Internationales Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW)

Mediale Darstellungen von Robotern in der Pflege. Wie der Blick auf fiktionale Medien für ethische Fragen sensibilisieren kann

von Dr. Martin Hennig

10.01.2022 · Es ist ein bekanntes Diktum der Science-Fiction-Forschung, dass nicht nur reale technische Innovationen die Erzählungen von Autor*innen inspirierten, sondern Science-Fiction umgekehrt auch die Technologieentwicklung beeinflusste bzw. sich deutliche Vorwegnahmen signifikanter Entwicklungs­sprünge nachweisen lassen. So gelten die ‚Kommunikatoren‘ aus Star Trek als Inspiration des ersten Klapphandys von Motorola; genauso heißt es, aus dem Film Minority Report (USA, 2002, Steven Spielberg) heraus seien fast 100 konkrete Technikpatente entstanden. Noch eindeutiger ist dieser Zusammenhang von Fiktion und Realität auf der Ebene der gesellschaftlichen Interpretationen von Technologien.

Ein aktuelles Beispiel für einen solchen Diskurszusammenhang sind Roboter in der Pflege bzw. zur Gesundheitsförderung. Um Vertrauen und Sympathie gegenüber diesen neuen Technologien zu erzeugen, wird von Seiten der entwickelnden Unternehmen auf Inszenierungsstrategien zurückgegriffen, die aus der positiven Darstellung von menschenähnlichen Androiden in der Filmgeschichte bekannt sind. So hieß es 2015 in einer Unternehmensankündigung des auf Sozialität programmierten ‚companion robot‘ Pepper, entwickelt von Aldebaran Robotics, der u. a. im Gesundheitswesen eingesetzt werden soll:

Um ein echter sozialer Gefährte zu sein, muss Pepper in der Lage sein, Deine Emotionen zu verstehen. Wenn Du anfängst zu lachen, wird er wissen, dass Du gute Laune hast. Legst Du die Stirn in Falten, versteht er, dass Dich etwas bekümmert. Pepper kann Deinen Gemütszustand übersetzen, indem er sein Wissen über universelle Emotionen […] nutzt.[1]

Signifikant für das im Zitat vorliegende reduktionistische Emotions- und Empathieverständnis ist, dass mehrfach von Peppers ‚Wissen‘ über Emotionen die Rede ist. Das damit transportierte mechanistische Menschenbild, wonach Emotionen als rational analysierbar, operationalisierbar und in Algorithmen überführbar ausgewiesen sind, bildet natürlich auch die zentrale Grundlage der Darstellung von positiv konnotierten, anthropomorphen Robotern im Film. In diesem Kontext ist die inszenierte ‚emotionale Intelligenz‘ eines Roboters in der Regel hinreichendes Indiz für ein ‚Menschsein‘ der Maschine und auch abstrakte mentale Entwicklungsprozesse werden an visualisierbaren, filmisch-konventionellen Codes zum Ausdrücken von Emotionen – Nahaufnahmen der Mimik usw. – festgemacht. Zum Beispiel wird im Film A.I. – Artificial Intelligence (USA, 2001, Steven Spielberg) die Entwicklung eines Roboters mit autonomem Selbstbewusstsein monokausal auf die Fähigkeit zurückgeführt, Liebe zu empfinden. Der entwickelnde Wissenschaftler hält fest, „dass die Liebe de Facto der Schlüssel zum Aufbau einer Art von Unterbewusstsein ist. […] Eine innere Welt voller Metaphern, Intuitionen, eigenmotivierten Überlegungen. Voller Träume.“ (ab TC: 00:05:40). Die Filmhandlung führt entsprechend vor, wie der Kind-Androide David durch die Prägung auf seine ‚Besitzerin‘ und menschliche ‚Mutter‘ sowie die Mimesis seiner sozialen Umgebung irgendwann tatsächlich – wie von Zauberhand – echte (d. h. von der filmischen Inszenierung als solche ausgewiesene) Emotionen empfindet und damit gleichzeitig Autonomie und ‚Menschlichkeit‘ erlangt.  

Ganz ähnlich geht auch die simulierte Empathiefähigkeit Peppers im zugehörigen Werbefilm[2] mit einer Darstellung des Roboters als autonomes soziales System mit eigenem Tagesablauf und eigenen Interessen einher: Als seine ‚Besitzerin‘ zum Spotbeginn nach Hause kommt, steht Pepper scheinbar gedankenverloren am Fenster und betrachtet den Mond (vgl. Abb. 1). Dies spiegelt ganz konkret die bildliche Inszenierung von ‚emotionalen‘ Androiden in Roboter-Fiktionen, wie es auch das Werbeplakat zu A.I. – Artificial Intelligence zeigt, das den Blick in den Himmel als Motiv der Sehnsucht und Indiz der reichhaltigen Innerlichkeit der Maschine äquivalent inszeniert (vgl. Abb. 2). 

Während Peppers gesamtes visuelles Design auf den Emotionsausdruck ausgelegt ist, werden die dahinterstehenden technischen Prozesse im Marketing folglich über den Rückgriff auf Inszenierungsstrategien der Sparte des Roboter-Films als ‚natürlicher‘, quasi menschlicher Ausdruck von Emotionen ausgelegt, wobei sich diese Menschlichkeit gerade in dem scheinbar autonomen Verhalten des Roboters repräsentiert. Ein mit derlei Inszenierungen einhergehendes Problem im Kontext realer Roboter ist, dass das ‚Verhalten‘ der Maschine damit naturalisiert wird, in der Folge nur noch eingeschränkt als Ergebnis menschlicher Programmierung und Entscheidungen wahrnehmbar ist und weniger hinterfragbar erscheint.  

Dies lässt sich anschaulich anhand des dokumentarischen und journalistischen Umgangs mit Pflegerobotern beobachten. Denn ein zentrales Problem der geschilderten Darstellungsstrategien der ‚Emotionalität‘, ‚Empathie‘ und ‚Autonomie‘ sozio-technischer Artefakte ist, dass sie von der Berichterstattung zu realen Robotern unkritisch übernommen und in ihrer Wirkung noch verstärkt werden. In einem Entwickler*innen-Interview im ARD Mittagsmagazin wird der Umgang mit Pflegerobotern primär in seiner emotionalen Funktionalität beschrieben: diese sollen „trösten“ und böten „Gesundheitspflege für den Geist“ (ab TC: 00:40).[3] Und dieser Anspruch wird in den konkreten sozialen Situationen, in denen Pflegeroboter in dokumentarischen Formaten eingesetzt sind, häufig auch als erfüllt inszeniert. So zeigt ein Beitrag im Sat1 Regionalfernsehen[4] über die Betreuung und Animation demenzkranker Patient*innen durch den Roboter „Emma“ diesen stets im gewinnbringenden emotionalen Austausch, wobei die Kamerahandlung die positiven sozialen Emotionen der ‚Senioren-WG‘ (so Titel und O-Ton des Formats) gegenüber der Maschine fokussiert (vgl. Abb. 4).

Der Off-Kommentar spitzt dabei die Bildebene noch zu: „Die Bewohner der Demenz-WG haben Emma schon in ihr Herz geschlossen“ (ab TC: 00:42), die „Integration“ habe „bestens geklappt“ (ab TC: 03:48). Als ein Journalist mit Emma interagiert, wird ihr Verhalten weiter anthropomorphisiert: „Jetzt ist ihr langweilig geworden und jetzt macht sie irgendwas anderes“ (ab TC: 01:56). Auch wenn dies mit einem Augenzwinkern präsentiert ist, werden im Zuge der den obigen Beispielen äquivalenten Zuschreibungen von ‚Menschlichkeit‘ an den Pflegeroboter zentrale Problemkomplexe ausgeblendet:

1.) Überwachung: Die Interaktion mit den Patient*innen setzt zwingend Kameras und Aufzeichnungsgeräte voraus, Pflegeroboter fungieren immer auch als Überwachungsinstanzen. Dies wird auch in Bezug auf Emma angedeutet: „Und wenn sie jemanden mit ihren Augen fixiert, verfolgt sie diesen auch“ (ab TC: 01:32). Dabei ist fraglich, welche Daten genau eingespeist, inwiefern diese zu Profilen aggregiert und auf welche Weise sie ausgewertet werden. Die anthropomorphe Inszenierung von Emma und der mediale Fokus auf das Spektakel des menschenähnlichen Roboters zeigt jedoch eher Emma als Subjekt im Fokus der sozialen Aufmerksamkeit (vgl. Abb. 3), als dass hier der ‚Blick‘ der Maschine mit seiner Überwachungsfunktion dokumentiert würde. Vielmehr wird die potenzielle technische Überwachung durch autonome Handlungen des Roboters auch hier ausschließlich als Indiz für ‚Menschlichkeit‘ bzw. als sozial motivierte Care-Arbeit ausgewiesen.

2.) Problematische Menschen- und Technikbilder: Als Beleg der sozialen Funktionalität des Technikeinsatzes wird ähnlich wie in den obigen Beispielen allein auf eine scheinbar reziproke soziale Emotionalität im Kontext des Roboters abgestellt, die jedoch auch im Rahmen der Dokumentation durch Aspekte der filmischen Inszenierung ausgedrückt ist (Bildauswahl, Off-Kommentar etc.). Gerade hier zeigt sich, dass die ‚Emotionalisierung‘ eine verkürzte Argumentation darstellt, da der konkrete Kontext der Demenzerkrankung und die Auswirkungen des Roboters auf diesen nur am Rande thematisch sind. Und obwohl der verantwortliche Pflegedienstleiter im Interview zu Bedenken gibt: „Das Zwischenmenschliche, das findet nur von einer Pflege- oder Betreuungskraft statt“ (ab TC: 02:46), argumentiert der Beitrag genau gegenteilig, indem er bereits das gelungene soziale Moment des Robotereinsatzes herausstellt und damit ein unterkomplexes Bild guter Pflege produziert. Denn die dargestellte soziale Interaktion des Roboters bleibt (noch) in einem eng begrenzten Rahmen: Emma fungiert primär als Musikabspielgerät bei einer Tanzveranstaltung. Es steht die zentrale Frage im Raum, ob der im fiktionalisierten Marketing von Pepper bereits diagnostizierte Technikenthusiasmus auch gegenüber den zukünftig geplanten Anwendungskontexten von Emma (etwa eine individuelle Erinnerung von Patient*innen an die Nahrungs- oder Tabletteneinnahme) angebracht ist. Dies wäre medial kritisch zu begleiten. Im Sat1-Beitrag werden über den Technikpositivismus dagegen problematische Menschenbilder transportiert, denn um den Austausch zwischen Menschen und vermenschlichter Maschine auf einer Ebene erscheinen zu lassen, werden die demenzkranken Patient*innen auffällig infantilisiert – was schon der Verweis auf die ‚Senioren-WG‘ im Titel oder auf die ‚Demenz-WG‘ im Off-Kommentar des Beitrags andeutet. 

An diesen Beispielen zeigt sich, wie gesellschaftliche Diskurse über Technologien durch ihre mediale Inszenierung bestimmt sind und wie der Blick auf die Fiktion helfen kann, für Rhetoriken dieser Inszenierung seitens der Hersteller und in anknüpfenden medialen Diskursen zu sensibilisieren sowie den Konstruktionscharakter von Darstellungen anthropomorpher Technik aufzuzeigen. Darüber hinaus können fiktionale filmische Darstellungen der Diskussion ausgewählter ethischer Probleme des sozialen Robotereinsatzes auch zuträglich sein, wie das Beispiel A.I. – Artificial Intelligence ebenfalls zeigt, das sich allerdings eher um Fragen menschlicher Verantwortung gegenüber emotionsfähigen Maschinen dreht. In journalistischen Formaten dagegen sollten angesichts der emotionalisierten Darstellung von humanoiden Robotern mögliche Problematiken digitaler Technologien für den Menschen nicht aus dem Blick geraten. Denn diese sind ausnahmsweise keine Fiktion.

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[1] Zitiert nach Bächle, Thomas Christian (2020): Die Spur des simulierten Anderen. Humanoide Roboter und die Imitation des Emotionalen. In: Klimczak, Peter/Petersen, Christer/Schilling, Samuel (Hg.): Maschinen der Kommunikation. Interdisziplinäre Perspektiven auf Technik und Gesellschaft im digitalen Zeitalter. Wiesbaden: Springer, S. 143–164, hier S. 149.

[2] Vgl. Khaled, Dean (2016): Future Life with Pepper. URL: https://www.youtube.com/watch?v=-A3ZLLGuvQY (Abruf: 27.12.2021).

[3] Vgl. ARD Mittagsmagazin (2014): Japanische Roboter als Altenpfleger. URL: https://www.youtube.com/watch?v=0jiO3S1v8xw (Abruf: 27.12.2021).

[4] Vgl. SAT 1 Regional (2017): Hilfe für Demenzkranke: Pflegeroboter „Emma“ bringt Schwung in Kieler Senioren-WG. URL: https://www.youtube.com/watch?v=9kjOKkDFEe8 (Abruf: 27.12.2021).