23.10.2024
Wirtschaftliche Mitbestimmung auch in Caritas und Diakonie?
11. Symposion der Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht
Am Freitag, dem 27. September 2024 veranstaltete die Forschungsstelle für kirchliches Arbeitsrecht zum 11. Mal ihr Symposium zum kirchlichen Arbeitsrecht im Stuttgarter Haus der katholischen Kirche. In diesem Jahr ging es um das Thema „Wirtschaftliche Mitbestimmung“. Der Einladung des Leiters der Forschungsstelle, Professor Hermann Reichold, folgten zahlreiche interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer, darunter auch der ehemalige Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, Dr. Eberhard Natter, sowie Vertreter der Caritas und der Diakonie.
Im ersten Impulsvortrag beleuchtete Dr. Max Mälzer (Hauptgeschäftsführer des Verbandes diakonischer Dienstgeber, Berlin) die neue Norm des § 6 b MVG-EKD unter dem Aspekt der Unternehmensmitbestimmung in der Diakonie. Danach sollen bei Bestehen eines Aufsichtsorgans diejenigen diakonischen Einrichtungen ab einer Größe von 500 Mitarbeiter/innen dazu verpflichtet werden, diese durch eine Vertretung im Aufsichtsorgan der Einrichtung zu beteiligen. Inhaltliche Details zur Unternehmensbeteiligung, so Mälzer, enthalte die Regelung allerdings nicht. Die weitere Ausgestaltung sei nach § 6 b Abs. 2 MVG-EKD dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (EWDE) überlassen, welches eine „verbindliche verbandliche Regelung“ erarbeiten solle. Der Beschluss der entsprechenden Rahmenbestimmung werde Mitte Oktober erwartet. Der Entwurf der Rahmenbestimmung sehe vor, dass bei Dienststellenverbünden die Mitbestimmung bei der „einheitlichen und beherrschenden Einrichtung“ stattfinden soll. Positiv merkte Mälzer an, dass der Vorbehalt vorrangigen Rechts ausdrücklich Erwähnung finde. Die für die zusätzlichen Plätze in den Aufsichtsorganen von der MAV (bzw. der Gesamt-MAV oder der MAV im Dienststellenverbund) entsandten Personen müssten nicht Mitglieder der MAV sein, sondern nur zur MAV wählbar sein.
Wichtig sei auch, dass die Vertreter/innen der Mitarbeiterschaft die gleichen Rechte und Pflichten hätten wie die übrigen Mitglieder des Aufsichtsorgans: Dies gelte sowohl für den Abordnungs-, Versetzungs- und Kündigungsschutz (analog § 21 MVG-EKD) und die Schweigepflicht (§ 22 MVG-EKD) als auch für Aufwandsentschädigungen zur Erstattung konkreter Kosten oder darüberhinausgehende Vergütungen von Mitgliedern des Aufsichtsorgans. Die Umsetzungsfrist bis zum 31.12.2028 entspreche der Vorgabe des § 6b II MVG-EKD. Abschließend merkte Mälzer an, welche Ideen nicht in den Entwurf der Rahmenbestimmung eingeflossen seien: Zum einen eine vorgeschaltete Verhandlungslösung analog dem SEBG-Gesetz, nach der die Dienstnehmer mit der Einrichtung eine passgenaue Mitbestimmungslösung hätten suchen müssen. Darin vermuteten die Dienstnehmer jedoch eine Aushöhlung der Mitbestimmungsrechte. Eine „Mischbesetzung“ aus kirchlich zugeordneten Konzerntöchtern und solchen, die im Anwendungsbereich des BetrVG liegen und nicht zugeordnet sind, wurde als unzulässige Durchbrechung des kirchlichen Rechtskreises angesehen und aus diesem Grunde abgelehnt. Mälzer begrüßte den Entwurf der Rahmenbestimmung und die neue Norm des § 6 b MVG-EKD schlussendlich aufgrund der Klarstellung gegenüber bereits bestehenden Aufsichtsgremien und dem ausdrücklichen Vorbehalt vorrangigen Rechts.
Dem folgten die Ausführungen von Rechtsanwalt Dr. Pascal Ludwig (Greenfort, Frankfurt/M.), der die „Europäische Grundlage der Unternehmensmitbestimmung“ beleuchtete. Dazu legte er zunächst die Grundzüge der Societas Europea, des Statuts der Europäischen Gesellschaft (SE), dar. Für die Gründung einer SE sei der grenzüberschreitende Bezug notwendig. Eine SE könne nur nach einem bestimmten Verfahren, entsprechend den Art. 15 ff. SE-VO, gegründet werden. Als Aktiengesellschaft könne deren Unternehmensverfassung dualistisch mit einem Vorstand und Aufsichtsrat oder auch monistisch mittels eines „Board“-Systems ausgestaltet werden. Zu beachten sei vor allem der Vorrang der Verhandlungslösung des europäischen Mitbestimmungsstatuts. Hierbei würden die Arbeitnehmer von einem besonderen Verhandlungsgremium (BVG) gegenüber den Leitungsorganen der an der SE beteiligten Unternehmen repräsentiert. Diese Lösung weiche vom deutschen Modell ab, bei dem bekanntlich beim Erreichen bestimmter Schwellenwerte automatisch die gesetzlichen Regelungen greifen. Im Folgenden untersuchte der Referent, ob die europäische Rechtsform als „Societas Evangelica“ für die Unternehmungen der Kirche passende rechtliche Rahmenbedingungen bieten könne. So könnte z.B. der Caritas-Verband eine ausländische Tochtergesellschaft gründen und mit dieser zu einer SE verschmolzen werden. Besonders die dargestellte Verhandlungslösung erschien Ludwig als vorteilhaft für die kirchlichen Unternehmungen. Sie eröffne die Möglichkeit, den Dienstnehmervertretern eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung zu treffen, die kirchlichen Unternehmungen und den Grundsätzen der Dienstgemeinschaft gerecht werde. Aufgrund des in § 39 SEBG verankerten Tendenzschutzes müsste bei Scheitern der Verhandlungen ein SE-Betriebsrat, allerdings mit lediglich eingeschränkten Befugnissen, gebildet werden. Die etwaige unternehmerische Beteiligung könnte die Identifikation der Arbeitnehmer mit ihrem kirchlichen Arbeitgeber stärken. Der Referent stellte nicht zuletzt deshalb fest, dass die Gründung einer SE für kirchliche Unternehmungen durchaus denkbar sei. Ein starkes Argument dabei wäre der Umstand, dass die Grundlage für Unternehmensmitbestimmung zwar weltliche Normen bildeten, diese allerdings der Dienstgemeinschaft und den kirchlichen Grundsätzen entsprechend ausgestaltet werden könnten.
Nach einer kurzen Mittagspause, die von allen Teilnehmern zu einem regen Austausch über die vorangegangenen Vorträge genutzt wurde, referierte Professor Stefan Greiner (Universität Bonn) über „Die Neuregelung der Befristung im katholischen Arbeitsrecht – ein Vorbild für weltliche Arbeitsverhältnisse?“. Dabei legte er zunächst die Grundzüge der „Gesamtregelung zur Befristung“ dar, die als ersetzende Entscheidung des Vermittlungsausschusses der Zentralen Arbeitsrechtlichen Kommission (ZAK) der katholischen Kirche am 22. Januar 2024 zustande kam. Diese sei aufgrund des Auseinanderklaffens von weltlicher Rechtslage und Rechtswirklichkeit durch die neuen und besonderen Regelungen zur Kettenbefristung mit Sachgrund begrüßenswert. Dem Willkürvorwurf, der sich die sachgrundlose Befristung ausgesetzt sah, könne nun entgegengehalten werden, dass die spezifische Interessenlage sich im Einzelfall einem Sachgrund annähern könne. Die neue ersetzende Entscheidung werde gleichzeitig durch Ausnahmefälle der „erweiterten Sachgrundbefristung“ mit Nr. 2 Satz 2 gerecht. Durch die ersetzende Entscheidung der ZAK werde die Problematik der Kettenbefristung auch begrenzt: Sie gebe eine zulässige Gesamthöchstdauer von sechs Jahren bei zwölf Verlängerungsmöglichkeiten vor. Diese restriktive und klare Beschränkung von Kettenbefristungen befinde sich auch laut der BAG-Rechtsprechung im Rahmen der richterrechtlich definierten Höchstgrenze. Die „Gesamtregelung Befristung“ in der katholischen Kirche werde im Ergebnis von beiden Seiten als qualitative Verbesserung der Rechtslage im Befristungsrecht angesehen und könne möglicherweise auch Orientierung für künftige Reformen des TzBfG bieten.
Zum Abschluss der Tagung konnte Reichold hochkarätige Teilnehmer für die Podiumsdiskussion gewinnen. Das Pro und Contra der wirtschaftlichen Mitbestimmung in der Kirche diskutierte er mit Elke Gundel (Stiftung Liebenau), Dr. Pascal Ludwig, Marcel Bieniek (Dienstgeberseite AK Caritas) und Wolfgang Geißler (Dienstnehmerseite ARK DCV). Auch und gerade den Ansichten und Anliegen der Mitarbeiter/innen wurde mit zahlreichen wertvollen Beiträgen von Wolfgang Geißler Gehör verschafft. Nach der intensiven Diskussionsrunde bedankte sich Professor Reichold herzlich bei allen Referenten und Teilnehmer für die Mitwirkung zu einem gelungenen Symposium.
Text: Victoria Schwarzer