Friedrich List: Die Staatskunde und Staatspraxis Württembergs im Grundriß (1818)
Im Jahre 1817, also vor zweihundert Jahren, erhielt die Universität Tübingen durch Oktroy des württembergischen Ministers für Kirchen- und Schulangelegenheiten, Karl August Freiherr von Wangenheim (1773-1850), zwei neue Fakultäten. Neben der Katholisch-theologischen Fakultät war dies die Staatswirtschaftliche Fakultät. Wangenheim war von 1811 bis 1816 auch Kurator der Universität. Die neue Fakultät ist ein Vorläufer der späteren Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und die älteste ununterbrochen bestehende Fakultät dieser Richtung in Deutschland.
Treibende Kraft für diese bei der Universität zunächst wegen ihres Praxisbezugs abgelehnte Einrichtung war – abgesehen von früheren Initiativen durch Friedrich Karl von Fulda (seit 1798 Professor für Kameralwissenschaft) – der aus Reutlingen stammende Friedrich List (1789-1846). Die neue Fakultät erhielt Lehrstühle für Theoretische Verwaltungslehre (einschl. Nationalökonomie und Finanzwissenschaft), Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Technologie, ihr Ziel war vor allem die Verbesserung der Ausbildung für die zukünftigen württembergischen Verwaltungsbeamten auf akademischer Basis, deren überkommene und mangelhafte Form List auf das Schärfste kritisiert hatte („Ein ächtes Mittel zur Vertilgung des Schreiber-Unfugs in Württemberg“, 1816). List verfügte, abgesehen von einigen Semestern Jurastudium in Tübingen, über keinen akademischen Abschluss. Seit 1805 arbeitete er in verschiedenen Behörden als Verwaltungsbeamter (Aktuar, später Rechnungsrat), u.a. beim Oberamt in Tübingen. 1817 erhielt List den Lehrstuhl für Staatsverwaltungspraxis an der neuen Fakultät. Das schmale Bändchen zur „Staatskunde und Staatspraxis Württembergs“ sollte als Programm und Leitfaden für seine studentischen Hörer dienen, deren Zahl jedoch klein blieb. Der junge Dozent blieb jedoch in der Universität ein Außenseiter.
1819 gründete List den „Deutschen Handels- und Gewerbeverein“ in Frankfurt/M. und setzte sich für die Abschaffung der innerdeutschen Zollschranken und die Einführung gemäßigter Schutzzölle ein. Durch seine überregionalen politischen Aktivitäten geriet der demokratisch gesonnene List in Konflikt mit der Regierung in Stuttgart und gab seine Professur nach nur wenigen Monaten auf. Seit 1820 vertrat er die Stadt Reutlingen im württembergischen Landtag, kam jedoch im Februar 1821 wegen seines Einsatzes für eine demokratische Verwaltungsreform in Festungshaft auf den Hohenasperg. Von dort floh er nach Frankreich, kam nach Rückkehr erneut in Haft und erklärte sich schließlich zur Auswanderung in die USA bereit. In Amerika arbeitete er als Landwirt, Zeitungsredakteur und Bergbauunternehmer. 1832 wurde er amerikanischer Konsul in Deutschland. Seit 1837 lebte er in Paris, ab 1841 in Augsburg. Als Publizist setzte er sich u.a. für den Eisenbahnbau und die industrielle Entwicklung in Deutschland ein. 1841 erschien sein Hauptwerk „Das nationale System der politischen Ökonomie“. Durch Schutzzölle sollte die inländische Produktivkraft gehoben und ein größerer Wirtschaftsraum geschaffen werden. Hiermit widersprach er den englischen Theoretikern eines unbegrenzten Freihandels. Krank und über die mangelnde Anerkennung in der Öffentlichkeit enttäuscht, nahm Friedrich List sich am 30. November 1846 in Kufstein das Leben. Dort befindet sich sein Grab und auch ein Denkmal.
Literatur:
Eugen Wendler, Friedrich List (1789-1846) – ein Ökonom mit Weitblick und sozialer Verantwortung. Wiesbaden 2013 (UB-Signatur: 54 A 619);
William Henderson, Friedrich List – eine historische Biographie, Reutlingen 1989
(UB-Signatur: 29 A 2746)