Es soll tatsächlich Leute geben, die Schillers „Horen“ gebingt [geˈbɪnd͡ʒd] haben, aber die lassen sich an einem Finger abzählen. „Die Horen“ war eine Literaturzeitschrift mit Anspruch, erschienen 1795 bis 1797, und sie soll sehr gut sein. Aber kaum jemand kennt sie. Dagegen kennen die meisten Leute Till Eulenspiegel (der mit den derben Streichen) und wissen so ungefähr, wer Siegfried ist (der mit dem Drachen). Von Faust hat man schon gehört (der mit dem Teufel), von Robinson (der mit dem Schiffbruch) und von Baron Münchhausen (der mit den Lügen). Dies sind alles Geschichten, die als Volksbücher in Reutlingen erschienen sind.
Im 18. Jahrhundert, zur Zeit der Aufklärung, erhielt Bildung einen höheren Stellenwert und es sollte idealerweise jeder Mensch lesen und schreiben lernen, auch und vor allem die weniger privilegierten Gesellschaftsschichten, die „einfachen“ Leute. Der Grundgedanke war, nützliches Wissen für den Alltag durch praktische Bücher zu vermitteln. Doch dann geschah etwas Unerwartetes: die Leute lasen nicht nur Ratgeber über Ackerbau und Viehzucht oder religiöse Texte zur Andacht und Erbauung, sondern sie lasen zur Unterhaltung. Es entstand ein neues, ständig wachsendes Lesepublikum, bei dem Abenteuergeschichten, Sensationsnachrichten und Anekdoten sehr beliebt waren.
Deshalb wurden volkstümliche Erzählungen, die schon seit Jahrhunderten mündlich und schriftlich in verschiedenen Versionen überliefert wurden, als Volksroman in hohen Auflagen gedruckt und zu erschwinglichen Preisen verkauft. Die Reutlinger Drucker übernahmen diese Geschäftsidee aus Frankreich und produzierten seit Ende des 18. Jahrhunderts massenhaft billige Roman-Heftchen. Die Prosa-Texte in deutscher Sprache waren einfach bis derb, die Inhalte oft brutal, gespickt mit klischeehaften Vorstellungen. Während die Historien über Herzog Ernst, Fortunatus oder Till Eulenspiegel aus dem deutschen Raum stammten, sind Kaiser Octavianus, Melusina oder die schöne Magelone französischer Herkunft. Häufig gedruckte Volksromane sind außerdem: Faust, der gehörnte Siegfried, die sieben weisen Meister, Hirlanda, die Heymons-Kinder und Genovefa.
Auch neuere Erzählstoffe wurden verwendet, wenn sie reißenden Absatz versprachen. Der Bestseller des 18. Jahrhunderts schlechthin war Robinson Crusoe von Daniel Defoe und natürlich erschien eine Variante auch in Reutlingen. Zu den Volksbüchern gehörten außer den Volksromanen auch Kalender, Andachtsbüchlein und Ratgeberliteratur.
Bis zur Einführung des ersten Urheberschutzes in Württemberg 1836 waren besonders einige Reutlinger Drucker in sämtlichen deutschen Staaten für ihre Raub- und Nachdrucke berühmt-berüchtigt, obwohl gegenseitiges Nachdrucken, Abschreiben und „Nachnutzen“ auch andernorts betrieben wurde. Die Reutlinger Drucker sparten das Honorar für Autoren oder die Textbearbeitung, verwendeten billigstes Papier, und druckten hohe Auflagen in kürzester Zeit. Druck- und Satzfehler wurden in späteren Auflagen meist nicht korrigiert, weil keine Zeit war. Zum Verbrauch und in schlechter Qualität produziert sind Volksbücher heute nur noch selten erhalten.
Einige Volksbücher waren illustriert. Die Holzschnitte wurden aber oft mehrfach verwendet und dienten dann der Illustration einer „Standard-Situation“: ein Kind wird geboren, jemand heiratet, ein Ritter-Turnier. Es kommt allerdings auch vor, dass das Bild gar nicht zum Inhalt passt. Die Tatsache, dass in Büchern aus verschiedenen Druckereien das gleiche Bild in unterschiedlichen Holzschnitten vorhanden ist, lässt vermuten, dass entweder einer vom anderen „abgemalt“ hat - oder dass sich beide von einer dritten Vorlage bedient haben.
König Gilbaldus verteidigt sich mit dem Speer gegen einen angreifenden Eber. Siegfried schlägt ihm (dem Eber) mit seinem Schwert den Kopf ab.
(Der gehörnte Siegfried, Druckerei G. B. Kurtz, Reutlingen, Dk XI 235)
Während des Kampfes mit einem Wildschwein wird Graf Emerich aus Versehen von seinem Vetter Reymond mit einem Speer getötet.
(Melusina, Druckerei Justus Fleischhauer, Reutlingen, Dk XI 232)
Die Reutlinger Volksbücher waren nicht im niedergelassenen Buchhandel erhältlich. Es gab statt dessen drei andere Vertriebswege: den „Direktverkauf“ beim Verlag in Reutlingen, an Ständen auf Messen und Jahrmärkten oder über die Eninger Kolporteure. Das Dorf Eningen unter Achalm liegt nah bei Reutlingen und die Einwohner lebten bis ins 19. Jahrhundert zum größten Teil vom Kolportagehandel. Sie zogen als Hausierer durch die Lande und verkauften Textilien, Eisen- und Kurzwaren, und die Volksbücher der Reutlinger Verlage. In der Regel waren sie zu Fuß unterwegs und trugen ihre Waren auf dem Rücken in der sogenannten Eninger Krätze.
Durch die Kolporteure hatten die Menschen in ländlichen und abgelegenen Gegenden die Möglichkeit, die Bücher zu erwerben. Das Verkaufsgebiet der Eninger erstreckte sich bis nach Baden, Bayern und in die Schweiz. Für guten Absatz sorgten einerseits die Kalender, die auch die Termine der Jahrmärkte enthielten, als auch der Kolportage-Roman - ein Roman, der Stück für Stück als Fortsetzung erschien.
Zweimal im Jahr - Ende Juli und Ende Dezember - fanden die Eninger Kongresse statt, eine Messe, bei der Reutlinger Handwerker und Fabrikanten den Eningern ihre Waren verkaufen oder in Kommission geben konnten. Es wurden enorme Warenmengen umgesetzt. 1852 verfasste der Gemeinderat eine Vorstellung des Eninger Kolportagehandels, in der es heißt: „[…] was am hiesigen Orte an Kapitalien versteuert wird, 800,000 fl. einzig auf dem Wege des Hausirhandels gewonnen wurde“. 800 000 Gulden sind umgerechnet heute über 10 Millionen Euro.
Der Obrigkeit war der Kolportagehandel ein Dorn im Auge, weil sich nur schwer kontrollieren ließ, welche eventuell revolutionären Ideen auf diesem Weg verbreitet wurden. Andererseits - wenn das Volk schon lesen wollte, dann waren triviale Romane, die sich an überkommene Stereotypen klammerten - und zensiert wurden - diesbezüglich ungefährlich.
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