Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Agrarwende und Anerkennung

von Uta Eser

01.10.2024 · 

Status quo

Wer will
daß die Welt
so bleibt
wie sie ist
der will nicht
daß sie bleibt
Erich Fried

Anerkennung für die Landwirtschaft

Angesichts der europaweiten Bauernproteste erklärte EU-Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen im Januar 2024, Landwirtinnen und Landwirte forderten zu Recht Anerkennung dafür, dass sie die Menschen mit Lebensmitteln versorgten. Als Antwort auf die Demonstrationen nahm nicht nur die Bundesregierung ihre geplanten Kürzungen bei der Subvention von Agrardiesel zurück, sondern auch das EU-Parlament die vorgesehenen Umweltauflagen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Doch darf die Aufrechterhaltung des Status quo als Frage der Anerkennung gelten? Ich meine: Nein, im Gegenteil. Gerade wer die Bedeutung der Landwirtschaft für unser aller Wohlergehen anerkennt, muss auf Veränderungen der derzeitigen Praxis drängen. Welche Rolle Anerkennung in der und für die Agrarwende spielt, darum soll es in diesem Blogbeitrag gehen.

Forschungsprojekt Öko-Valuation

Hintergrund des Beitrags ist das Forschungsprojekt Öko-Valuation, das von Sommer 2020 bis 2023 im Rahmen des Forschungsprogramms Ökologischer Landbau in zwei baden-württembergischen Bio-Musterregionen durchgeführt wurde. In einer Kooperation der Universitäten Hohenheim und Tübingen mit der Agentur Ökonsult haben wir untersucht, welche Rolle Werte und Normen für den Umbau unseres Agrar- und Ernährungssystems spielen. Gerade weil die Debatte über die Zukunft der Landwirtschaft so emotional geführt wird, war es uns wichtig, über den verbreiteten Ruf nach einer „Versachlichung“ des Diskurses hinauszugehen und die hinter den vermeintlichen Tatsachen verborgenen Wert- und Moralvorstellungen ausdrücklich zum Thema zu machen.

Fehlende Anerkennung als Hindernis für die Agrarwende

Fehlende Anerkennung stellt ein zentrales Hindernis für die Agrarwende dar. Das bestätigt auch unsere Studie. Landwirt:innen beklagen eine zu geringe Wertschätzung in dreifacher Hinsicht: nicht nur das Land selbst, sondern auch die Menschen, die es bestellen, und die Lebensmittel, die es hervorbringt, würden von der Gesellschaft nicht hinreichend geschätzt. Dieser Mangel an Wertschätzung wird als Fehlen von Anerkennung erlebt und schmälert die Kooperationsbereitschaft. Denn Menschen beteiligen sich nur dann bereitwillig an einem gemeinschaftlichen Veränderungsprozess, wenn sie sich als vollwertiges und anerkanntes Mitglied dieser Gemeinschaft fühlen.

Doch was folgt aus dieser Einsicht? Muss aus Anerkennung für die existentielle Bedeutung der Landwirtschaft alles beim Alten bleiben? Ist jede Neuregelung, die den Landwirt*innen neue Praktiken abverlangt, per se ein Ausdruck fehlender Anerkennung? Nein. Ein solcher Kurzschluss würde die Differenz von Anerkennung und Akzeptanz verkennen. Anerkennung bezieht sich auf die Achtung der Person. Sie beinhaltet nicht die Zustimmung zu allem, was diese Person tut oder fordert. Eine Person als gleichberechtigt und gleichwertig anzuerkennen, ist das eine, den Standpunkt, den sie vertritt, zu akzeptieren oder zu kritisieren, etwas anderes.

Person und Standpunkt unterscheiden

Der Grundsatz, Menschen und Probleme getrennt voneinander zu behandeln, gehört zum Standardrepertoire der Verhandlungstechnik.

„Begreifen Verhandlungspartner einander als Feinde in persönlicher Konfrontation, ist es schwierig, ihre menschlichen Beziehungen von den Sachfragen zu trennen. Alles, was der eine sagt, scheint bei solcher Interpretation direkt gegen die Person des anderen gerichtet zu sein und wird auch so verstanden.“

So erläutern Fisher et al. (2004) ihren Ratschlag, sich in kontroversen Debatten auf Probleme zu konzentrieren statt auf Personen, und die Interessen der Beteiligten in den Mittelpunkt zu stellen. In unserem Forschungsprojekt haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, diesen Grundsatz in der Kommunikation über die Zukunft der Landwirtschaft anzuwenden. So haben wir die Beteiligten zu Beginn dazu ermutigt, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse zu äußern und sich jeder Beurteilung anderer Personen zu enthalten:

„Damit andere mich verstehen, und bereit sind, mir zuzuhören, ist es hilfreich, vor allem über mich selbst zu reden. Was mir wichtig ist, wovor ich Sorge habe, was mich ärgert, was ich erstrebenswert finde. Nicht hilfreich ist es hingegen, über andere zu urteilen, sie moralisch zu bewerten oder gar zu verurteilen. Vorwürfe und Anschuldigungen ersticken jedes Gespräch im Keim.“

Ein Ergebnis unseres Projekts ist eine Handreichung für Personen, die in ihrer Region das Gespräch über Werte suchen und führen möchten (Link: oekovaluation.de/aktuelles/). Dieses Kursbuch stellt Begriffe und Methoden vor, die für das Gelingen hilfreich sind. Die Empfehlung, Person und Standpunkt zu unterscheiden, wird darin wie folgt ausgeführt:

„Es geht nicht darum Personen zu beurteilen. Deren Charakter, Motive oder persönliche Integrität stehen nicht zur Debatte. Wichtig ist hingegen, sich mit den unterschiedlichen Standpunkten auseinanderzusetzen. Wir müssen verstehen, wer welche Wünsche und Interessen hat, und welche Bedürfnisse und Rechte auf dem Spiel stehen. Nur so können wir gemeinsam herausfinden, wie es gelingen kann, die Bedürfnisse aller zu befriedigen, ohne die Möglichkeiten zukünftiger Generationen einzuschränken.“

So einleuchtend die Unterscheidung von Person und Standpunkt in der Theorie ist, so schwierig ist die Trennung in der Praxis. Die Landwirtschaft gehört zu den Berufsfeldern, in denen Menschen sich stark mit ihrer Tätigkeit identifizieren. So wird Kritik an bestimmten Praktiken schnell als Kritik an der Person wahrgenommen. Dies darf jedoch nicht dazu führen, dass die derzeitige Praxis der kritischen Diskussion entzogen ist. Unter der Bedingung, dass die Achtung vor der Person gewahrt bleibt, kann und muss die Frage, welche Praktiken gut und richtig sind und welche nicht, gestellt und diskutiert werden.

Warum wir nicht moralisieren dürfen und trotzdem über Ethik reden müssen

Mit der Frage nach dem guten und richtigen Handeln ist ein Thema angesprochen, das in der professionellen Kommunikation keinen guten Ruf genießt: die Moral. Sie kommt in den Köpfen vieler Menschen nur als Keule vor, die geschwungen wird, um andere ins Unrecht zu setzen. So warnt Wolfgang van den Daele (2001:4)

„Moral ist eine scharfe Waffe, und Moralisten sind gefährliche Gegner. In politischen Konflikten wächst der Grad der Polarisierung, wenn zwischen den Streitenden der Pegel des Moralisierens steigt.“

Die Warnung vor einer „Moralisierung“ ist nachvollziehbar. Wenn es nicht mehr um Inhalte geht, sondern nur noch darum, wer die Guten sind und wer die Bösen, steht die (Selbst-) Achtung der Einzelnen auf dem Spiel. Das darf nicht sein. Im Unterschied zu einer solchen moralischen Kommunikation geht es in der Kommunikation über Moral jedoch nicht um die Beurteilung von Personen, sondern um die Beurteilung von Handlungen. Die „Ermittlung des guten und richtigen Handelns unter gegebenen Bedingungen und Handlungsmöglichkeiten“ ist Aufgabe der Ethik (Mieth 1995). Wenn die Agrarwende gelingen soll, müssen wir uns darüber verständigen, welche Handlungen in Zukunft geboten, verboten oder erlaubt sein sollen. Und diese Verständigung gelingt nur auf der Basis gegenseitiger Anerkennung.

-------------------------------------------------------------

Literatur:

Daele, W. van den (2001): Von moralischer Kommunikation zur Kommunikation über Moral. Reflexive Distanz in kommunikativen Verfahren. In: Zeitschrift für Soziologie 30 (1), S. 4-22.

Fisher, R; Ury, W; Patton, B (2013): Das Harvard-Konzept. Der Klassiker der Verhandlungstechnik. 24. Aufl. Frankfurt, M., New York, NY: Campus.

Mieth, D. (1995): Ethische Evaluierung der Biotechnologie. In: T. v. Schell u. H. Mohr (Hg.): Biotechnologie − Gentechnik. Eine Chance für neue Industrien. Berlin: Springer, S. 505-530.

Handbuch zu diesem Thema: https://oekovaluation.de/aktuelles/

-------------------------------------------------------------

Kurz-Link zum Teilen des Beitrags: https://uni-tuebingen.de/de/269883