Wellbeing@Uni-Tübingen - Wohlbefinden als ein Baustein Nachhaltiger Entwicklung von Hochschulen
by Eilan Ulmer, Carina Betz, Maike Weynand, Thomas Potthast
14.07.2025
Im Alltag der Menschen – außerhalb von Extremsituationen – stellt sich die Frage, wie Lebensqualität und Lebenszufriedenheit individuell und kollektiv gesteigert werden können. Es herrscht weitgehender Konsens darüber, dass die Förderung von Wohlbefinden ein erstrebenswertes gesellschaftliches Ziel darstellt, denn (psychische) Gesundheit und Wohlbefinden ist für alle Menschen relevant. Die Vereinten Nationen haben die Erhaltung und Förderung von Gesundheit als eines der aktuell 17 übergreifenden Ziele für Nachhaltige Entwicklung in ihre Agenda 2030 aufgenommen (1). Dem Brundtland-Bericht aus dem Jahr 1987 zufolge liegt Nachhaltiger Entwicklung die Grundmaxime zugrunde, die Bedürfnisse aller heute lebenden Menschen zu erfüllen, ohne dabei die Möglichkeiten zukünftiger Generationen einzuschränken oder zu gefährden (2). Dieses Konzept folgt der Idee von inter- und intragenerationeller Gerechtigkeit, wobei ein gutes Leben für alle gewährleistet werden soll, ohne die Mitwelt und damit die Grundlagen für ein gutes Leben in Zukunft zu zerstören. Die Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden ist damit ein wesentliches Element Nachhaltiger Entwicklung und bildet zugleich die Grundlage für nachhaltigkeitsorientiertes Handeln.
Was aber wird unter Gesundheit und Wohlbefinden genau verstanden? Das Konzept der Salutogenese von dem Soziologen Aaron Antonovsky (3) versteht Gesundheit als dynamischen Prozess, nicht als statischen Zustand, wobei sich der Mensch stetig auf einem Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit bewegt. Dieser Prozess unterliegt dem Einfluss des eigenen Handelns sowie den Umweltverhältnissen, bspw. Wohnumgebung und Arbeitsumfeld, in denen sich ein Mensch wiederfindet. Ein zentraler Gedanke für das Konzept der Salutogenese ist das Kohärenzgefühl. Damit ist gemeint, dass Menschen sich dann gesund fühlen, wenn sie die Welt als verstehbar, sinnhaft und sich selbst darin als selbstwirksam wahrnehmen. Aus dieser Konzeption geht die Bedeutung der Wechselwirkung zwischen Menschen und seiner Umwelt hervor, wie sie auch in der Nachhaltigen Entwicklung betont wird. Die Gesundheit von Menschen ist nicht losgelöst von den Kontexten und Mitwelten zu betrachten, in denen sie leben. Vielmehr sind menschliche Gesundheit und gesunde Lebensumwelten wechselseitig voneinander abhängig. Schon in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung der WHO von 1986 wurde die Relevanz von intakten Lebensumwelten für die menschliche Gesundheit herausgestellt und damit eine Forderung für einen nachhaltigen Umgang mit Umwelt und Ressourcen formuliert (4).
Wohlbefinden, welches als Teil von Gesundheit gesehen wird, ist somit ein multidimensionales, komplexes, dynamisches Gebilde, das „physische, psychische, soziokulturelle und sozialökologische Komponenten“ (Hornberg 2016, S.3) in sich vereint. So fällt die Antwort auf die Frage nach der Bedeutung des Begriffs „Wohlbefinden“/ „Wellbeing“ und wie es sich fördern und erreichen lässt, wohl für jede Person unterschiedlich aus, denn das, was es für das eigene Wohlbefinden braucht, kann sich unterschiedlich ausprägen. Gleichzeitig gibt es universelle menschliche Grundbedürfnisse und gesellschaftliche Strukturen, die unser Wohlbefinden beeinflussen. Systeme, politische Rahmenbedingungen und kulturelle sowie soziale Gegebenheiten spielen dabei eine ebenso zentrale Rolle wie persönliche Lebenskonzepte und individuelle Vorstellungen von Wohlbefinden. Das Thema Wohlbefinden bewegt sich also sowohl in seiner Definition als auch seiner praktischen Gestaltung in einem Spannungsfeld zwischen persönlicher Gestaltung, kollektiver Verantwortung und Systemdynamiken. (4)
Die Okanagan-Charta für gesundheitsfördernde Universitäten und Hochschulen von 2015 betont, dass Gesundheitsförderung nicht auf die individuelle Ebene reduziert werden kann, sondern ein Ineinandergreifen proaktiver sozial-ökologischer Maßnahmen von unterschiedlichen Akteuren erfordert. Demnach sind alle Institutionen, Organisationen, Systeme und Kontexte, in denen Menschen leben, lernen und arbeiten, für die Gesundheitsförderung verantwortlich, nicht etwa nur das Gesundheitswesen. Außerdem stellt die Charta heraus, dass das Wohlbefinden des Menschen und das des Planeten voneinander abhängig sind und das Hochschulwesen eine verantwortende Rolle bei der Förderung von „Gesundheit, Gleichheit, soziale(r) Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ spielen muss (5).
Infolgedessen stehen auch Hochschulen in der gesellschaftlichen Verantwortung der Stärkung des Wohlbefindens ihrer Mitglieder. Hochschulen können und sollten auf vielfältige Weise zum Wohlbefinden ihrer Mitglieder und darüber hinaus zur gesellschaftlichen Gesundheitsförderung beitragen. Möglichkeiten hierzu sind unter anderem die Bereitstellung von Angeboten im Rahmen von beispielsweise Gesundheitsprogrammen oder Beratungsstellen sowie das Schaffen von niedrigschwelligen Zugangsmöglichkeiten zu den Angeboten.
An dieser Stelle hat das Vorhaben Wellbeing@Uni-Tübingen angeknüpft. Dieses wurde vom Verbundprojekt KuNaH - Kultur der Nachhaltigkeit an Hochschulen initiiert und in Zusammenarbeit mit dem studentischen Gesundheitsmanagement (SGM), dem betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM), dem Kompetenzzentrum für Nachhaltige Entwicklung (KNE), der PhD-Initiative SustainAbility der Universität Tübingen, sowie dem externen Unternehmen Mental Break entwickelt. In Form eines Realexperiments wurde dabei erforscht, wie das Wohlbefinden der Angehörigen der Universität Tübingen (UT) unterstützt und gefördert werden kann.
Unter „Realexperiment“ versteht man eine wissenschaftliche Methode in der transformativen Forschung. Gemeinsam mit Praxisakteur*innen wird in einem Prozess von Co-Design, Co-Produktion und Co-Evaluation in den realweltlichen Alltag interveniert. Durch diese Experimente sollen gesellschaftliche Phänomene empirisch erfasst, aber auch Impulse für Transformation gesetzt werden. Bei einem universitätsweiten Vernetzungstreffen im Mai 2023 zum Thema „Kultur der Nachhaltigkeit an der Universität Tübingen“ wurde unter anderem das Thema „Mental Health“ bzw. das umfassender formulierte Themenfeld „Wohlbefinden“ (Wellbeing) von den teilnehmenden Universitätsangehörigen als besonders relevant identifiziert und bearbeitet.
Beim Dies Universitatis – Markt der Möglichkeiten der UT bot sich die Gelegenheit, mit Studierenden über das Thema Wohlbefinden ins Gespräch zu kommen und sie zur Teilnahme an einer kurzen Umfrage einzuladen. Dabei zeigte sich, dass Wellbeing für die Studierenden ein wichtiges, umfassendes Thema ist und sie sich sichtbare und vielfältige Angebote wünschen. Die Wünsche betrafen individuelle Bedürfnisse wie mehr Plätze beim Hochschulsport, mehr Anlaufstellen für Beratungsangebote und (naturnahe) Orte zur Erholung oder der Begegnung. Aber auch strukturelle Fragen wurden aufgeworfen, beispielsweise nach erschwinglichem Wohnraum oder nach einer angemessenen Ausgestaltung von Arbeitsverträgen und Kapazitäten.
Wie bereits erwähnt, befindet sich das Wohlbefinden im Spannungsfeld zwischen persönlicher Gestaltungsfreiheit, kollektiver Verantwortung und systemischen Dynamiken. Die in unserem Realexperiment entstandene 6 Ways to Wellbeing-Kampagne sowie die Wellbeing@Uni-Tübingen-Website sollen Studierende und Mitarbeitende der UT beim Auffinden von Wellbeing-Angeboten für ihre persönlichen Bedarfe unterstützen. Die Gefahr besteht jedoch, dass die Verantwortung für Wohlbefinden auf Einzelne ausgelagert wird. Daher liegt die große Herausforderung insbesondere darin, auch die organisationalen und kollektiven Strukturen des Hochschulsystems (wie beispielsweise durch #IchbinHanna thematisiert) zu adressieren. Diese sind geprägt von den politischen Rahmenbedingungen sowie kulturellen und sozialen Gegebenheiten. Diese gilt es so zu verändern, dass sie das Wohlbefinden unterstützen und nicht behindern, denn – so schreiben die Psychologen Fisher & Ng (6):
“Well-being is not either personal, organizational, or collective, but the integration of them all. For any one of these spheres – personal, organizational, or collective – to experience well-being, the other two need to be in equally good shape.” (6)
Wohlbefinden ist damit ein essenzieller Bestandteil Nachhaltiger Entwicklung auch an der Universität Tübingen und insgesamt eine wichtige Dimension von Kultur(en) der Nachhaltigkeit an Hochschulen.
Literatur
(1) Vereinte Nationen (1992). Agenda 21; Vereinte Nationen (2015): Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung.
(2) Volker Hauff (Hrsg.) (1987). Unsere gemeinsame Zukunft: der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. 1. Auflage. Eggenkamp, Greven.
(3) Antonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. dgvt-Verlag, Tübingen.
(4) Hornberg, C. (2016). Gesundheit und Wohlbefinden. In U. Gebhard & T. Kistemann (Hrsg.), Landschaft, Identität und Gesundheit: Zum Konzept der Therapeutischen Landschaften (S. 63–69). Springer Fachmedien. doi.org/10.1007/978-3-531-19723-4_5
(5) Internationale Konferenz zu gesundheitsfördernden Universitäten und Hochschulen, (B C.)). (2015). Okanagan Charta: Eine internationale Charta für gesundheitsfördernde Universitäten & Hochschulen. doi.org/10.14288/1.0428837
(6) Fisher, A.T.; Ng, E.C.W. (2013). Understanding Well-Being in Multi-Levels: A review. S. 315. ResearchGate. doi.org/10.5195/hcs.2013.142
KuNaH - Kultur der Nachhaltigkeit an Hochschulen ist gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) – Fördermaßnahme: „Transformationspfade für nachhaltige Hochschulen.“, Laufzeit Oktober 2022 – September 2025, Förderkennzeichen: 01UN2205A.
Autor: Eilan Ulmer, Carina Betz, Maike Weynand, Thomas Potthast
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