Musikwissenschaftliches Institut

Teilprojekt B1: Musik der Bibel im Spiegel der Geschichte. Beispiele für Wendungen und Wandlungen biblischer Motive und Modelle in Texten, Bildern und Kompositionen vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Abstract

Forschungsfrage

In 431 Stellen der Bibel finden sich Musikbezüge, 393 im Tanach/AT, 38 im NT. Es sind einzelne Begriffe und Musikinstrumente, musiktechnische Anhalte, Funktionsanweisungen und Handlungsvollzüge, angedeutete oder textlich ausgeführte Lieder und ausgeführte Musikszenen.

Immer wieder begegnen Musikwirkungen. Heilige Klänge stehen neben profanen lebensweltlichen Bezügen (und vielfach lassen sich diese Sphären ohnehin nicht klar auseinanderdividieren). Es geht um die Phänomene selbst: Wer musiziert als Einzelner oder in Gruppen? Was wird wann und wo musikalisch vorgebracht? Und es werden Situationen und Kontexte beleuchtet: Warum, wie und mit welchen Mitteln findet Musik in der Bibel statt?

Grundthese

Die Antworten auf diese Fragen wandeln sich im Spiegel der Geschichte. Die biblischen Texte bieten keine in sich selbst kohärenten Erklärungen zur Musik und keine musiktheoretischen Aufschlüsse. Es geht um Auslegung und Interpretation. Jede Zeit öffnet eigene Zugänge, regional begegnen Unterschiede, auch die disziplinären Zugriffe auf musikbezogene Bibelstellen differieren.

Methoden

Die Textstellen selbst und die nachbiblischen Quellen sind philologisch, phänomenologisch-historisch und rezeptionsgeschichtlich zu befragen. Neben dem historischen Wandel finden sich Textstellen, deren musikalische Annotationen einer synchronen Deutungsvielfalt unterworfen sind. Auch wenn historische Fakten als Hintergrund relevant bleiben, geht es nicht um die anthropologische oder archäologische Entschlüsselung biblischer Zeugnisse oder die Rekonstruktion althebräischer Musikpraxis.

Untersuchungsgegenstände sind auf der Basis philologischer Analysen der betr. Bibeltextstellen historische Zugänge zur Musik der Bibel in Texten, Bildern und Noten in ihren Wendungen und Wandlungen im Spiegel der europäischen oder europäisch geprägten[1] Geschichte.

Textquellen sind a) Bibelübersetzungen (mit Beschränkung einstweilen auf den deutschsprachigen Raum), b) reflektierende Texte aus Theologie und Philosophie, c) Literatur (Epik, Lyrik, Dramatik), d) musiktheoretische und musikhistorische Texte.

Bildquellen sind a) Bibelillustrationen, b) Einzeldarstellungen biblischer Musik in Skulptur, Malerei, Zeichnung und Grafik.

Musikalische Quellen sind a) Vertonungen der Bibelstellen, b) konkrete kompositorische Bezugnahmen auf dieselben, also Musik über Musik.

[1] Dass sich mit dem europäischen Blick ein eurozentrisches Verständnis resp. eine oft eindimensionale und selbstermächtigte Deutungshoheit von Kulturen des Alten Orients verbindet (z. B. unter dem Stichwort „Orientalismus“), ist Teil der Untersuchung; immerhin handelt es sich bei dem angemaßten Blick auf andere Kulturen in der Regel nicht um erbeutete Realobjekte, wie sie im europäischen Museumskontext aktuell heftig diskutiert sind.

Umsetzung

Die Umsetzung konzentriert sich auf eine (potentiell stetig auszuweitende) Auswahl zentraler Textstellen, in denen sakrales Klanggeschehen greifbar wird. Neben dem vokalen Bereich sind in dieses Klanggeschehen biblische Musikinstrumente mit eingebunden (der Terminus meint hier also ausschließlich Instrumente, die in der Bibel selbst erwähnt sind, nicht solche, „die in biblischen Zeiten gebraucht wurden, die also zu den beschriebenen Ereignissen chronologisch und geographisch gehören“; Braun, Art. Biblische Musikinstrumente, MGGonline 2016 [1994]).

Die ersten Zugänge (Analyse der textlichen, bildlichen und kompositorischen Reflexion und Rezeption betreffen): (1) Gen 4,21-22: Figur des Jubal; (2) Ex 15,20-21: Mirjams Siegesgesang; (3) Ex 28 und 39: Priestergewänder; (4) Jos 6: Eroberung von Jericho; (5) 1. Sam 16 und 18: David spielt vor Saul; (6) 2. Sam 6,12-22 / 1 Chr 15,27-29: Überführung der Bundeslade; (7) Amos 5,23: „Thu nur weg von mir das geplerr deiner Lieder, Denn Jch mag deines Psalterspiels nicht hören“ (Luther 1545).

Arbeitsprogramm

1) Datenbank für Texte, Bilder und Kompositionen (Hilfskraft mit Projektleiter).

2) Bibliographie (Hilfskraft mit Projektleiter).

3) Beschreibung und Auswertung des Materials in Einzelstudien (Projektleiter; auch denkbar in Form von Qualifikationsarbeiten).

Personen

Prof. Dr. Thomas Schipperges (Projektleitung)

Moritz Ott B. A. (Hilfskraft)

Forschungsliteratur

(Auswahl allgemeiner Überblicke)

  • Augustus Friedrich Pfeifer, Über die Musik der Alten Hebräer, Erlangen 1779.
  • Joseph Saalschütz, Geschichte und Würdigung der Musik bei den Hebräern, Berlin 1829.
  • Hugo Greßmann, Musik und Musikinstrumente im Alten Testament, Gießen 1903.
  • Curt Sachs, Musik des Altertums, Breslau 1924.
  • Robert Lachmann, Die Musik des Orient, Breslau 1931
  • Peter Gradenwitz, The Music of Israel. Its Rise and Growth Through 5000 years, New York 1949; dtsch.: Die Musikgeschichte Israels, Kassel 1961; Neuausg.: The Music of Israel. From the Biblical Era to Modern Times, Portland/Oregon 1996.
  • Eric Werner, Hebräische Musik (Das Musikwerk), Köln 1961.
  • Alfred Sendrey, Music in Ancient Israel, New York 1969; dtsch.: Musik in Alt-Israel, Leipzig o. J.
  • Hans Seidel, Musik in Altisrael. Untersuchungen zur Musikgeschichte und Musikpraxis Altisraels anhand biblischer und außerbiblischer Texte (Beiträge zur Erforschung des Alten Testaments und des antiken Judentums 12), Frankfurt am Main 1989.
  • Joachim Braun, Biblische Musikinstrumente, in: 2MGG, Sachteil, Bd. 1, Kassel und Stuttgart 1994,   Sp. 1503-1537.
  • Joachim Braun: Die Musikkultur Altisraels/Palästinas: Studien zu archäologischen, schriftlichen und vergleichenden Quellen. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999.

Texte Projektleiter

  • Art. Gesang I. Allgemeines [Ursprungsfrage, religiöse Dimension], II. Religiöser Gesang, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, vierte, völlig neu bearb. Aufl., hrsg. von Hans Dieter Betz, Don S. Browning, Bernd Janowski und Eberhard Jüngel, Bd. 3, Tübingen 2000, Sp. 762-764.
  • Musik der Bibel in Oratorien von Georg Friedrich Händel, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 89 (2005), Köln 2006, S. 47-70.
  • Musik und Bibel. 111 Figuren und Themen, Motive und Erzählungen, zwei Bände: Altes Testament, Neues Testament (Bärenreiter Basiswissen, hrsg. von Silke Leopold und Jutta Schmoll-Barthel), Kassel: Bärenreiter, 2009; Bd. 1, ²2013.
  • Gattungen: Messe (ca. 900 bis ca. 1500); Messe (bis 1600); Passionsvertonungen; Vesperpsalmen, Hymen, Cantica, Magnificat, Lamentationen, in: Geschichte der Kirchenmusik, Bd. I: Von den Anfängen bis zum Reformationsjahrhundert (Enzyklopädie der Kirchenmusik I/I), hrsg. von Wolfgang Hochstein und Christoph Krummacher, Laaber 2011, S. 172-189 und 267-300.
  • Die Mozarts und die Bibel, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 97 (2014), Köln 2015, S. 45-61.
  • Sublime Simplizität. Zum Gesang der Engel im Sanctus der Messe en sol majeur von Francis Poulenc, in: Theologie in Noten. Werkerschließungen und Reflexionen, hrsg. von Wolfgang W. Müller, Ostfildern 2015, S. 95-112.
  • „Und als sie sah, wie der König David vor dem Herrn hüpfte und tanzte, verachtete sie ihn in ihrem Herzen“ (2. Sam. 6, 16). Zu einigen Aspekten von Musik und Tanz Davids vor der Bundeslade, ebd., S. 114-124.
  • Art. Bibel, in: Lexikon Oper, hrsg. von Silke Leopold, Kassel (Im Druck).