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Wurstgift in Württemberg

Am 12. Februar 1815 kaufte sich Leonhardt Bohn (44) aus Kaisersbach bei einem Bauern eine Leberwurst, die er zum Nachtmahl aß. Kurz darauf bekam Bohn Magenschmerzen, Schwindel und Erbrechen, dazu Sehstörungen, Atemnot und Lähmungen. Er starb nach sechs Tagen und 19 Stunden, obwohl der junge Oberamtsarzt Justinus Kerner alles versucht hatte, um ihn zu retten.

Kerner ging der Sache weiter nach, denn Bohn war nicht das erste Opfer. Bereits im April 1793 erkrankten bei Wildbad 13 Personen, nachdem sie Blutwurst gegessen hatten, sechs davon starben. Insgesamt konnte Kerner 76 solcher Fälle nachweisen, alle bis auf einen in Württemberg, von denen 37 tödlich endeten.

Es gab einige Vermutungen bezüglich der Ursache, die alle nacheinander geprüft wurden: war etwa das Tier, aus dem die Wurst hergestellt war, krank oder hatte es etwas Giftiges gefressen? Waren die verwendeten Gewürze verunreinigt, war vielleicht beim Sammeln der Kräuter versehentlich eine Giftpflanze gepflückt worden? Oder hatte ein profitgieriger Händler das Gewürz gestreckt – womit auch immer? War das Gift Blausäure? Oder Holzsäure?

Nichts von alledem. Die Antwort gab Kerner 1822 in seiner Schrift „Das Fettgift oder die Fettsäure und ihre Wirkungen auf den thierischen Organismus, ein Beytrag zur Untersuchung des in verdorbenen Würsten giftig wirkenden Stoffes.“

Justinus Kerner ist heute weniger als Arzt bekannt, sondern mehr als Dichter der schwäbischen Romantik mit Hang zum Spiritismus. Ludwig Uhland, Gustav Schwab und Nikolaus Lenau gehörten zu seinen engen Freunden. Die meiste Zeit seines Lebens wohnte er in Weinsberg. Er bemühte sich sehr um die heimatkundliche Geschichtsschreibung und um die Erhaltung der der Burgruine Weibertreu.

Das „Wurstgift“ oder „Fettgift“ gibt es heute immer noch und führt in Deutschland jährlich zu ca. 10-20 Fällen von Lebensmittelvergiftung. Unter die Haut gespritzt dient es unter anderem der Faltenglättung und ist den meisten unter seinem Handelsnamen bekannt: Botox.

 Literatur:

  • Kaiserlich privilegirter Reichs-Anzeiger, Num. 309, 1802, S. 3889, Signatur: Kb 34.4-1802,2
  • Tübinger Blätter für Naturwissenschaften und Arzneykunde, Bd. 3, H. 1, Signatur: Ja 94-3,1.1817
  • Kerner, Neue Beobachtungen über die in Württemberg so häufig vorfallenden tödtlichen Vergiftungen … Tübingen, 1820. 
    Digitalisat: https://opendigi.ub.uni-tuebingen.de/opendigi/JiI36a
  • Kerner, Das Fettgift oder die Fettsäure und ihre Wirkungen … Tübingen, 1822, Signatur: Ji I 36
  • Porträt Kerner aus: UB Tübingen Porträtdatenbank ID 18842
  • Blutwurst: Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Boudin_du_Sud-Ouest.jpg (bearb. 27.11.2025)