Philologisches Seminar

Ambiguität

Ambiguität ist ein integraler Bestandteil von Zeichensystemen aller Art und bezeichnet die Eigenschaft einer kommunikativen Äußerung, mehr als nur eine Bedeutung anzunehmen. Das Begriffsspektrum der Ambiguität ist überaus facettenreich und umfasst neben einem engen, exklusiven Verständnis sprachlicher Doppeldeutigkeit (aut–aut) auch die erweiterte Begriffsverwendung allgemeiner Mehrdeutigkeit (vel–vel). Beiden Ansätzen gemeinsam ist die Eigenschaft, eine zählbare Menge an Interpretationen aufzurufen, wodurch sich Ambiguität taxonomisch von zahlreichen sinnverwandten Phänomenen wie Ambivalenz, Vagheit oder Polyphonie abgrenzen lässt (Bauer et al. 2010, Vöhler 2021).

Bei der Textanalyse lässt sich (jeweils aus den Perspektiven der Textproduktion und -rezeption) zwischen einer strategischen und nicht-strategischen Verwendung von Ambiguität unterscheiden (Winkler 2015). Die nicht-strategische Perspektive fragt nach den Mechanismen sprachlicher (bzw. kommunikativer) Uneindeutigkeit auf Systemebene und wie diese von AutorInnen, LeserInnen oder auch bei der Manuskriptedition auftreten oder vermieden werden. Interessanter für die narratologische Forschung der Arbeitsgruppe ist jedoch die strategische Verwendung von Ambiguität, die sich gezielt mit ambigen Textstrukturen auseinandersetzt und dabei nach den Funktions- und Wirkungsweisen bzw. den rhetorischen und ästhetischen Effekten von Uneindeutigkeitsphänomenen in (narrativen) Texten der Antike fragt.

Zu den zahlreichen Feldern literarischer Kommunikation, auf denen Ambiguität eine Rolle spielt, gehört auch das Phänomen der Mehrfachadressierung. Häufig richtet sich ein Text nicht nur an die in der Widmung explizit genannten Personen oder Personengruppen – z.B. (Cornelius) Nepos in Catulls Carmen 1 –, sondern auch darüber hinaus an ein breites Lesepublikum (vgl. ... plus uno maneat perenne saeclo!, v. 10; vgl. McCarthy 2019). Mitunter werden auch gleich explizit mehrere Personen und Personengruppen adressiert, z.B. am Anfang von Ciceros Dialog De finibus, in dem nicht nur Brutus, sondern auch zukünftige (kritische) Leser seines philosophischen Dialoges angesprochen werden (aliquos futuros suspicor).

Mit Robert Kirstein, Simon Grund und Elisabeth Schedel sind drei Mitglieder der Arbeitsgruppe Teil des DFG-Graduiertenkollegs 1808: Ambiguität – Produktion und Rezeption.

Literatur zum Thema (Auswahl)

Zur Theorie der Ambiguität:
  • Bauer, Matthias/Knape, Joachim/Koch, Peter/Winkler, Susanne (2010), Dimensionen der Ambiguität, in: Wolfgang Klein/Susanne Winkler (Hrsg.), Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 158, Stuttgart, Weimar: Metzler, 7–75.

  • Berndt, Frauke/Kammer, Stephan (2009), Amphibolie  - Ambiguität  - Ambivalenz: Die Struktur antagonistisch-gleichzeitiger Zweiwertigkeit, in: Frauke Berndt/Stephan Kammer (Hrsg.), Amphibolie  - Ambiguität  - Ambivalenz, Würzburg: Königshausen und Neumann, 7–30.

  • Winkler, Susanne (2015), Exploring Ambiguity and the Ambiguity Model from a Transdisciplinary Perspective, in: Susanne Winkler (Hrsg.), Ambiguity. Language and Communication, Berlin, Boston: De Gruyter, 1–25.

Zur Ambiguität in antiken Texten:
  • Fontaine, Michael/McNamara, Charles/Short, William Michael (Hrsg.) (2018), Quasi labor intus. Ambiguity in Latin Literature. Papers in honor of Reginald Thomas Foster. Amazon Kindle Direct Publishing.

  • Kirstein, Robert (2021), Half Heroes? Ambiguity in Ovid’s Metamorphoses, in: Martin Vöhler/Therese Fuhrer/Stavros Frangoulidis (Hrsg.), Strategies of Ambiguity in Ancient Literature, Berlin, Boston: De Gruyter, 157–173.

  • Kirstein, Robert (2019), Machtverhältnisse und Wortspiele. Yōko Tawada und Plinius der Jüngere, in: Winter-Froemel, Esme (Hrsg.), Sprach-Spiel-Kunst. Ein Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis, Berlin, Boston: De Gruyter, 247-262.

  • McCarthy, Kathleen (2019), I, the Poet. First-Person Form in Horace, Catullus, and Propertius, Ithaca, London: Cornell University Press.

  • Schedel, Elisabeth (2022), Ambiguities of War: A Narratological Commentary on Silius Italicus’ Battle of Ticinus (Sil. 4.1-479), (= Brill's Narratological Commentaries on Ancient Texts 1) Leiden, Boston: Brill.

  • Vöhler, Martin (2021), Modern and Ancient Concepts of Ambiguity, in: Martin Vöhler/Therese Fuhrer/Stavros Frangoulidis (Hrsg.), Strategies of Ambiguity in Ancient Literature, Berlin, Boston: De Gruyter, 3–10.

In Vorbereitung:
  • Grund, Simon/Kirstein, Robert, Wagner, Julian (Hrsg.) (i.V.), Ambiguity & Narratolgy. Interdisciplinary and Diachronic Perspectives. In preparation for Narratologia. Contributions to Narrative Theory, Berlin: de Gruyter.