Grotte de la Verpillière I (VP I)
Altgrabungen und Grabungen des Schutts dieser
Entdeckt wurde die Höhle im Jahre 1868 beim Bau der nahe liegenden Straße durch das Tal der Orbize. Im gleichen Jahr wurden hier die ersten Ausgrabungen unter der Leitung von Charles Méray durchgeführt (Méray, 1876, Chabas, 1876, Méray, 1869). Im Laufe des 20. Jahrhundert fanden immer wieder Grabungen und Schürfungen in und vor dem Höhlenraum statt.
Aufgrund ihrer spektakulären Funde wurde diese Höhle und ihr Inventar am Anfang des 20. Jh. mit als Referenz (neben Solutré, Aurignac u.a.) für die Definition des Aurignacien verwendet (Breuil, 1911). In den 1970er Jahren wurden die bifaziellen Elemente alter Grabungen neu analysiert und in Artikeln vorgelegt (Desbrosse et al., 1976, Desbrosse and Texier, 1973).
Die komplette Aufarbeitung der Altgrabungen wurde im Zuge einer Magisterarbeit (Dutkiewicz, 2011) ausführlich dargelegt. Anhand des archäologischen Materials der Altgrabungen der letzten 150 Jahre konnten typo-technologisch folgende Technokomplexe wahrscheinlich gemacht werden (vom Älteren zum Jüngeren): Micoquien, Moustérien de tradition acheuléen (MTA), Châtelperronien, Aurignacien ancien, Aurignacien moyen-récent, Gravettien und Solutréen. Auch wurden zahlreiche alte Schürfungen (Schnitte) im Laufe der Ausgrabungen und Auswertungen erkannt und genau lokalisiert.
Typologisch-technologische Elemente dieser Technokomplexe konnten im Abraum der Altgrabungen durch unser Grabungsteam ebenfalls geborgen werden. Anhand der Verteilung von Objekten der einzelnen Technokomplexe konnten Zonierungen aufgezeigt werden. So ist beispielsweise das Gravettien vorwiegen im Vorplatz der Höhle zu finden. In unmittelbarer Nähe der dem Gravettien zuweisbaren Objekte wurden AMS-C-14 Datierungen an typologisch
eindeutigem Knochenmaterial vorgenommen, die allesamt in ein spätes Aurignacien und ein frühes Gravettien zu stellen sind. Neben den im Material der Altgrabungen aufgefunden diagnostischen Elementen fanden sich außerdem Indizien für ein sehr frühes Aurignacien (Protoaurignacien), wie es typo-technologisch auch in der Grotte du Renne in Arcy-sur-Cure, Yonne oder der Trou de la Mère Clochette, Jura zu finden ist.
Lithische Elemente, die in das Mittelpaläolithikum zu stellen sind und sowohl aus den Altgrabungen als aus aus dem Abraum dieser stammen, wurden ebenfalls in einer Magisterarbeit analysiert (Frick, 2010). Hierbei konnte anhand techno-typologischer Analysen der Steinartefakte aus dem zugänglichen Material der Altgrabungen als auch aus den Neugrabungen (2006 bis 2008) eine Trennung des Materials in mindestens zwei Einheiten (Micoquien und MTA) wahrscheinlich gemacht werden. Weitere Einheiten könnten dem Moustérien à denticules und dem Moustérien type Ferrassie angehören.
Bei Ausgraben fielen uns immer wieder als Schmuckobjekte anzusprechende Stücke in die Hände. Nachdem der Umfang und Bestand dieser Objekte so zahlreich wurde, sind diese in einer Bachelorarbeit aufgearbeitet worden (Klett, 2012).
Grabung intakter Horizonte
Bis zu Beginn der Arbeiten unter der Leitung von Prof. Floss galt die Fundstelle als ausgeräumt. Es wurde angenommen, keine intakten Bereiche seien mehr vorhanden. Die neuen Arbeiten konnten diese Bild maßgeblich verändern und widerlegen.
Bereits in der zweiten Grabungskampagne 2007 wurde auf dem Vorplatz der Höhle ein Bereich aufgedeckt, der unausgegrabene Zonen zeigte. Mikromorphologische Arbeiten zeigten uns, dass dieses Material eine gewisse Hangrutschung erfahren hat (Wißing, 2012). Sehr wahrscheinlich stammt dieses Material nicht aus der Höhle, sondern vom höherliegenden Plateau. Die Aufarbeitung dieses Inventars steht noch aus, bisher konnten bei den Sortierarbeiten zahlreiche Lamellen erkannt werden, so dass das Inventar vorerst allgemein dem Jungpaläolithikum zuzurechnen ist. Innerhalb der Höhle konnte 2009 ein Schnitt, den J. Combier im Mai 1959 anlegte wiedergefunden werden. Am Rande dieses Schnitts wurde das stratigraphische Profil einer Wandfazies dokumentiert. Die Aufarbeitung der hierzu gehörenden archäologischen Objekte war Bestandteil einer Bachelorarbeit (Bader, 2011). Das Inventar dieser Wandfazies umfasste Stücke, die dem Mittelpaläolithikum, einem möglichen Châtelperronien,einem Aurignacien, sowie einem nicht weiter differenzierbaren Jungpaläolithikum zugeschlagen werden kann. In den zurückliegenden Kampagnen (2010-2012) wurden weitere intakte Bereiche im inneren der Höhle aufgefunden (rund 20 qm), die seither systematisch gegraben werden. Es ließen sich bisher zwei mittelpaläolithische Horizonte finden, sowie mehrere Bereiche, die dem
Jungpaläolithikum angehören sollten (mögliches Châtelperronien, Aurignacien sowie Gravettien). Die Korrelation der einzelnen Bereiche miteinander schreitet mit jeder Grabungsund Auswertungkampagne weiter voran. Die hyothetischen Modelle zur Entstehung und Verfüllung der Höhle sind ebenfalls weiter vorangeschritten. Mikromorphologische und sedimentologische Untersuchungen hierzu sind in Arbeit, ebenso die Datierung.
Nach dem bisherigen Stand der Arbeiten können wir eine vollständige stratigraphische Abfolge vom späten Mittelpaläolithikum bis in das mittlere Jungpaläolithikum konstatieren, womit diese Fundstelle das Potential besitzt, weitreichende Fragen zur den Ablösungsmechanismen der der letzten Neandertaler durch frühe anatomisch moderne Menschen in Europa zu bearbeiten.
Diese Fundstelle könnte (sollte) sich ebenfalls als mit modernen Methoden gegrabene Referenz für die kulturellen Abfolgen zwischen rund 50 und 30 ka B.P. etablieren, besonders im Hinblick auf die umstrittenen Ergebnisse der in den 1950er und 1960er gegrabenen Fundstelle Grotte du Renne in Arcy-sur-Cure, die sich ebenfalls im Burgund befindet.