Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Digital Learning for Sustainable Development?!

Von Amelie Schönhaar, Thomas Potthast und Jasmin Goldhausen

27.10.2022 · Die immensen Herausforderungen und Chancen einer Nachhaltigen Entwicklung (NE) – von Biodiversitäts- und Klimakrise über neue Formen des Wirtschaftens bis hin zu suffizienten Lebensweisen – sind allgegenwärtig. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Menschen und ihre Mitwelt zusammenleben und Gesellschaft von heute gestalten können, um weltweit und in Zukunft lebenswerte Verhältnisse zu schaffen (vgl. KNE 2020). Wir am Kompetenzzentrum für Nachhaltige Entwicklung (KNE) der Universität Tübingen stellten uns die Frage, wie Bildung (für Nachhaltige Entwicklung) auch digital so gestaltet werden kann, dass diese Perspektiven für die Studierenden greifbar werden und sie selbst Wege und Möglichkeiten entdecken, aktiv zu werden.

Anfang 2021 startete das Projekt „Digital Learning for Sustainable Development“ (DLSD) in die Konzeption einer digitalen, englischsprachigen Grundlagenveranstaltung mit dem Titel „Basics of and new Perspectives on Sustainable Development – a digital learning journey“. Die Veranstaltung besteht aus Plenary Sessions (Dauer: 3h), Group Sessions (Dauer 1 ½ h) sowie individuellen Selbstlernphasen und kann auch modularisiert gedacht werden. Die Idee besteht darin, mit den Studierenden auf eine gemeinsame digitale Lernreise durch die komplexe und vielfältige Themen- und Transformationslandschaft der NE zu gehen.

Am Anfang dieser Reise lernen die Studierenden den Kurs kennen, setzen sich in der 1. Plenary Session interaktiv und diskursiv mit Grundlagen Nachhaltiger Entwicklung (u.a. historische Verortung, konzeptionelle und wissenschaftliche Einbettung sowie politische Agenda 2030 der UN mit ihren 17 Sustainable Development Goals) auseinander.

Im weiteren Verlauf vertiefen die Studierenden das Gelernte anhand ausgewählter Literatur, bereiten sich als Expert*innen auf die 1. Group Session vor, in der eine moderierte und methodisch angeleitete Diskussion der vertieften Inhalte stattfindet. Ziel ist neben der Vertiefung einen kritisch hinterfragenden Zugang zu entwickeln. Dies wird zusätzlich durch die Gestaltung eines individuellen Lern- und Forschungstagebuches gefördert – dazu später mehr.

In der 2. Plenary Session besuchen uns externe Dozierende, die ihre Perspektive auf NE in unsere digitale Lernreise einbringen. Die Dozierenden sind Expert*innen aus Wissenschaft und/oder zivilgesellschaftlicher Praxis, die uns Einblicke in ihre Themen und Projekte geben. Letztere stehen in Zusammenhang mit NE-relevanten gesellschaftlichen Handlungsfeldern und knüpfen zudem unmittelbar an die SDGs an.

Für die 2. Group Session setzen sich die Studierenden aus post- bzw. dekolonialer Perspektive mit dem Entwicklungsbegriff sowie alternativen Ansätzen aus dem sog. ‚Globalen Süden‘ auseinander. Eine Kooperation mit dem Programm „Chat der Welten“ (EPiZ Reutlingen) ermöglicht es uns in der Durchführung der Session, einen digitalen Raum zu öffnen, in dem sich die Studierenden mittels onlinebasierter Kommunikation mit Menschen aus dem Globalen Süden zum Thema kritische Perspektiven auf NE austauschen und auf Augenhöhe voneinander lernen. So war die Begegnung mit der Künstlerin und Aktivistin Sylvia Falcón aus Peru für viele Studierende ein Highlight. Es entstanden spannende und tiefgründige Gespräche. Aus den Lern- und Forschungstagebüchern der Studierenden wurde zudem ersichtlich, welch großen Eindruck die Gäste bei den Studierenden hinterlassen haben.

Die 3. Plenary Session knüpft unmittelbar mit der Frage an, welche globale Verantwortung der Wissenschaft in Lehre und Forschung im Kontext NE zukommt. In dieser Session besuchen uns erneut externe Dozierende, die spannende Einblicke in Herausforderungen und Potenziale transdisziplinäre, internationale Forschung und Zusammenarbeit geben. Im Anschluss bearbeiten die Studierenden eine Aufgabe: Sie recherchieren ‚Good Practice‘ - Beispiele aus ihrem direkten Umfeld, die in ihren Augen einen sinnvollen und gelingenden Beitrag zur Umsetzung von NE leisten. 

Ihre Rechercheergebnisse bringen die Studierenden mit in die Group Session 3 und kommen in kleinen Gruppen (2-3 Personen) zusammen. In den Gruppen erstellen die Studierenden Poster zu ausgewählten Good Practice Beispielen. Die Poster werden über die Lernplattform „ILIAS“ eingereicht und wir integrieren sie über das digitale Tool „Workadventure“ in eine eigens kreierte, virtuelle Insellandschaft.

Auf dieser Insellandschaft treffen wird uns mit den Studierenden in der 4. Plenary Session zur Durchführung eines „Gallery Walk of Opportunities“. Im Gaming-Stil können die Studierenden zu Beginn einen „Avatar“ kreieren, mit dem sie sich virtuell über die Insellandschaft bewegen. Wenn zwei oder mehrere Avatare bei einem Good Practice Poster aufeinandertreffen, öffnet sich automatisch ein Chat-Raum. Die Studierenden werden in dieser Session selbst zu Expert*innen, stellen sich ihre Poster gegenseitig vor und sprechen über ihre recherchierten Projekte. Abgerundet wird diese letzte Plenary Session mit einem interaktiven und motivierenden Impuls von Gästen des bundesweiten Netzwerkes n e.V. zum Thema „Students as Change Agents“.

Begleitend und als Teil der Studienleistung dokumentieren und reflektieren die Studierenden ihren Lernprozess in einem Lern- und Forschungstagebuch. In der Umsetzung und Gestaltung sind die Studierenden frei. Bisher gab es zu diesem reflexiven Format von den Studierenden sehr positive Rückmeldung und vielfältige Unsetzungen: Von handschriftlichen Einreichungen über Homepage-artige Aufbereitungen, „Prezis“ (eine Art Powerpoint) bis hin zu einem Podcast.

Zu Projektbeginn stellten wir uns die Frage, wie BNE auch digital so gestaltet werden kann, dass globale Herausforderungen im Kontext NE für die Studierenden greifbar und erfahrbar werden. Grundsätzlich zeigt sich, dass es auch in einem rein digitalen Lehr-Lernformat möglich ist, den Ansprüchen einer ganzheitlichen BNE gerecht zu werden, insbesondere weil Teilnehmende aus ganz verschiedenen (globalen) Kontexten in vielfältigen Interaktionsformen zusammengebracht werden können. Was bleibt ist die Herausforderung, wie der notwendige leiblich-persönliche Bezug zur sozialen und naturalen Mitwelt durch digitale Lehre gefördert werden kann.

Aktuelle Neuigkeit: Wir sind mit unserer NE-Grundlagen Veranstaltung „Basics of and new Perspectives on Sustainable Development – a digital learning journey” für den BNE-Hochschullehrpreis nominiert.

Weitere Informationen findest Du unter: https://uni-tuebingen.de/universitaet/profil/werte-und-visionen/nachhaltige-entwicklung/studium-lehre/dlsd-projekt/  

Bei Fragen wende Dich gerne an Amelie Schönhaar: dlsd@izew.uni-tuebingen.de