Universitätsbibliothek

Der Bücherwurm - Anobium punctatum

Hi Leute,

darf ich mich vorstellen: Mein Name ist Ulrich. 

Ich bin ein Bücherwurm und habe Bücher zum Fressen gern. 

Vielleicht habt ihr meine Spuren ja schonmal gesehen. 

Die tunnelförmigen Löcher in alten Kodizes und Holzdeckeln, die stammen von mir. 

Aber von vorn: Einen ‚Bücherwurm‘ gibt es als Spezies eigentlich gar nicht. Das sind tatsächlich mehrere Arten von Käfern, die unter diesem Begriff zusammengefasst werden. Da gibt es sowohl meine Art, die Anobium punctatum, oder Gemeiner Nagekäfer, als auch meine Cousins und Cousinen, die Brotkäfer, Hausbockkäfer und die Totenuhren. Wir sind eine richtige große Gemeinschaft und international weit verbreitet. Aber warum dann Wurm? Nun ja, in meinem jetzigen Larvenstadium ähnele ich nun mal mehr einem Wurm, so einfach. Momentan kann ich im ausgewachsenen Zustand bis zu 6 mm lang werden. Das sieht man aber meistens nicht, weil ich mich dann richtig einrolle und einkuschele. Ich bin eigentlich mehr crèmefarben und leicht behaart. Tatsächlich besitze ich auch schon drei super starke Beinpaare und auch Kauwerkzeuge. Wenn ich erwachsen bin, werde ich ziemlich gedrungen und oval zwischen 3 und 5 mm groß sein, also bin und bleibe ich ein kleines Geschöpf. Ich werde bräunlich sein mit schönen Flügeln, die feine Punktreihen haben. Mein Kopf ist mit einer dunklen mönchsartigen Kapuze überdeckt. Wie passend, wenn man bedenkt, dass die größten Bibliotheken, also meine Lebensräume, sich damals in Klosterbibliotheken befanden.

Wir schaffen es mit der Außenluft, dem Personal und den Benutzern in die Lesesäle und damit auch in Magazine, Depots oder Restaurierungswerkstätten. Am liebsten essen wir leckere stärke- und proteinhaltige Materialien wie Kleister, Leder, Pergament, Papier, Einbände aus Holz und Textilien. Aber nicht nur das! Wenn nötig erkunden wir auch gleich mal noch die Umgebung, also auch die Holzregale, auf dem das Essen steht. Ach, wie schön es doch war, als die Bücher noch aus Pergament und mit Holzdeckeln waren. Es gab für uns Nahrung im Überfluss. Deshalb halten wir uns auch am liebsten in historischen Bibliotheksbeständen auf. Und das ist schon lange so: Seit Objekte aus organischen Materialien von Menschen gesammelt und gelagert werden, können wir es uns gemütlich machen.

Am wohlsten fühlen wir uns da, wo es warm und schön feucht ist. Wie kuschelig! Gleichzeitig bieten uns die Sammlungsräume Schutz und Zuflucht von den Wetterbedingungen da draußen. Ich persönlich verkrieche mich doch lieber in einem guten Buch! Aber die Menschen wollen das ja nicht, also unternehmen sie Gegenmaßnahmen: Sie achten auf ein kühles, trockenes Raumklima (unter 10°C ist das kein Leben mehr für uns), auf eine gute Abdichtung des Gebäudes (z.B. durch Türbürsten und Insektengitter), bringen besonders schmackhafte Exemplare in insektendichten Vitrinen, Sammlungsschränken oder verschweißten Folienbeuteln unter, machen ständig sauber (um uns unsere Lebensgrundlage, also Staub, wegzunehmen), lassen 15 cm Platz unter Regalböden, um noch besser putzen zu können und uns weniger Möglichkeiten zum Einnisten zu bieten, neu angeschaffte Nahrungsmittel kommen zuerst in Quarantäne, damit keiner unserer Artgenossen in die Bibliothek kommt! 

 

Es wird sogar noch gruseliger. Aber seid gewarnt, das nun Folgende ist nichts für schwache Nerven. Die Menschen wollen uns richtig loswerden! Dazu stellen sie Klebe- bzw. Fraßköderfallen mit Lockstoffen oder Lichtfallen mit UV- oder Grünlicht auf, um uns zu fangen. Die Fallen werden dann regelmäßig kontrolliert und protokolliert. Neuerdings nutzen sie sogar so genannte Acoustic- Emission-Geräte (AE-Geräte), die Fraß- und Bewegungsgeräusche von uns auffangen und verstärken. Sie erhoffen sich davon, unsere Eintrittsstelle bzw. den Befallsherd herauszufinden. Im Anschluss untersuchen sie uns genau und versuchen herauszufinden, wer bzw. was wir sind. An den Schadensbildern, vorhandenem Kot, Gespinsten, Larven- und Puppenhüllen ist es möglich, unsere jeweilige Art zu erkennen. Dementsprechend leiten sie dann Maßnahmen ein, um uns loszuwerden. Dann isolieren diese Monster unser jetziges Essen von unseren Vorräten, frieren die Materialien für eine Woche bei – 30°C ein, erhitzen die Sachen für eine Stunde auf 55-60°C oder begasen die Materialien mit Stickstoff; so sollen unsere Kleinen erfrieren und ersticken. Welche die beste Methode ist, hängt von der Be­schaffenheit der Objekte (Größe, Material, Transportfähig­keit), der Art der Schädlinge, aber auch den zeitlichen und finanziellen Ressourcen ab. Bestimmt wird das Ganze von den Restauratoren, unseren größten Feinden. Welch ein Horror! Es wird gemunkelt, dass früher sogar flüssige Insektizide wie Blausäure, DDT und Lindan eingesetzt wurden. Zum Glück hat sich aber herausgestellt, dass diese Chemikalien oftmals schädlich für die Objekte wie auch für die Gesundheit der Mitarbeitenden sind, die in engem Kontakt mit den Objekten stehen. Und so oder so hat das eh nicht gut funktioniert. Trotz dieser flüssigen Giftstoffe kamen wir immer wieder. Tja, hätten die Menschen sich mal auf den Ursprung des Befalls konzentriert!

Aber was stört die Menschen eigentlich so an uns? Die eigentlichen „Bücherfresser“ von uns, das sind unsere kleinen Kinder. Während ihres Daseins verschlingen sie Unmengen an Blättern, und es gibt keine Art von Literatur, die ihnen zu trocken wäre. Den Kleinen müssen wir halt erst noch Manieren beibringen. Nun ja, wenn unsere Larven, so wie ich noch eine bin, nach 2 bis maximal 10 Jahren sich für 2 bis 4 Wochen verpuppen und dann wieder schlüpfen, müssen wir ja irgendwie aus dem Buch wieder rauskommen. Das ist dann meistens so im Mai oder Juni. Schließlich wollen wir auch die Sommerzeit genießen. Also nagen wir uns einfach durch das Material, um uns Fluchtwege zu schaffen und hinterlassen zum Abschied feines Bohrmehl. Übrigens haben wir dazu eine interessante Angewohnheit: In Nadelhölzern folgen unsere Fraßgänge meist den Jahresringen. Dadurch können wir uns endlich weiter vermehren. Unsere Weibchen legen dann ihre Eier in Ritzen, Spalten und alten Fluglöchern ab. Das können dann schonmal zwischen 20 und 30 sein! Diese schlüpfen dann auch nach 2 bis 3 Wochen. So beginnt der Prozess von neuem. Leider zerstören wir in diesem Prozess aber auch Einbände, Buchblöcke, Grafiken, Karten und Textilien und verursachen dadurch zugegeben immer wieder große Schäden in Sammlungen. Aber dabei wollen wir doch nur frei sein und unsere Flügel nach all den Jahren endlich ausbreiten! 

Noch ein kleiner Fun Fact zum Schluss: Den Begriff Bücherwurm übertrug übrigens erstmals 1747 Gotthold Ephraim Lessing auf einen Menschen, in seinem Lustspiel Der junge Gelehrte: Ein Diener unterhält sich mit einer jungen Frau über seinen Herrn, der die alltäglichen Dinge des Lebens vernachlässigt, weil er nur auf seine Bücher ist.

P.S. Keine Sorge, natürlich hat die UB nie einen Befall gehabt. Die Inspiration für das Thema war einfach – Ich!

Quiz zum Thema “Bücherwurm”

Literatur:

KEK-Portal | Schädlinge in Bibliothek und Archiv. (o. D.). Koordinierungsstelle für die Erhaltung Des Schriftlichen Kulturguts (KEK). www.kek-spk.de/fachinformation/schaedlinge-bibliothek-und-archiv

Kobold, M. & Moczarski, J. (2010). Bestandserhaltung: ein Ratgeber für Verwaltungen, Archive und Bibliotheken.

Querner, P. (2023). Klimawandel und Schädlinge in Bibliotheken und Archiven. ABI-Technik, 43(3), 205–211. doi.org/10.1515/abitech-2023-0034

Sutter, H. (1986). Holzschädlinge an Kulturgütern erkennen und bekämpfen: Handbuch für Denkmalpfleger, Restauratoren, Konservatoren, Architekten und Holzfachleute.

Unger, W. & Schöne, K. (2010). Schädlinge in Bibliotheken und Archiven. Arbido, Heft 4, 42–44.