08.08.2025
Examensfeier der Juristischen Fakultät
Am 23. Juli 2025 feierte die Juristische Fakultät im Rahmen der Examensfeier mit den Tübinger Absolventinnen und Absolventen das Bestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung
Begrüßt wurden die Absolventinnen und Absolventen sowie deren Gäste von der Dekanin Professor Christine Osterloh-Konrad. In ihrem Grußwort rief sie die Examinierten dazu auf, stolz auf ihre Leistungen zu sein, zu denen nicht nur die im Rahmen der Examenskampagne erzielten Ergebnisse, sondern auch auf die Leistungen während des Studiums zählten. Diese hätten den Grundstein für den Erfolg der Examinierten gelegt. Anschließend warf die Dekanin einen Blick in die den Absolventen und Absolventinnen bevorstehende Zukunft, in der bereits neue Aufgaben und Herausforderungen warteten. Bürokratische Hürden müssten abgebaut, alsbald auch Verantwortung für das System und die Demokratie getragen werden. Osterloh-Konradwünschte sich von den Absolventinnen und Absolventen, die erlangten Fähigkeiten hierfür einzusetzen. Mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen, denen Staat und Demokratie sich ausgesetzt sähen, sei es nun auch Aufgabe der Examinierten dazu beitragen, eine neue Kultur des gegenseitigen Vertrauens zu schaffen.
„Die meisten Menschen überschätzen, was sie in einem Jahr erreichen können und unterschätzen, was sie in 10 Jahren erreichen können“ — Bill Gates
Im Anschluss richtete Dr. Cornelia Iffland in Vertretung der Präsidentin des Landesjustizprüfungsamtes, Sintje Leßner, ihr Grußwort an die Anwesenden. Mit den Wort Bill Gates erinnerte auch sie die Examinierten an das in den vergangenen Jahren Geleistete. So überschätzten die meisten Menschen, was in einem Jahr zu leisten und unterschätzten, was in 10 Jahren zu leisten ist. Wie viel mit Disziplin, Fleiß und Durchhaltevermögen auch in fünf Jahren erreicht werden könnte, hätten die Absolventinnen und Absolventen durch ihr abgeschlossenes Jurastudium eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Früchte dieser Leistung veranschaulichte Iffland anhand eines Einblicks in die Notenstatistik. Der Notendurchschnitt liege mit 5,8 Punkten in Tübingen über dem Landesdurchschnitt. Mit einer Durchfallquote von 19,88 % hätten in Tübingen 32 der 161 Teilnehmer der Prüfung diese nicht bestanden. Abschließend gewährte Iffland einen kurzen Ausblick in das den Examinierten bevorstehende Referendariat und die Neuerungen und Reformen, die die zukünftigen Referendare dort erwarte.
Ökonomischer Wettbewerb ist das "genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte" - Franz Böhm
In seinem anschließenden Festvortrag beleuchtete Professor Stefan Thomas unter dem Titel „Wettbewerb und Demokratie“ das Verhältnis von Wettbewerb und Demokratie.
Einführend erläuterte Thomas die zentrale Rolle des Wettbewerbs in Leben und Gesellschaft, die beispielsweise im Sport und der Evolution deutlich werde. Auch die Demokratie enthalte selbst wettbewerbliche Elemente. Während ökonomischer Wettbewerb beschrieben werde als das unabhängige Streben nach Geschäftsabschlüssen mit der Marktgegenseite, sei die Demokratie beherrscht vom stetigen Streben nach Stimmen der Wählerschaft. Mit der sozialen Marktwirtschaft als ökonomischem Wettbewerb und der Demokratie seien damit schon zwei Wettbewerbsmodelle zentrale Funktionsprinzipien in der Bundesrepublik. Deren Koexistenz sei jedoch gerade nicht selbstverständlich. Gemein sei beiden Modellen, dass sie als Mittel gegen die Verfestigung von Machtstrukturen dienen. Ob auch eine wechselseitige Wirkung der Modelle bestehe, untersuchte der Referent im Folgenden.
Als zentralen Punkt aktueller Diskussionen nannte Thomas den von Marktmacht sozialer Netzwerke ausgehenden Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess und damit auch auf den demokratischen Wettbewerb. Aus historischer Perspektive hingegen vergegenwärtigte Thomas am Beispiel der Zwangskartellierung durch das deutsche Zwangskartellgesetz von 1933, wie eine kartellierte und monopolisierte Wirtschaft stärker Eingriffen von staatlicher Seite ausgesetzt sei als eine Wirtschaftsordnung, die nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage funktioniere. Diesen Zusammenhang habe schon Franz Böhm mit seinen Worten, der ökonomische Wettbewerb sei das ,,genialste Entmachtungsinstrument der Geschichte“, deutlich gemacht. Darin komme gerade das Verständnis des Wettbewerbs der ordoliberalen Schule zum Ausdruck, nach deren Grundgedanken der Staat den Rahmen (ordo) für marktwirtschaftliche Prozesse schaffe, innerhalb dessen freie Marktwirtschaft ohne staatliche Einschränkungen bestehe. Der Wettbewerb verhindere durch die Gesetze von Angebot und Nachfrage den Zugriff des Staates auf die Verteilung von Gütern und schütze vor freiheitsbeschränkenden Eingriffen desselben. In einer sozialen Marktwirtschaft könne der Staat jedoch den Wettbewerb nicht allein den Regeln von Angebot und Nachfrage überlassen, vielmehr erfordere eine Güterverteilung im Lichte der Grundrechte gewisse Eingriffe, die nach einem moderneren Verständnis des ökonomischen Wettbewerbs gerechtfertigt seien. Aus der dem Ordoliberalismus zugrundeliegenden Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs lasse sich allerdings auch für das moderne Wettbewerbsverständnis der Grundsatz ziehen, dass der Staat den Akteuren des Wettbewerbs hinsichtlich der Legitimität der am Markt erzielten Ergebnisse Vertrauen entgegenbringe. Hinterfragt werden müsse allerdings nach Ansicht des Referenten, ob das bloße Vertrauen in die Akteure des Wettbewerbs im Lichte der gegenwärtig am Markt gefundenen Ergebnisse noch gerechtfertigt sei. Dies verdeutlichte Thomas am Beispiel der Klimaschädlichkeit von Konsumgütern: Während der gesellschaftliche Konsens ein immer größeres Bedürfnis nach Umweltschutz deklariere, zeichneten die Marktergebnisse diese Auffassung gerade nicht ab. Durch die stetige Nachfrage klimaschädlicher Güter böten die Marktakteure solche auch weiter an. Hier werde das starke Abweichen gesellschaftlicher Überzeugungen vom tatsächlichen Konsumverhalten deutlich, dessen Ursache die mangelnde Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für Nachhaltigkeit sei. Verbesserte Tierschutzstandards etwa führten unmittelbar zu höheren Preisen für entsprechende Güter, die der Großteil der Konsumenten trotz ihres eigentlichen Wunsches nach verbesserten Tierschutzstandards zu zahlen nicht bereit sei. Die aus diesem Konsumverhalten resultierenden negativen Externalitäten wie etwa Umweltschädlichkeit wirkten sich im Endeffekt negativ auf am Wettbewerb unbeteiligte Dritte aus. Insoweit könnten sie damit auch für die Gesellschaft selbst schädlich sein. Um dies zu verhindern, würden vermehrt Eingriffe des Staates in den Markt gefordert, soweit dieser hinsichtlich der Lösung gesellschaftlicher Probleme versage. Hierbei würde unter anderem vertreten, mit Mitteln des Kartellrechts direkt gegen Unternehmen vorzugehen, die etwa mit nachhaltigem Wettbewerb unvereinbare Produktionsweisen verwenden. Geschützt würden durch das Kartellrecht dann nicht mehr nur die Konsumenten, sondern auch Nachhaltigkeit und Umwelt. Diese Ansätze verkennen nach Ansicht des Referenten jedoch die Ursächlichkeit für das Auseinanderfallen von Marktergebnis und gesellschaftlicher Meinung, die im wesentlichen Unterschied der Entscheidungskraft im Rahmen von Wettbewerb und Demokratie zu finden sei. Im Rahmen letzterer sei die Entscheidung der Mehrheit fähig, die Minderheit einzuschränken, die Mehrheit könne die Minderheit überstimmen. Der Konsument im Wettbewerb könne mit seiner Entscheidung allerdings gerade nicht auch über das Konsumverhalten der anderen bestimmen. Das Marktergebnis bilde somit die Gesamtheit einzelner Konsumentscheidungen ab, wohingegen das Ergebnis eines demokratischen Prozesses die Mehrheit der in der Gesellschaft bestehenden Überzeugungen abbilde. Gerade hierbei werde auch die Entmachtungsfunktion des Wettbewerbs deutlich: Ergebnisse des demokratischen und ökonomischen Wettbewerbs könnten sich überschneiden, müssten es jedoch nicht. Der Wettbewerb sichere die Freiheit des Einzelnen, dass seine Konsumentscheidung nicht mit der politischen Meinung der Mehrheit übereinstimmen müsse oder gegenüber dieser zu rechtfertigen sei. Der Wettbewerb habe insoweit auch eine freiheitssichernde Funktion. Die Ergebnisse, die aus dieser resultierten, sollten deshalb in einem demokratischen Staat im Grundsatz ertragen werden, auch wenn sie nicht mit der Mehrheit der politischen Auffassungen übereinstimmten. Das Wesen eines demokratischen Staates stehe deshalb der Bestrebung entgegen, mit den Mitteln des Kartellrechts eine vollständige Übereinstimmung beider Ergebnisse zu erzwingen. Natürlich dürfe und müsse der Staat gegen die Folgen des Konsums auf Umwelt und Gesellschaft mit Gesetzen reagieren, etwa durch gezielte Verbote, Besteuerung oder Beihilfen. Es müsse aber ein Ausgleich gefunden werden zwischen einer solchen Marktregulierung und dem Erhalt von marktlichen Freiheitsräumen, um beide Prozesse – ökonomischen Wettbewerb und Demokratie – zur Entfaltung zu bringen.
Die Schaffung eines derartigen Ausgleichs sei wie so oft gerade Kern auch der juristischen Arbeit. Sich an der Suche nach diesem Ausgleich zu beteiligen, sei daher eine wichtige Aufgabe, an deren Bewältigung sich die frisch examinierten Juristinnen und Juristen aus Tübingen nun beteiligen könnten.
Der Referent wünschte abschließend den Absolventinnen und Absolventen bei der Anwendung dieser erlernten Fähigkeit auf ihrem weiteren juristischen Weg viel Erfolg.
Im Folgenden gratulierte auch der Studierendensprecher Nikita Estreich den Examinierten zur bestandenen Staatsprüfung. Von diesen wünschte er sich, dass sie das in den vergangenen Jahren erlernte verantwortungsvolle Handeln in ihrer zukünftigen Laufbahn für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einsetzen.
Im Anschluss folgte die Verleihung der Promotionspreise der Reinhold-und-Maria-Teufel-Stiftung von Olaf Hummel für die besten Dissertationen des vergangenen Jahres. Geehrt wurden in diesem Rahmen die Dissertationen von Dr. Yannik Christian Duventäster, Dr. Armin Johannes Heßelschwerdt, Dr. Valentin Rebstock, Dr. Lars Florian Sander, Dr. Simon Schurz und Dr. Vincent Stangenberg.
Daraufhin wurden den Masterabsolventinnen und -absolventen der Juristischen Fakultät feierlich die LL.M.-Urkunden von Professor Bernd Heinrich überreicht.
Als Höhepunkt der Feier folgte anschließend die Verleihung der Examensurkunden an die Absolventinnen und Absolventen der Ersten juristischen Staatsprüfung. In diesem Rahmen fand besondere Würdigung die Leistung des Tübinger Absolventen Tobias Vögele, der mit einer Gesamtnote von 13,29 Punkten das beste Tübinger Ergebnis erzielen konnte und dafür mit dem Examenspreis der Juristischen Gesellschaft geehrt wurde.
Untermalt wurden die Feierlichkeiten von den Streicherduo bestehend aus Sebastian Fetzer und Niklas Geiger, die das Publikum unter anderem mit Coldplays „Viva la Vida“ begeisterten.
Im Anschluss ließen die Absolventinnen und Absolventen mit ihren Gästen und den Professorinnen und Professoren die Feierlichkeiten bei einem Empfang in der Wandelhalle ausklingen.
Text: Victoria Schwarzer
Bilder: Studio Photo Schneider