Fachbereich Wirtschaftswissenschaft

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14.12.2017

Eigenkapitalnormen für Banken. Entwicklung, Probleme, Lösungsansätze

Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft hielt das Kollegium im Studium Ge-nerale die Ringvorlesung „Perspektiven der Wirtschaftswissenschaft“. In seinem Vortrag befasste sich unser Autor und Spezialist für Bankwirtschaft, Professor Werner Neus, mit den Eigenkapitalvorschriften für Banken.

Warum eine Eigenkapitalnorm für Banken notwendig ist

Eigenkapital im Allgemeinen verwirklicht die für ein marktwirtschaftliches System relevante Anforderung der Haftung der Unternehmenseigentümer für ihre Entscheidungen. Wenn sie die Berechtigung haben, sich die nach Befriedigung der Forderungen aller Gläubiger verbleibenden Überschüsse anzueignen, müssen die Eigentümer auch die Verpflichtung übernehmen, Defizite auszugleichen, damit Gläubiger ( sogenannte „dritte Parteien“) von negativen Entscheidungsfolgen freigestellt werden. Anderenfalls entsteht der Anreiz, über Gebühr hohe Risiken einzugehen, weil der unbegrenzten Beteiligung an erhöhten Gewinnen eine eng begrenzte Beteiligung an erhöhten Verlusten gegenübersteht.

Entwicklungen und Anfänge

In Banken ist dieses Problem besonders virulent: Die handelsbilanziell gemessene Eigenkapitalquote (Eigenkapital zu Bilanzsumme) deutscher Banken war im langen Horizont rückläufig: von 45 Prozent im Jahr 1872 über 33 Prozent im Jahre 1900 und 10 Prozent im Jahr 1927 hin zu 5 Prozent im Jahr 1960 − eine Zahl, die cum grano salis bis zur Bankenkrise Gültigkeit hatte. Zum Vergleich: Bei deutschen Nicht-Banken liegt die Eigenkapitalquote gegenwärtig um die 30 Prozent. Zu den Ursachen für die niedrige Eigenkapitalausstattung gehören ein starkes Wachstum sowie der Zugang zu relativ niedrig verzinsten Spareinlagen.

Erstaunlicherweise gab es in Deutschland bis 1931 keine eigene Bankenregulierung. Erst als Reaktion auf die Pleite der Danat-Bank in besagtem Jahr wurde 1934 das Reichs-Kreditwesengesetz in Kraft gesetzt. Die darin enthaltene Verordnungsermächtigung für den Erlass von Eigenkapitalnormen wurde allerdings nie ausgefüllt. Echte Eigenkapitalnormen für deutsche Banken kamen daher erst im Zuge des Nachkriegs-KWG von 1961 und den zugehörigen Grundsätzen der Bankenaufsicht zur Anwendung.

Das Drei-Komponenten-System

Eigenkapitalnormen bestehen durchweg aus drei Komponenten: Der Definition von Eigenkapital, der Definition von Risiko und der Festlegung einer Mindestrelation zwischen diesen beiden Größen. An jeder der Komponenten hat es immer wieder Änderungen gegeben. Eine Gemeinsamkeit der Entwicklungen besteht darin, dass die Vorschriften immer differenzierter wurden. Dies betrifft zum einen die Messung von Risiken, in die mehr und mehr Komponenten eingehen, wobei es den Banken erlaubt ist, eigene Risikomessmodelle zu verwenden, die ihrerseits

anderen betrifft es die Messung von Eigenkapital, dessen Komponenten im Laufe der Jahre zunächst ausgeweitet und erst nach den Erfahrungen aus der Bankenkrise 2007/08 wieder eingeschränkt wurden. Entgegen der bisweilen auftretenden öffentlichen Wahrnehmung kam es nach der jüngsten Krise auch zu einer erheblichen Verschärfung der Mindestrelation von Eigenkapital zu Risiko.

Lobbyisten verfolgen eigene Interessen

Eine Regulierung ist grundsätzlich überflüssig, wenn die regulierten Einheiten nicht über eine zu scharfe Regulierung klagen. Eine geschickte Lobby verweist natürlich niemals auf die eigenen Interessen, sondern auf tatsächlich oder auch nur vermeintlich gefährdete Drittinteressen. Hier ist dies vor allem die Befürchtung, die Finanzierungskosten

für die Realwirtschaft und, insbesondere den Mittelstand stiegen an, wenn die Banken deutlich mehr Eigenkapital vorhielten und dabei „billiges“ Fremdkapital durch „teures“ Eigenkapital ersetzten. Viele der dabei vorgebrachten Argumente sind allerdings schräg oder schlicht falsch. Zunächst einmal werden hier Ursache und Wirkung vertauscht. Eigenkapital ist teuer, weil der Verschuldungsgrad so hoch ist. Das besagt der sogenannte „Leverage-Effekt“, ein Zusammenhang, mit dem jeder Wirtschaftsstudent seit seinem Bachelor-Grundstudium vertraut ist. Fremdkapital ist billig, weil es in mehrfacher Weise staatlich subventioniert wird. Zum einen erfolgt eine doppelte Besteuerung von Erträgen auf das Eigenkapital, nämlich auf Unternehmens- und Investorenebene, während Erträge auf das Fremdkapital nur auf Investorenebene zu versteuern sind, von der Bemessungsgrundlagen auf Unternehmensebene aber abgezogen werden dürfen. Zum anderen gibt es eine implizite staatliche Garantie auf das Bank-Fremdkapital. Besteht die Erwartung, dass in einer akuten Bankenkrise der Staat die Gläubiger herauspaukt („Bail-out“), kalkulieren diese eine zu geringe Risikoprämie ein.

Empirische Untersuchungen bestätigen, dass dies tatsächlich der Fall ist. Daher ist es unbedingt sinnvoll, Investoren in stärkerem Umfang als noch zu Zeiten der Bankenkrise an der Bewältigung von Verlusten zu beteiligen („Bail-in“) und somit den Steuerzahler aus seiner De-facto-Haftung zu entlassen. Auch hier wäre es verkehrtzu behaupten, an dieser Front hätte sich seit der Krise nichts getan oder würde sich nichts mehr tun.

Wichtige Fragen und Lösungsansätze

Doch sind mit den seit der Bankenkrise verabschiedeten Reformen alle Probleme gelöst? Gewiss nicht.

Gibt es überhaupt eindeutige Verfahren zur „richtigen“ Risikomessung oder zu „optimalen“ Härte einer Eigenkapitalnorm? Gewiss nicht.

Trüge hingegeneine weitere Verschärfung der Eigenkapitalnormen zur Verbesserung der Stabilität bei? Gewiss (laut Verfasser). Die von Martin Hellwig in den Raum gestellte Ziffer von bis zu 30 Prozent (bilanziellem) Eigenkapital, wie sie bei Nichtbank-Unternehmen üblich sind, könnte eine Messlatte darstellen.

Ließen schärfere Normen den Banken allerdings noch Luft zum Leben? Grundsätzlich schon, auch wenn die eine Bank darunter vielleicht lauter ächzt als die andere. Wenn über das Ziel Einigkeit besteht, könnte man die Frist bis zur Erreichung des neuen Levels ja anpassen. Was den Banken (und teilweise auch ihren Kunden!) das Alltagsgeschäft enorm schwer macht, ist die Flut von Detailvorschriften mit den zugehörigen Dokumentationspflichten. Würde den Banken im Wege von mehr Eigenkapital eine weitergehende Haftung auferlegt, käme es also zu einer stärkeren Internalisierung externer Effekte und Detailvorschriften könnten im Gegenzug gelockert werden.

Die spannende Frage „Würden schärfere Eigenkapitalnormen die Finanzierungsmöglichkeiten für die Wirtschaft beeinträchtigen?“, lässt sich wohl nicht mit einem glatten „Nein“ beantworten, wenngleich man nicht alles glauben sollte, was Parteien mit eigenen Interessen dazu vorbringen.

Erschienen in der Winterausgabe der WiWi NEWS 2017

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