Einem aufgerissenen Hosenboden nach einer Rutschpartie am Nordhang des Trosselbachtals in Trossingen, der sogenannten „Rutschete“, im Winter 1909 ist es zu verdanken, dass eine der größten Dinosaurier-Fundstellen aus dem Erdmittelalter entdeckt wurde. Als die Kinder nach der Ursache für den Riss suchten, entdeckten sie mehrere Knochen, die aus dem verwitterten Gestein herausragten. Einen besonders großen Knochen zeigten die Kinder dem Lehrer Gottlob Munz. Da er den Knochen keinem einheimischen Tier zuordnen konnte, wandte er sich an Professor Eberhard Fraas, den Leiter des Königlich Württembergischen Naturalienkabinetts in Stuttgart. Bei der 1911/12 auf Veranlassung von Fraas durchgeführten Grabung fand man das fast vollständige Skelett eines Plateosauriers, des sogenannten „schwäbischen Lindwurms“, wie er wegen seines häufigen Vorkommens in Baden-Württemberg scherzhaft genannt wird.
Angeregt und finanziell unterstützt durch William Diller Matthew, dem Kustos des American Museum of Natural History, unternahm Friedrich von Huene zusammen mit Mitarbeitern des Tübinger Geologisch-Paläontologischen Instituts in den Sommermonaten der Jahre 1921-1923 weitere Grabungen in Trossingen. Von Huene hatte sich 1902 mit einer Arbeit zu den Reptilien der Trias in Tübingen habilitiert und war ab 1908 außerordentlicher Professor für Geologie und Paläontologie an der Tübinger Universität. In den folgenden Jahren konzentrierten sich von Huenes Forschungen auf die Dinosaurier der Trias. Er unternahm zahlreiche Reisen zu Museen und Fundstellen von Fossilien in Europa, Nord- und Südamerika sowie Afrika. Bei der Grabung in Trossingen, deren Ergebnis von Huene als „außerordentlich gut“ bezeichnete, kamen zwei vollständige Skelette triassischer Saurier zu Tage sowie Skelette und Skelett-Teile von 14 weiteren Individuen. Eines der vollständigen Skelette kann bis heute in der Paläontologischen Sammlung der Universität bestaunt werden.
Das Universitätsarchiv verwahrt im Bestand UAT 678 (Institut und Museum für Geologie und Paläontologie) eine Dokumentation zur Grabung in Trossingen. Diese umfasst ein Skizzenheft, in dem die Auffindesituationen der Fossilien zeichnerisch festhalten wurde sowie einer Reihe von Fotos von der Grabung und der Montierung der Knochen zu einem vollständigen Skelett. So lässt sich der Weg vom versteinerten Knochen hin zum kompletten Platoesaurus-Skelett, das in der Institutssammlung präsentiert wird, nachvollzogen werden.
Die Knochen mussten zunächst vorsichtig freigelegt werden bevor die Gesteinsblöcke mit den zusammenhängenden Knochen herausgeschnitten werden konnten. Im nächsten Schritt umwickelte man die Gesteinsblöcke mit Gipsbandagen und transportierte sie ins Institut für Geologie und Paläontologie. Die Präparatoren trennten die fossilen Knochen vom Gestein und fügten sie zu einem vollständigen Skelett zusammen. Hierfür hatte von Huene eine eigene Art der Montage entwickelt, die sowohl die Ausstellung der Knochen als auch die wissenschaftliche Bearbeitung ermöglichte: Die Knochen wurden auf ein Eisengestell gesteckt und nicht wie üblich fest mit dem Gestell verbunden, wodurch eine Beschädigung der Knochen vermieden wurde. Vom Fund der Knochen in Trossingen bis zur fertigen Montage und Aufstellung des Skeletts vergingen mehr als 5 ½ Jahre.
Die neu erschienene Publikation „Aus der Tiefenzeit – Die Paläontologische Sammlung der Universität Tübingen“ stellt die Tübinger Sammlung, eine der größten universitären paläontologischen Sammlungen vor. Neben wissenschaftlichen Beiträgen, die sich auf unterschiedliche Weise der Geschichte und Gegenwart der Sammlung nähern, geben Objektbeiträge einen breiten Einblick in die Vielfalt der Sammlungen. Entstanden ist die Publikation im Rahmen eines Praxisseminars des Masterprofils „Museum & Sammlungen“.
UAT 678/73: Institut und Museum für Geologie und Paläontologie, Plateosaurier-Grabung Trossingen, 1922.
Ernst Seidl, Edgar Bierende, Ingmar Werneburg (Hrsg.), Aus der Tiefenzeit. Die Paläontologische Sammlung der Universität Tübingen, Tübingen 2021.