01.02.2024
,,Rechtsschutz oder richterlicher Aktivismus: Die Rolle der Gerichte im Zeitalter des Klimawandels“
Am Dienstag, den 28.11.2023, lud das Forum Junge Rechtswissenschaft gemeinsam mit der Referentin Frau Dr. Corina Heri, LL.M., zum zweiten Vortrag im Wintersemester ein.
Unter dem Titel „Rechtsschutz oder richterlicher Aktivismus: Die Rolle der Gerichte im Zeitalter des Klimawandels“ beleuchtete Dr. Heri ein hochaktuelles Thema und gab Einblicke in ihre Forschung zu ihrem laufenden Habilitationsprojekt.
Zunächst sprach die Referentin über die zunehmende, weltweite Verbreitung von „Klimaklagen“, deren Hintergrund das allgemein wachsende „turn to rights“ bzw. „turn to courts“-Phänomen sei. Dabei seien nicht alle Klimaklagen gleich. Vielmehr seien sowohl die mit den Klagen verfolgten Ziele als auch die Beklagten divers: Die begehrten Maßnahmen bestünden teils in Emissionsreduzierung, teils in der Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen; gerichtet seien die Klagen teils gegen Staaten, teils gegen Unternehmen, teils aber auch gegen Einzelne.
Den Schwerpunkt des Vortrags bildete sodann die Rolle des EGMR, vor dem immer mehr „Klimafälle“ eingehen. Aktuell seien dort die ersten drei Klimafälle vor der Großen Kammer anhängig. Zu diesen Fällen zähle unter anderem die Klage sechs junger Menschen aus Portugal, die sich gegen 32 Staaten richte und mit der die Kläger eine Verletzung ihrer Menschenrechte durch unzureichenden Klimaschutz geltend machen.
Heri warf die Fragen auf, was von Gerichten bei der Beurteilung von Klimafällen erwartet werden könne, wozu Regierungen verpflichtet seien und wer klagen dürfe. Sie referierte einige Stimmen aus der Wissenschaft, die starke Kritik an dem Ansatz üben, Klimaschutz vor Gericht durchzusetzen. Nach deren Ansicht werde die Rolle der Gerichte hierdurch überstrapaziert: Da die Urteile des EGMR für die betroffenen Staaten verbindlich seien, bestünde die Gefahr, dass sich eine ausgewählte Elite über nationale Beschlussfassungen demokratisch legitimierter Organe hinwegsetze und Klimapolitik betreibe. Damit könne die Gewaltenteilung in Gefahr geraten. Ein Gegenbeispiel aus der Praxis fände sich aber bereits in den Niederlanden: Im Fall Urgenda verurteilte der Hoge Raad die niederländische Regierung zur stärkeren Reduktion von Treibhausgasen.
Im Folgenden führte Heri aus, dass aus menschenrechtlicher Sicht bei der Behandlung von Klimafällen drei parallele Diskussionen unterschieden werden müssten: die Diskussion um die Entwicklung von Umweltgrundrechten (Umwelt-Konstitutionalisierung); das Klimavölkerrecht (u.a. das Pariser Klimaabkommen); sowie die auf die Verletzung von Menschenrechten gestützte Klimaklagen. In Bezug auf Letztere analysierte Heri am Beispiel der EMRK mehrere Optionen für die Gewährleistung von Klimaschutz durch Gerichte. So könnten repräsentative Klagen durch NGOs oder Klagen in Bezug auf größere Gebiete zugelassen werden (ähnlich dem Fall der beim EGMR anhängigen Klage aus Portugal) – der Begriff der Territorialität ließe sich umdenken. Außerdem könnten aus der EMRK ein neues Recht auf eine gesunde Umwelt oder Rechte zukünftiger Generationen entwickelt werden. Eine solche Entwicklung wäre revolutionär – und unwahrscheinlich, denn der EGMR übe sich aktuell eher in richterlicher Zurückhaltung: In den letzten zehn Jahren habe sich ein zunehmender, auf der Befürchtung staatlicher backlashs beruhender Minimalismus gezeigt. Während Menschenrechte und Klima eng miteinander verknüpft seien, sei also eine Klimapolitik durch den EGMR unwahrscheinlich.
Heri ordnete Klimaklagen als häufig strategische Fälle ein, mit denen ausgetestet werde, was in diesem Bereich gerichtlich durchsetzbar sei. Die Argumentation in den Begründungen der Klimaklagen stütze sich hauptsächlich auf eine Verletzung der Artikel 2 und 8 EMRK. Viele weitere, grundsätzliche Fragen seien allerdings noch offen: die Zulässigkeit von Klimaklagen, die Bestimmung der Opfereigenschaft und die Feststellung der Kausalität in Klimafällen sowie die Reichweite der Territorialität. Heri sieht in der zunehmenden Zahl an Klimafällen die Chance, diese Fragen zu beantworten, und schloss mit der Frage, was „Erfolg“ in Klimafällen bedeute. Sie plädierte für ein breites Erfolgsverständnis: Ein Erfolg könne bereits darin bestehen, das rechtlich Mögliche zu klären und Aufmerksamkeit zu generieren.
Im Anschluss an Heris Vortrag nutzte das Publikum das Forum angeregt zum Austausch mit der Referentin. Diskutiert wurden hierbei vor allem der Begriff des richterlichen Aktivismus, die Suche nach einem einheitlichen Verständnis der Gerichtsbarkeit und der Wandel des Charakters von Klagen gegen Rechtsverstöße hin zur Verletzung von Schutzpflichten.
Das Forum Junge Rechtswissenschaft bedankt sich sehr herzlich bei der Referentin und bei allen interessierten Zuhörer*innen.
Victoria Schwarzer
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