Themenschwerpunkt »Gesellschaftliche Relevanz historischer Geisteswissenschaften«
Die Plattform 4 „Bildung – Gesellschaft – Normen – Ethische Reflexion“ soll die Tübinger geistes- und sozialwissenschaftliche Expertise zu einem Kompetenznetzwerk verbinden und ist entsprechend thematisch und institutionell breit angelegt. Die Forschungsaktivitäten orientieren sich dabei an der Leitlinie des Zukunftskonzepts „Research – Relevance – Responsibility“ und der Fokus liegt auf anwendungsorientierte Fragestellungen mit gesellschaftlicher Relevanz. Damit besteht für Geistes- und Kulturwissenschaften mit einem historischen Ansatz („historisch“ verstanden im allgemeinsten Sinne, weder beschränkt auf fernere Vergangenheiten noch überhaupt auf Geschichtswissenschaft) ein gewisses Problem der aktuellen Relevanz bzw. des Anwendungsbezugs.
Es geht hier nicht um die Rechtfertigung oder das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften insgesamt, auch nicht um die Rolle von Literatur, Kunst, oder allgemeinem Geschichtsverständnis in unserer Gesellschaft, sondern um eine Teilfrage: In welcher Weise können Ergebnisse historisch ausgerichteter wissenschaftlicher Forschung in den Geisteswissenschaften entweder allein oder in Forschungsverbünden als relevant im Rahmen aktueller gesellschaftlicher Fragestellungen angesehen werden?
Dies ist eine Frage der bzw. für die Plattform 4, aber weit darüber hinaus steht sie latent oder auch ausdrücklich hinter vielen gesellschaftlichen und forschungspolitischen Diskussionen der Gegenwart; nicht zuletzt wird sie auch bei Verbundforschungsanträgen (DFG, BMBF, große Stiftungen) regelmäßig thematisiert. Es handelt sich im Übrigen um Variationen eines bekannten Themas: In der Vormoderne wurde es im Sinne einer historia magistra vitae verstanden, im 19. Jahrhundert sah man im Zuge des Historismus bereits mit der „objektiven“ Erforschung der Vergangenheit die Relevanzfrage erledigt, im 20. Jahrhundert gibt es ganze Bündel von Theorieansätzen, mit denen die Geisteswissenschaften den Positivismus des späten 19. Jahrhunderts zu überwinden suchen. Derzeit entsteht oft eine Konstellation, dass die systematischen Sozialwissenschaften das Theoriegerüst und die Geisteswissenschaften das Anwendungsfeld bereitstellen. Ist hier auch eine andere Hermeneutik denkbar? Es gilt neu zu fragen, wie historisch orientierte geisteswissenschaftliche Forschung im Kontext und im Bewusstsein aktueller Fragestellungen aussehen kann.
Im Dezember 2014 brachte ein erster Workshop die VertreterInnen von im allgemeinstem Sinne historisch (oder partiell historisch) orientierten Projekten zusammen, zum einen aus bestehenden Verbundprojekten, zum anderen aus Exploration Funds Projekten der Universität Tübingen. Ziel des Workshops war es, ausgehend von der o.g. Skizze auszuloten, von welcher Art die Fragen, Probleme, Lösungsansätze in den verschiedenen Projekten sind (oder auch, warum hier gar kein Problem gesehen wird) und in welcher Weise in Plattform 4 gemeinsam am Thema weiter gearbeitet wird.