Juristische Fakultät

22.09.2025

Plattformregulierung und Protest: In dubio contra libertatem?

Am 22. Juli 2025 lud das Forum Junge Rechtswissenschaft zum letzten Vortrag der diessemestrigen Vortragsreihe. In diesem Rahmen referierte Dr. Aqilah Sandhu (Universität Augsburg) zum Thema „Plattformregulierung und Protest: In dubio contra libertatem?“

Dr. Aqilah Sandhu

Einführend ging Sandhu dabei auf das Verständnis von Plattformregulierung und Protest ein und wog im Anschluss die von der Regulierung betroffenen Grundrechtspositionen miteinander ab. 

Reguliert würden Plattformen vor allem durch die Regelungen des Digital Services Acts (im Folgenden DSA). Dieser stelle verschiedene Instrumente zur Plattformregulierung zur Verfügung, mithilfe derer eine „Wohlfühlatmosphäre“ im Netz durch Bekämpfung von Desinformationen und Fake-News geschaffen werden solle. Relevant in diesem Zusammenhang seien vor allem diejenigen sehr großen Online-Plattformen, die als sog. „VLOPS“ bezeichnet würden und aufgrund ihrer hohen User-Zahlen eine entsprechend große Relevanz für die Meinungsbildung für sich verzeichnen könnten. 

Die durch den DSA zur Verfügung stehenden Maßnahmen gegen die Plattformbetreiber gingen jedoch auch zwangsläufig mit einer Einschränkung der Meinungsfreiheit einher. Dies verdeutlichte die Referentin am Beispiel der Unterdrückung bestimmter Hashtags, durch die User dann zu einem bestimmten Thema nicht mehr uneingeschränkt Beiträge veröffentlichen könnten. Auf der anderen Seite sehe der DSA auch eine Vielzahl an Selbstregulierungen vor, durch die die Plattformen selbst regulierende Maßnahmen beispielsweise hinsichtlich der Community-Standards treffen könnten. Die Frage, ob diese durch den DSA gefundenen Einschränkungsmöglichkeiten im Hinblick auf Protest im digitalen Raum und die Meinungsfreiheit zu weit griffen, bildete Kern der folgenden Untersuchungen der Referentin. Anknüpfungspunkt für die Abwägung bilde der Begriff der „Systemischen Risiken“, denen der DSA gerade entgegenwirken solle. Dies seien alle tatsächlichen oder absehbaren nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte und auf Wahlprozesse und die öffentliche Sicherheit. Hierbei kritisierte die Referentin besonders den Begriff der „nachteiligen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Debatte“, welcher nicht weiter konkretisiert sei. 

Vertieft widmete Sandhu im Folgenden ihre Untersuchungen dem im DSA vorgesehenen Krisenreaktionsmechanismus. Als Krisenfall in diesem Sinne gelten außergewöhnliche Umstände, die zu einer schwerwiegenden Bedrohung der öffentlichen Sicherheit in (Teilen) der Union führten. Darunter fielen neben Kriegen auch etwa Pandemien und Naturkatastrophen. Auf einen solchen von der Europäischen Union ausgemachten Krisenfall hin empfehle die Union den “VLOPS” bestimmte Maßnahmen zur Krisenintervention, wie etwa die Anpassung von Werbesystemen oder der Nutzungsbedingungen. Kritisch betrachtete Sandhu vor allem, dass schon auf Tatbestandsebene hingenommen werde, dass Charta-Grundrechte der User von anderen Rechten zurückgedrängt würden. Dies führe praktisch zu einem Anreiz zum ,,Overblocking“. Auch machte Sandhu als problematisch aus, dass der Mechanismus dazu einlade, die Sichtbarkeit kritischer Stimmen auf den Plattformen einzuschränken.

Daran anschließend gab die Referentin einen Überblick über die in der Praxis am häufigsten regulierten rechtswidrigen Inhalte und die entsprechende Verteilung auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Hierbei zeigte Sandhu die Schwierigkeit auf, zwischen vorauseilender und ggf. überschießender Selbstregulierung und grundrechtlich relevanten, staatlichen Anordnungen zur Entfernung von Inhalten zu differenzieren. So sei die Verletzung der Versammlungsfreiheit nicht nur im physischen, sondern auch im virtuellen Raum durch Beschränkungen der Online-Kommunikation möglich: Die Versammlungsfreiheit dürfe vor allem mit den Erfahrungen aus der Corona-Krise nicht auf den physischen Raum beschränkt werden. Sie schütze ihrem Sinne nach gerade die kollektive Ausübung von Machtkritik, insbesondere politischer Minderheiten. Dies sei gerade im digitalen Raum deshalb besonders zu ermöglichen, wenn  sich Minderheiten im physischen Raum stärkeren Restriktionen ausgesetzt sähen. Beispiele autoritäre Kontexte zeigten, dass für diese dementsprechend der Ausübung der Versammlungsfreiheit im digitalen Raum ein erhöhtes Gewicht zukäme. Problematisch sei jedoch in diesem Zusammenhang, inwieweit die privaten Plattformbetreiber überhaupt grundrechtsgebunden und inwiefern Regulierung Ausdruck ihrer unternehmerischen Freiheit seien. Zwar handelten unter dem DSA die Plattformbetreiber augenscheinlich autonom, jedoch würden sie durch die ihnen von der Union auferlegten Pflichten stärker zur Beseitigung von „rechtswidrigen Inhalten“ angehalten. Nach Maßgabe der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung genüge für eine Grundrechtsbindung Privater mit Blick auf die Versammlungsfreiheit, dass diese einen „Ort der Begegnung“ schafften, „der dem allgemeinen öffentlichen Verkehr eröffnet“ sei. Sandhu übertrug diese Rechtsprechung auf die vorliegende Problematik und ging insoweit noch weiter, indem sie für die Plattformbetreiber daraus hervorgehend auch eine unmittelbare Grundrechtsbindung annahm, da ihnen als „Gatekeeper“ für den freien Online-Diskurs eine gewisse soziale Mächtigkeit und staatsähnlich dominante Position zukomme. 

Abschließend zog Sandhu als Fazit, dass Plattformen durch die ihnen nach dem DSA auferlegten Pflichten in die Rolle der „Meinungshüter“ gebracht würden. Die Einordnung, welche Kundgaben von der Meinungsfreiheit gedeckt seien, bereite im unionsweiten Kontext besondere Schwierigkeiten und bedürfe zumindest nach der grundgesetzlichen Dogmatik in der Regel einer sorgfältigen Abwägung im Einzelfall. Die Übertragung dieser Aufgabe auf die Plattformbetreiber sei äußerst problematisch und berge die Gefahr, des (diskriminierenden) „Overblockings“, um Sanktionen zu vermeiden. Plattformbetreibern werde die Deutungshoheit über nicht-juristische Konzepte wie „Fehlinformation“, gefährliche und weniger gefährliche Rede übertragen. Vorzugswürdiger sei die Verpflichtung zu konkreten technischen Vorgaben, beispielsweise der effizienten und aus Sicht der Referentin leichter umzusetzenden (automatisierten) Beseitigung von Bot-Accounts.  

Im Anschluss an die Ausführungen der Referentin diskutierte das Publikum mit ihr begeistert ausgewählte Aspekte und Thesen des Vortrags. 

 

Text: Victoria Schwarzer 

 

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