffende Person keinen Einfluss hatte und die ihre Autonomie beeinträchtigten, als strafmindernde, entschuldigende oder Schuld ausschließende Umstände. Hierbei werden naturwissenschaftliche Erklärungen des Verhaltens nur so lange als Bestandteil des gerichtlichen Prüfungsverfahrens akzeptiert, als sie das Fehlen oder die Beeinträchtigung einer normalerweise unterstellten Willensfreiheit diagnostizieren.
Nun sieht sich das deutsche Strafrecht zur Zeit den rechtspolitischen Forderungen prominenter Neurobiologen ausgesetzt, naturwissenschaftliche Erklärungsmuster nicht mehr nur ausnahmsweise zuzulassen, sondern grundsätzlich auf alle Straftäter auszuweiten. Die Konsequenz hieraus besteht darin, dass nicht mehr von Fall zu Fall nach der Reichweite der Willensfreiheit gefragt wird, vielmehr geht es um deren generelle Verabschiedung. Die aktuell diskutierten Forderungen laufen darauf hinaus, Verantwortlichkeit und Schuld als entscheidende begründungstheoretische Begriffe des Strafrechts infrage zu stellen und dieses durch ein Maßregelrecht zu ersetzen.
Die Strafrechtswissenschaft muss sich daher angesichts der aktuellen Debatte um die rechtlichen Konsequenzen neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse ihrer Grundlagen versichern und kann dabei auf die theoretische Kompetenz der Philosophie als Reflexionsdisziplin zurückgreifen.
Das Dissertationsprojekt bewegt sich thematisch zwischen der Philosophie, der Rechtswissenschaft und den Neurowissenschaften. Ziel ist die Erarbeitung eines Grundlagenmodells, in dessen Zentrum die Unterscheidung verschiedener epistemischer Betrachtungsweisen/Perspektiven steht und die Anwendung dieses Konzeptes auf den strafrechtlichen Bereich. Es wird die Frage zu klären sein, auf welche philosophisch begründete Wissensperspektive sich das Strafrecht angesichts der „neurobiologischen Herausforderung“ zukünftig beziehen kann und ob hierbei der Rekurs auf die gegenwärtig noch zugrunde gelegten normativ-ethischen Begriffe weiterhin als legitim anzusehen ist.
Zur Person
Studium der Philosophie, Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie, der germanistischen Literaturwissenschaft, Linguistik und Mediävistik, der Schulpädagogik und Pädagogischen Psychologie sowie des Fachs Deutsch als Fremdsprache an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Universität Rostock und der Universidad de Granada (Spanien).
2007 Erste Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien in Philosophie, Sozialwissenschaften – Schwerpunkt Rechtswissenschaft und Deutsch. Tätigkeiten an der Universität Rostock am Lehrstuhl für Politische Theorie und Ideengeschichte, am Lehrstuhl für Germanistische Mediävistik sowie im Sommersemester 2007 als Wissenschaftliche Hilfskraft und Dozent am Lehrstuhl für Praktische Philosophie.
Seit dem Wintersemester 2007/2008 Teilnahme am DFG-Graduiertenkolleg „Bioethik“ der Universität Tübingen.
Kontakt
ruben.von-der-heydt[at]izew.uni-tuebingen.de