Institut für die Kulturen des Alten Orients

Mehrdimensionale Philologie im Pronaos von Esna in Oberägypten (Reinhart Koselleck-Projekt, DFG)

Die Inschriften des Pronaos von Esna stammen zum überwiegenden Teil aus dem 1.–3. Jahrhundert n. Chr. und stellen damit eines der jüngsten und umfangreichsten sowie in sich geschlossenen hieroglyphischen Textkorpora dar, das auf uns gekommen ist. Die Texte sind bekannt für ihre Wiedergabe in einer durch und durch lokal geprägten „Orthographie“, die auf den ersten Blick ein Verständnis vielleicht erschweren mag, aber darauf ausgelegt war, Begriffen (darunter vor allem theophoren Elementen, materiae sacrae und Toponymen) einen mehrdeutigen Sinn zuzuweisen und die hinsichtlich ihrer Produktivität einzigartig war. Hinzu kommt, dass anscheinend der Ort, wo die spezifische Wiedergabe eines Wortes, einer Sequenz oder eines Satzes angebracht war, eine maßgebliche Rolle für ihre Bedeutung innerhalb der Dekoration des Pronaos spielte und daher die Ausgestaltung des Gebäudes als integral verstanden werden kann und muss.

Alle Texte des Pronaos wurden von Serge Sauneron mustergültig zwischen 1963 und 1975 (Esna II–IV, VI; der Band Esna VII erschien 2009 posthum, hier allesamt kostenfrei herunterzuladen auf den Seiten des IFAO) mustergültig ediert, und diesem großen Ägyptologen ist auch die Erschließung der Grundzüge der lokalen Theologie zu verdanken (nicht zuletzt durch seine Übersetzung zahlreicher zentraler Texte).

Bei diesen Arbeiten standen die oben gegebenen Spezifika nicht im Fokus (wiewohl sich Sauneron ihrer Bedeutung sehr wohl bewusst war, vgl. etwa Esna VIII), so dass hier das 2022 gestartete Reinhart Koselleck-Projekt ansetzt.

Um eine möglichst gesicherte Basis zu schaffen, ist es zunächst das Ziel, zum ersten Mal für alle Texte des Pronaos eine deutsche Übersetzung vorzulegen (Beispiel: Abb. 3) sowie die Besonderheiten des Schriftsystems durch ein Glossar, in dem die mitunter sehr unterschiedlichen Graphien aller Begriffe vollständig versammelt sind (Beispiel: Abb. 4), und eine Zeichenliste (Beispiel: Abb. 5) für die Scientific Community zu erschließen. Darüber hinaus werden in Einzelstudien besondere Aspekte, Texte, Darstellungs- und Schreibkonventionen der Dekoration aus Esna untersucht. Von großer Hilfe und von großem Nutzen wird sich dabei die umfangreiche Dokumentation erweisen, welche die bereits gereinigten Partien des Pronaos nach den Restaurierungsarbeiten des Esna-Projektes wiedergibt, so dass sich nicht nur gravierte, sondern auch rein aufgemalte Elemente in die jeweilige Arbeit einbeziehen lassen.

Projektmitarbeiter

Projektleiter: Prof. Dr. Christian Leitz.

Wissenschaftliche Mitarbeiter: Florian Löffler, M.A., Dr. Daniel von Recklinghausen, Dr. Bettina Ventker.

Bisherige Veröffentlichungen

Monographien

Chr. Leitz, Fl. Löffler, Chnum. Der Herr der Töpferscheibe. Altägyptische Embryologie nach Ausweis der Esna-Texte. Das Ritual „Darbringen der Töpferscheibe“, Studien zur spätägyptischen Religion 26, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2019.

D. von Recklinghausen, Das Land von Pfeil und Bogen. Studien zu Neith und ihren Attributen in der Theologie des Tempels von Esna. Esna-Studien I, Studien zur spätägyptischen Religion 36, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2022.

Chr. Leitz, Einleitung in die Litaneien von Esna. Esna-Studien II, Studien zur spätägyptischen Religion 38, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2022.

Chr. Leitz, Hieroglyphika latopolitana. Eine Studie zu mehrdeutigen Schreibungen in Esna. Esna-Studien III, Studien zur spätägyptischen Religion 39, Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2023.

Aufsätze

D. von Recklinghausen, Der Kaiser und seine Mitregenten in Hieroglyphen. Zu einer neuen Inschrift im Tempel von Esna, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts Kairo 76/77, 2020/2021, 353–368.

D. von Recklinghausen, Zur Lesung des Wortes "Ꜣḥt" in den Inschriften von Esna, in: Lingua Aegyptia 29, 2021, 291–302.

Letzte Aktualisierung: 24. April 2023 (Florian Löffler).