Uni-Tübingen

Teilprojekt E01: Ordo renascens: Bedrohung und re-ordering der römisch-italischen Senatsaristokratie im 5. Jh. n. Chr.

Abstract

Teilprojekt E01 untersucht, wie der italisch-römischen Senatsaristokratie die Bewältigung der multiplen Bedrohung gelang, die sich aus dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches im 5. Jh. n.Chr. für die ökonomischen Grundlagen, die politische und soziale Machtstellung und die ideellen Grundlagen, die Selbst- und Weltsicht dieser Reichselite ergab. Ziel ist es, erstmals ein all diese Dimensionen umfassendes Gesamtbild dieses re-ordering-Prozesses zu entwerfen und zu fragen, welche Veränderungen sich in dessen Zuge ergaben, wie sich die Aristokratie im Verlauf des 5. Jhs. also neu formierte.

 

Projektteam

Projektleitung:

Prof. Dr. Sebastian Schmidt-Hofner

Dr. John Weisweiler

Mitarbeiter/innen:

Sarah Bühler

Hilfskräfte

N.N.

Fachgebiete und Arbeitsrichtung

Alte Geschichte

Projektbeschreibung

Im 5. Jh. n. Chr. entglitt dem Römischen Reich in kurzer Zeit die Kontrolle über die meisten seiner Provinzen im Westen, selbst Italien wurde Kriegsschauplatz. Das über immer geringere Ressourcen verfügende, politisch gelähmte weströmische Kaisertum verlor in diesem Prozess an Legitimität und erschien schließlich 476 verzichtbar. Die Zersetzung der imperialen Ordnung führte wenigstens phasenweise und in bestimmten Kontexten zur Bedrohung und Auflösung angestammter Herrschafts- und Sozialbeziehungen, zu Besitzredistributionen und zu Wohlstandverlust.

Eine gesellschaftliche Gruppierung, die von diesen Entwicklungen existentiell bedroht war, war die Senatsaristokratie, die Funktionselite des Imperiums. Getroffen wurde einerseits ihre ökonomische Machtbasis: gerade altaristokratische Familien Roms und Italiens, die über viele Generationen gewaltigen Besitz im ganzen Reich angesammelt hatten, gingen erheblicher Ressourcen verlustig. Viele konnten ihre aufwendige Repräsentation nicht aufrechterhalten und verloren soziale Macht und politischen Einfluss, mit dem römischen Staatswesen verschwanden zudem einflussreiche und einträgliche Karriereoptionen. Zugleich bedrohte der Niedergang des Kaisertums das Wertesystem dieser Schicht, die ideellen Grundlagen ihres gesellschaftlichen Machtanspruchs und die Basis ihrer inneren Statusdifferenzierung, da all dies maßgeblich am Dienst für Kaiser und Reich orientiert war. Über Jahrhunderte eingeübte Verhaltensnormen und Handlungsoptionen standen so zur Disposition. Gleichzeitig belegen Quellen des 6. Jhs. allerdings, dass die römisch-italische Senatsaristokratie auch nach dem Untergang des weströmischen Kaisertums zumindest teilweise eine Rolle als Funktionselite spielte. Es gelang ihr, ein korporatives Standesbewusstsein, bestimmte überkommene Überzeugungen, habituelle Praktiken und Formen der Repräsentation bewahren. Wie sich jene Kontinuitäten und Diskontinuitäten zueinander verhalten, ist sehr umstritten. Ziel des Projektes ist es daher, den re-ordering-Prozess der römisch-italischen Senatsaristokratie in Reaktion auf die Bedrohungen des 5. Jh. umfassend zu untersuchen.

Zentral für diese Fragestellung sind vier Untersuchungsgebiete:

i. Wirtschaftliche Grundlagen und soziale Komposition der Senatsaristokratie

Der Zusammenbruch der Herrschaft im Westen und die wiederholten Angriffe auf Italien trafen die wirtschaftliche Machtbasis der Senatsaristokratie schwer und bewirkten zwangsläufig Veränderungen in deren Zusammensetzung. Verschiedene Quellen spiegeln die ökonomischen Ängste dieser Schicht. In der Forschung existieren unterschiedliche Hypothesen über die Veränderung der wirtschaftlichen Grundlagen der Senatsaristokratie und deren soziale Folgen. Diese werden im Projekt zu überprüfen sein, nicht zuletzt anhand von neuem archäologischem Material.

ii. Die Senatsaristokratie als politischer Akteur

Quellen und Forschung zeichnen hier ein unklares, widersprüchliches Bild. Neuere Studien schreiben der Senatsaristokratie phasenweise gesteigerten Einfluss auf die westliche Reichspolitik zu, doch muss hier stark differenziert werden. In Bezug auf stadtrömische Politik und Kirchenpolitik steht das traditionelle Bild eines Antagonismus zwischen Kirche bzw. aufstrebendem Papsttum und Senat im Raum, das nach aktuellen Studien ebenfalls einer Neubewertung bedarf, noch kaum erforscht ist schließlich die Rolle der Senatsaristokratie im Verhältnis zum Kaiserhof in Konstantinopel. Untersucht werden wird, ob und in welchem Maße die Senatsaristokratie in der sich zersetzenden politischen Ordnung des Westens Einflussmöglichkeiten bewahren, ja vielleicht sogar hinzugewinnen konnte, welche Strategien und welche strukturellen Faktoren dabei zum Tragen kamen, welche Konkurrenzsituationen sich dabei nach außen und innerhalb der Aristokratie ergaben und welche Veränderungen sich bei all dem im Betrachtungszeitraum beobachten lassen.

iii. Ideelle Grundlagen

Sidonius Apollinaris, Spross einer Senatorenfamilie aus Gallien und Stadtpräfekt von Rom 468, konnte einem Rhetoriklehrer im späteren 5. Jh. Komplimente machen, dass er „in diesem Sturm von Kriegen“ der nächsten Generation von Aristokraten Bildung vermittle: Denn nun, „da Ämter und Würden vergangen sind, durch die man Hoch von Niedrig unterschied, wird in Zukunft nur noch die Bildung als Kennzeichen echten Adels gelten“ (Ep. 8.2). Die Stelle zeigt exemplarisch die Bedrohung von Werten und Selbstbild einer Elite, die traditionell an Staat und Kaisertum orientiert war und darauf ihren gesellschaftlichen Machtanspruch und ihre interne Hierarchie gründete. Sie illustriert auch eine typische Bedrohungsdiagnose dieser Schicht und eine daraus abgeleitete Bewältigungsstrategie, nämlich eine primär kulturelle Definition von nobilitas.

Eine weitere Bewältigungsstrategie der Senatsaristokratie im 5. Jahrhundert ist die verstärkte Hinwendung zum Christentum als Bezugspunkt aristokratischer Identität und Repräsentation. Diese Aspekte des Selbstbilds und Repräsentationsverhaltens der Aristokratie werden meist separat oder als Alternativen betrachtet. Dieses Projekt geht von der Hypothese aus, dass der römische Staat (mit dem Niedergang des Kaisertums sogar noch zunehmend) stets ein zentraler Bezugspunkt der aristokratischen Identität blieb, Bildung und Christentum aber nicht als Alternativen, sondern zunehmend gleichwertig hinzutraten. Es wird daher nach dem Zusammenspiel dieser ideellen Ressourcen im re-ordering-Prozess der Aristokratie fragen. Dies führt zum vierten Bereich:

iv. Aristokratische Repräsentation

Bei der Frage, in welche Repräsentationsformen investiert wurde, um symbolisches Kapital zu generieren und so soziale Machtansprüche der Senatsaristokratie in jener Phase der Bedrohung zu begründen, hat man bislang neue Formen wie Kirchen- und Klosterstiftungen, das Almosenwesen oder persönliches Asketentum, aber auch althergebrachte wie die häusliche Repräsentation, das klassische Bildungsideal und Munifizienz im Spielewesen oder für öffentliche Bauten in der Regel getrennt betrachtet. Das Projekt setzt stattdessen auch hier auf Zusammenschau, um so erkennen zu können, wo sich Schwerpunktsetzungen und Veränderungen abzeichnen. Es wird dabei auf die Funktionen abheben, die dem Zusammenspiel dieser Distinktionsstrategien bei der Bewältigung jener Bedrohung der gesellschaftlichen Machtstellung zukam.

Diesen Ansatz wird das Projekt außerdem um eine diachrone Analyse ergänzen, indem es Situationen im Verlauf des 5. Jhs. zu identifizieren sucht, in denen die skizzierte, latente Bedrohungslage eskalierte, und fragt, in welchem Zusammenhang die re-ordering-Prozesse mit solchen Eskalationen stehen. Situationen, die dabei in den Blick genommen werden, sind nicht nur Momente akuter kriegerischer Bedrohung, also etwa die Zeit um 410, die vandalische Bedrohung um 440, der inneritalische Krieg der 470er, der die Neuordnung unter Odoaker hervorbrachte, und die ostgotische Eroberung und Neuordnung in den 490ern; analysiert werden sollen auch Bedrohungssituationen wie kirchenpolitische Konflikte (etwa im Laurentianischen Schisma um 500) oder Phasen der Spannung mit den Machtzentren in Ravenna oder Konstantinopel.

Projektbezogene Vorträge und Publikationen

  • 'Unraveling the Fall: Republicanism, Monarchism and the History of Decline and Fall in Rome', in: Takashi Minamikawa (Hrsg.), Decline and Decline Narratives in the Greek and Roman Worlds, Kyoto University, Kyoto 2017, 87-101.
  • 'Populist Despotism and Infrastructural Power in the Later Roman Empire', in: Clifford Ando und Seth Richardson (Hrsgg.), Infrastructural and Despotic Power in Ancient States, Empire and After, University of Pennsylvania Press, Philadelphia 2017, 149-178.
  • Myles Lavan, Richard Payne und John Weisweiler (Hrsgg.), Cosmopolitanism and Empire: Universal Rulers, Local Élites and Cultural Integration in the Ancient Mediterranean and Near East, Oxford Studies in Early Empires, Oxford University Press, New York 2016.
  • 'From Empire to World-State: Ecumenical Language and Cosmopolitan Consciousness in the Later Roman Aristocracy', in: Myles Lavan, Richard Payne und John Weisweiler (eds), Cosmopolitanism and Empire in Ancient Eurasia: Universal Rulers, Local Elites and Cultural Integration, Oxford Studies in Early Empires, Oxford, 187-208.
  • Myles Lavan, Richard Payne und John Weisweiler, 'Cosmopolitan Politics: Assimilation and Subordination in Ancient Near Eastern and Mediterranean Empires', in: Myles Lavan, Richard Payne und John Weisweiler (Hrsgg.), Cosmopolitanism and Empire: Universal Rulers, Local elites and Cultural Integration in the Ancient Mediterranean and Near East, Oxford Studies in Early Empires, Oxford 2016, 1-28.

Schmidt-Hofner, Sebastian

  •  „Barbarian Migrations and the Economic Challenges to the Roman Landholding Elites in the Later 4th c. AD“. Erscheint Herbst 2017 in Journal of Late Antiquity
  • "Palladius’ Opus Agriculturae und die Ressourcenkonkurrenz landbesitzender Eliten im Imperium Romanum um 400 n.Chr.”, in Vorbereitung für die Akten der Tagung “Bedroht sein. Gesellschaften unter Stress im Vergleich”, Tübingen 2016
  • Universität Bamberg, Internationaler Workshop „Law and Lawmaking in the Acts of the Ecumenical Councils“, 6. Juli 2016: „Consensus universorum (?) – Bedeutung und Funktionen kollektiver Entscheidungsorgane im spätrömischen Reich“.
  • Deutsches Archäologisches Institut Rom, Internationaler Workshop „Der ländliche Raum in der Spätantike“, 8. September 2016: „Migration und die agrarischen Grundlagen der spätrömischen Eliten“.
  • Deutsches Archäologisches Institut Berlin, Internationale Tagung „The Huns between Central Asia, the Near East, and Europe: The Archaeology of Nomadic Imperialism, circa 300 CE – 600 CE“, 3. Dezember 2016: „Barbarian Migrations and the economic challenges to the late Roman landholding elites in the later 4th c.“
  • Deutsches Historisches Institut London, Internationale Konferenz „Forced Movement in Late Antiquity“, 6.-8. April 2017: „Barbarian Migrations und the Social and Economic Challenges for Roman Landholding Elites in the 4th c.“
  • Deutsches Archäologisches Institut, Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik München, Workshop „Rhetorik oder Realität? Zum Umgang mit kontrovers diskutierten Zeugnissen der christlichen Spätantike“, 25.-26. April 2017: „Das opus agriculturae des Palladius und der sozioökonomische Kontext spätrömischer Agrarschriftstellerei“.
  • Universität Köln, Gastvortrag, 13. Juli 2017: „Quoddam sacerdotium: Cassiodor und der spätrömische Staatsadel“.

John Weisweiler

  • (2017). Unraveling the Fall: Republicanism, Monarchism and the History of Decline and Fall in Rome, in: Decline and Decline Narratives in the Greek and Roman Worlds, Hg. Takashi Minamikawa, Kyoto, S. 87-101.
  • (2017). Populist Despotism and Infrastructural Power in the Later Roman Empire, in: Infrastructural and Despotic Power in Ancient States, Empire and After, Hg. Clifford Ando und Seth Richardson , Philadelphia, S. 149-178.
  • (Zusammen mit) Myles Lavan und Richard Payne (Hg.) (2016). Cosmopolitanism and Empire: Universal Rulers, Local Élites and Cultural Integration in the Ancient Mediterranean and Near East, Oxford Studies in Early Empires, Oxford.
  • (2016). From Empire to World-State: Ecumenical Language and Cosmopolitan Consciousness in the Later Roman Aristocracy, in: Cosmopolitanism and Empire in Ancient Eurasia: Universal Rulers, Local Elites and Cultural Integration in the Ancient Mediterranean and Near East, Hg. Myles Lavan, Richard Payne und John Weisweiler,Oxford Studies in Early Empires, Oxford, S. 187-208.
  • (Zusammen mit) Myles Lavan und Richard Payne (2016). Cosmopolitan Politics: Assimilation and Subordination in Ancient Near Eastern and Mediterranean Empires', in: Cosmopolitanism and Empire: Universal Rulers, Local elites and Cultural Integration in the Ancient Mediterranean and Near East, Hg. Myles Lavan, Richard Payne und John Weisweiler, Oxford Studies in Early Empires, Oxford 2016, S. 1-28.

Sarah Bühler

  • Tübingen, 23. Juli 2016: „Aristokratie, Adel, Elite, Nobilität, Stand oder Klasse? – Überlegungen zu Beschreibungskategorien der römisch-italischen Senatoren im 5. Jh.n.Chr.“
  • Universität Freiburg i.Ü., Studientag der Schweizerischen Studienstiftung, 15. Oktober 2016: „Was bleibt uns außer Bildung? – Re-Ordering der Senatsaristokratie im 5. Jh.n.Chr.“
  • Tübingen, Tagung „Die Praxis des Vergleichens – Wissensproduktion in interdisziplinären Forschungsverbünden“, 21. April 2017: „Soziale Netzwerke in bedrohten Ordnungen im Vergleich: Ein Arbeitsbericht.“
  • Yale University, Internationale Konferenz „Shifting Frontiers XII: The Fifth Century – Age of Transformation”, 23.-26. März 2017: „Maintaining an Empire in Times of Crisis: Legislation in the early Years of the Reign of Valentinian III.“
  • HU Berlin, Gastvortrag, 09. Januar 2019: „Quid enim fortunatius quam agrum colere et in urbe lucere (Cass. Var. 6,11,2) – Transformationen von Wohn- und Wirtschaftsformen spätantiker Eliten in Italien.“
  • Ghent University, Internationale Konferenz „Later Roman Italy: Imperium to Regnum“, 10.- 12. Januar 2019: “Landholding patterns in Late Antique Italy.“

Tagungen, Workshops, Konferenzen

Internationale Tagung (Rom, Deutsches Archäologisches Institut& Istituto Svizzero, 21.- 23. März 2019): Italy in the Fifth Century: Social, Political and Economic Transformations in a threatened Society, 395-493 CE.:

  • Vortrag (Tübingen): Michele Salzman (University of California, Riverside), 11. Juli 2016: „Resistance and Resilience: Urban Prefects, Bishops and Emperors in Fifth Century Rome“.
  • Workshop (Tübingen): Michele Salzman (University of California, Riverside), 18. Juli 2016: „From Civic Right to Christian Charity: The Office of the urban Prefect and the Annona of Rome from the Fourth – Sixth Centuries“.
  • Vortrag (Tübingen): David Engels (Brüssel), 22. Juli 2016: „Auf dem Weg ins Imperium? Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der Römischen Republik“.
  • Workshop (Tübingen): Zusammen mit Dr. Simon Strauß (SFB 644 „Transformationen der Antike“), 22.-23. Juli 2016: „Probleme und Chancen einer antiken Gesellschaftsgeschichte“, (Besprechung auf HsozKult, 29.10.2016).
  • Vortrag (Tübingen): Sebastian Schmidt-Hofner (Universität Tübingen), Tagung „Bedroht sein. Gesellschaften unter Stress im Vergleich“ des SFB 913, 30. September 2016: „Spätrömische Agrarschriftstellerei und die Ressourcenkonkurrenz landbesitzender Eliten im Imperium Romanum um 400 n.Chr.“
  • Vortrag (Tübingen): Silvia Orlandi (La Sapienza, Rom), 16.05.2017: „Towards Late Antiquity: New Texts and new issues from Late Antique Rome.“