01.02.2024
,,Klimaproteste im strafrechtlichen Diskurs“
Am 18. Januar begrüßte das Forum Junge Rechtswissenschaft zum letzten Vortrag des Semesters eine große Zahl an interessierten Zuhörern. Dr. Tamina Preuß (Universität Würzburg) beleuchtete in ihrem Vortrag unter dem Titel ,,Klimaproteste im strafrechtlichen Diskurs“ die Strafbarkeit der aktuell für enorme öffentliche Aufmerksamkeit sorgenden Klimaproteste der sogenannten ,,Klimakleber“.
Dabei legte die Referentin den Fokus ihrer Ausführungen auf den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB), ging allerdings auch auf die Nötigung von Verfassungsorganen nach § 105 StGB und die Nötigung des Bundespräsidenten und von Mitgliedern eines Verfassungsorgans nach § 106 StGB ein.
Dem ,,Klimakleben“ unterfalle das Festkleben an Straßen, wodurch Autofahrern die Weiterfahrt unmöglich wird. Die Protestierenden sähen dies als wirksame Maßnahme zur Förderung der Durchsetzung ihrer Ziele (ein dauerhaftes ,,9 €-Ticket“, ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen und die Einrichtung eines „Gesellschaftsrats“) und begriffen ihren Prostest als Form „zivilen Ungehorsams“.
Bei immer größerer Aufmerksamkeit, die die „Klimakleber“ erregten, werde auch die Frage nach der Strafbarkeit der Teilnahme an solchen Blockadeaktionen immer lauter. Zur Strafbarkeit der Blockaden als Nötigung zu Lasten der an der Weiterfahrt gehinderten Verkehrsteilnehmer habe sich noch keine einheitliche Rechtsprechung herausgebildet, was auch an der Struktur des Nötigungstatbestandes liege, dessen Voraussetzungen sich durch eine besondere (Wertungs-)Offenheit auszeichneten und in der Folge auch für die Wissenschaft von besonderem Interesse seien. So liege der mit „Gewalt“ bewirkte tatbestandliche Erfolg nach Maßgabe der ,,Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ (BGH, Urteil v. 20.07.1995 – 1 StR 126/95; gebilligt durch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats v. 07.03.2011 – 1 BvR 388/05) im erzwungenen Anhalten der Verkehrsteilnehmer (ab) der zweiten Reihe, welche durch die Fahrzeuge der ersten Reihe physisch an der Weiterfahrt gehindert würden. Die Fahrzeugführer der ersten Reihe, die lediglich aufgrund einer psychischen Hemmnis vor den (angeklebten) Teilnehmern der Protestaktion zum Stehen kämen, würden so durch die Protestierenden instrumentalisiert.
Von besonderer Bedeutung sei im Weiteren die nach Maßgabe der ,,Verwerflichkeitsklausel“ des § 240 Abs. 2 StGB vorzunehmende Verhältnismäßigkeitsprüfung, in der namentlich in Demonstrations- und Blockadefällen eine Abwägung im Sinne praktischer Konkordanz (die kollidierenden Grundrechte müssen abgewogen und in Einklang miteinander gebracht werden) zwischen den Grundrechten der Demonstrierenden und der (blockierten) Verkehrsteilnehmer vorzunehmen sei. Bei der Abwägung seien – in Orientierung an der Rspr. des BVerfG – verschiedene Kriterien, wie Dauer und Intensität der Blockade, vorherige Bekanntgabe der geplanten Aktion(en), Vorhandensein von Ausweichmöglichkeiten, Sachbezug zwischen Wahl des Protestortes und erstrebtem Ziel sowie Dringlichkeit blockierter Transporte, zu berücksichtigen. Inwieweit auch Fernziele der Protestierenden in die Betrachtung miteingestellt werden können, sei allerdings umstritten. Nach Auffassung der Referentin seien die Proteste in ihrer aktuellen Ausprägung regelmäßig als verwerflich anzusehen. Dies schloss sie vor allem aus den (wenn überhaupt vorgenommenen) vagen Ankündigungen der Blockaden, der Dauer der Beeinträchtigungen wie auch die Auswahl der Protestorte, welche vornehmlich auf Verkehrsknotenpunkte zu Stoßzeiten fiele. Zugleich betonte die Referentin die große Bedeutung der Umstände des Einzelfalles, wonach die Protestaktionen der „Klimakleber“ nicht in jedem Falle als strafbare Nötigung einzustufen seien. Es bestehe, so die Referentin, aufgrund der Vielzahl an Abwägungskriterien eine enorme Rechtsunsicherheit, welche viele Fallstricke für Gerichte bereithalte, zugleich aber auch vielfältige Anknüpfungspunkte für die Verteidigung biete. Eine Strafbarkeit der ,,Klimakleber“ nach Maßgabe der – gegenüber § 240 StGB allzu schnell aus dem Blick geratenden – Straftatbestände der §§ 105,106 StGB, die sich insbesondere hinsichtlich der ,,Deals“ stelle, welche Aktivisten mit Städten (unter Einsatz von Blockadeaktionen als Druckmittel) aushandeln wollten, sieht Preuß derzeit hingegen nicht gegeben. Zum einen sei der Gewaltbegriff in diesen Tatbeständen besonders restriktiv auszulegen, mittelbare Gewalt gegen Dritte oder Sachen sei gerade nicht ausreichend. Zum anderen seien auch die im Rahmen der §§ 105, 106 StGB abschließend aufgezählten Nötigungsadressaten aktuell nicht betroffen.
Abschließend betrachtete Preuß das Phänomen der ,,Klimakleber“ aus rechtspolitischer Perspektive. Als Hintergrund diente dabei ein abgelehnter Antrag der Unionsfraktion im Bundestag, der u.a. zum Inhalt hatte, den Nötigungstatbestand um weitere Regelbeispiele zu ergänzen, welche das Blockieren öffentlicher Straßen unter billigender Inkaufnahme der Beeinträchtigung von Rettungsdiensten usw. sowie die blockadebedingte Beeinträchtigung einer Vielzahl von Menschen erfassen (BT-Drs. 20/4310). Allerdings bestünden gegenwärtig keine Anhaltspunkte für Lücken im Straftatbestand, welche dessen Erweiterung begründen könnten.
Diese strafrechtliche Bewertung sei jedoch keineswegs endgültig. Vielmehr sei mit Spannung die erste höchstrichterliche Rechtsprechung zu Aktionen der „Klimakleber“ abzuwarten. Als wichtige Diskussionspunkte wies Preuß dabei die Frage nach der Einbeziehung von Fernzielen sowie den Sachbezug der Proteste zu Protestort und beeinträchtigten Verkehrsteilnehmern im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung aus. Preuß rief schlussendlich dazu auf, dass die – insbesondere unter Beachtung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu bestimmenden – Grenzen der (Nötigungs-)Strafbarkeit unbedingt zu beachten, die „Klimakleber“ bei Verwirklichung der Tatbestände indes mit der vollen Härte des Gesetzes zu bestrafen seien.
Im Anschluss an den Vortrag bestand für die anwesenden Zuhörerinnen und Zuhörer die Möglichkeit, Fragen an die Referentin zu richten und ggf. weitere Argumente mit in die Diskussion einzubringen. Es entstand ein angeregter Austausch, bei dem u.a. eine Parallele zu den ebenfalls aktuellen Bauernprotesten gezogen wurde und auch insoweit eine knappe Einordnung durch die Referentin erfolgte.
Damit endete erneut eine spannende Vortragsreihe des Forums Junge Rechtswissenschaft. Auch im kommenden Semester wird das Forum wieder zu verschiedenen Vorträgen über aktuelle Rechtsfragen, mit jungen Rechtswissenschaftlern als Referenten, einladen.
Die Veranstaltungen werden rechtzeitig im Vorfeld über die Seiten der Fakultät in den sozialen Netzwerken wie auch auf der Website des Forums bekannt gegeben.
Victoria Schwarzer
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