Urgeschichte und Naturwissenschaftliche Archäologie

Bollschweil

Der Fundort

In Bollschweil, im Hochschwarzwald, ca. 10 km südwestlich von Freiburg, entdeckten die beiden Amateurpaläontologen Emil Blattmann und Rudolf Ritz am Rande der Kalksteingrube Koch eine fundreiche eiszeitliche Knochenablagerung. Sie bargen daraufhin zahlreiche Knochen aus einem kleinen, von Norden nach Süden steil abfallenden Tal unweit der nordwestlichen Abbauwand der Kalksteingrube. Obwohl diese Arbeit unter teilweise äußerst schwierigen Bedingungen erfolgte, war es möglich, mehrere Dutzend bedeutende faunistische Reste zu bergen. Die Knochen stammen vom Pferd, vom Nashorn, einem großen Boviden und vor allem vom Mammut. Die Bergung der zum Teil großen und oft schlecht erhaltenen Knochen und Stoßzähne war eine technische Herausforderung. Neben den zahlreichen Knochen wurden vereinzelte Steinartefakte gefunden.

Nachdem das Landesdenkmalamt benachrichtigt war und gleichzeitig klar wurde, daß für diesen einmaligen Fundplatz eine akute Gefahr der Zerstörung durch den Kalkabbau bestand, unternahm die Universität Tübingen in enger Zusammenarbeit mit dem Landesdenkmalamt im Herbst 1997 eine zehnwöchige Rettungsgrabung.

In den Monaten nach Abschluß der Rettungsgrabung gelang es Herrn Blattmann und Herrn Ritz in Absprache mit dem Landesdenkmalamt und der Universität Tübingen, weitere Funde vor der endgültigen Zerstörung des Fundplatzes durch den Kalkabbau im Laufe des Jahres 1998 zu bergen.

Steinartefakte

Unter den vielen Steinen aus der Grabung und von der nahegelegenen Oberfläche wurden zwölf Artefakte aus sechs verschiedenen Rohmaterialien gefunden. Darunter waren zwei Werkzeuge. Zum einen handelt es sich um einen Schaber, der als typische Form des Mittelpaläolithikums angesprochen werden kann. Von wesentlich größerer Bedeutung ist ein Faustkeil aus grau-grünem weißgebändertem Plagioklas-Amphibolit. Die bearbeiteten Kanten des Faustkeils sind nicht verrundet und sprechen gegen einen langen Transport nach der urgeschichtlichen Nutzung des Stückes.

Die Herkunft der Rohmaterialien, die für zur Herstellung der Steinartefakte aus Bollschweil verwendet wurden, außer Amphibolit auch Quarz, Jurahornstein, Muschelkalkhornstein, Kieselschiefer und Quarzit, untersuchte Dr. W. Burkert vom Tübinger Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters. Während Muschelkalkhornsteinknollen nach C. Pasda in einer Entfernung von ca. 750 m in südöstlicher Richtung am Elsberg vorhanden sind, schreibt Burkert in einem internen Bericht: " Als Herkunft der anderen Rohmaterialien wie Quarz, Quarzit, Kieselschiefer und Amphibolit können die im Süden anstehenden altpleistozänen Schotter des Flusses Möhlin, von denen sich kleinere Flächen im Gebiet der Gemeinde Bollschweil selber finden, sowie ein am Südrand der Gemeinde in O-W Richtung verlaufender schmaler Schotterstreifen angesehen werden". Diese Schottervorkommen liegen in einer Entfernung von 1 bis 1,4 km vom Fundplatz. Darüberhinaus existieren kleinere autochthone Vorkommen von Amphibolit, dessen Varabilität insgesamt groß ist, in einer Entfernung von ca. 3,5 km südöstlich des Fundplatzes. Doch spricht die verrundete Kortex des Faustkeils gegen eine Herkunft aus einem anstehenden Vorkommen. Die Untersuchungen deuten darauf hin, daß alle Rohmateralien unweit des Fundplatzes vorhanden sind und sprechen gegen einen Ferntransport der Steinartefakte aus Bollschweil.

Faustkeile sind zwar vor allem Leitformen des Altpaläolithikums, sie treten aber in Süddeutschland auch im Mittelpaläolithikum häufig auf, wie z.B. die Funde aus dem Remstal belegen, die die besten Parallelen zu dem Faustkeil aus Bollschweil darstellen.

Fauna

Im Gelände konnten bereits an die 60 Knochen bestimmt werden. Die meisten dieser Funde sind in einem schlechten Erhaltungszustand. Eine Untersuchung von 116 Knochen im Labor ergab ein deutliche Dominanz von Mammutknochen, wobei es sich um mindestens fünf Individuen handelt. Pferd, Nashorn und Bovide sind in deutlich geringerem Umfang vorhanden. Bei den Mammutknochen sind verschiedene Altersstufen belegt. Vertreten sind sowohl Jungtiere mit einem Alter von drei bis vier Jahren, als auch erwachsene Tiere von 15 bis 20 Jahren und 35 bis 40 Jahren. Die Untersuchung der Knochenfunde und die daraus gewonnenen ökologischen Daten und eventuellen Erkenntnisse über die jahreszeitliche Nutzung des Fundplatzes werden erste Hinweise zur Subsistenz und Siedlungsdynamik im Schwarzwald in der Zeit vor dem Erscheinen des Homo sapiens sapiens ermöglichen. Obwohl in Bollschweil keine Menschenknochen entdeckt wurden, kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß es sich um einen Fundplatz des Neandertalers handelt. Momentan kann nicht eindeutig beantwortet werden, ob die Tierreste in einem archäologischen Zusammenhang stehen, oder ob sie als eine paläontologische Anhäufung zu betrachten sind.

Präparation der Tierknochenfunde

Eine wissenschftliche Untersuchung ist erst nach einer präparatorischen Bearbeitung der faunistischen Reste möglich, da sich die Knochen in einem schlechten Erhaltungszustand befinden. Darüberhinaus sind einige Knochen mit dem sie umgebenden Sediment geborgen worden, was zu einer Stabilisierung der Knochen bei der Bergung beiträgt; sie müssen daher noch freigelegt werden. Im Labor werden die Knochen mit verschiedenen Spezialwerkzeugen freigelegt und unter Vakuum mit einer Kunstharzlösung imprägniert, um einen weiteren Verfall zu verhindern. Zusammengehörige Stücke werden, wenn möglich, wieder zusammengesetzt.

Geologie und Datierung

Wärend der Ausgrabung wurden zwei Geologische Haupteinheiten definiert: GE 1 und 2. Beide Haupteinheiten fallen steil von Norden nach Süden und von der westlichen und östlichen Seite des Tälchens zur Mitte, in der die größte Fundkonzentration liegt, ein. GE 1 ist gekennzeichnet durch einen hohen Anteil an Kalkschutt und großen Kalkblöcken. GE 2 beinhaltet eher feinkörnige Sedimente. In GE 1 und 2 waren neben dem Kalkschutt große Mengen von roten, braunen, gelben und grünen schluffigen und lehmigen Sedimenten vorhanden. Die Herkunft der Sedimente ist durch die höherliegenden Aufschlüsse, die sich nur wenige Meter von der Ausgrabung entfernt noch in situ befinden, zu bestimmen. Das N-S Profil T2 zeigt die komplexen geologischen Verhältnisse in Bollschweil und belegt die zahlreichen Rutschungen und Umlagerungen.

Weder die stratigraphische Lage noch die Formenkunde der Artefakte lassen eine klare Aussage über die zeitliche Einstufung der paläolithischen Station Bollschweil zu. Auch der Faustkeil, zweifellos das aussagekräftigste Artefakt des Fundplatzes, stellt bereits eine Hauptleitform des Altpaläolithikums dar, kommt allerdings auch im Mittelpaläolithikum vor. Vorläufige ESR-Datierungen, von Prof. W. Jack Rink an der McMaster University in Ontario, Kanada, vorgenommen, ergaben ein gemitteltes Alter von 138 000 Jahren (±25 000). Das entspricht der Sauerstoff-Isotopenstufe (OIS) 6, also einer kalten Stufe im späten Riss, was durch die Fauna und das Sediment bzw. Löss Bestätigung findet. Möglicherweise liegen aber auch Reste aus der Sauerstoff-Isotopenstufe 5, also aus dem Früh-Würm, vor. An der Altersbestimmung der Funde aus Bollschweil wird weiter gearbeitet, um festzustellen, ob tatsächlich eine größere zeitliche Tiefe im Fundmaterial steckt, oder ob alles Fundmaterial mehr oder weniger gleichzeitig ist.

Literatur

N.J. Conard und L. Niven, The Paleolithic finds from Bollschweil and the question of Neanderthal mammoth hunting in the Black Forest. The World of Elephants - International Congress, Rome 2001.

N. J. Conard und A. W. Kandel, Die neuen Ausgrabungen in Bollschweil, Kreis Breisgau-Hochschwarzwald - Ein mittelpaläolithischer Fundplatz mit Mammutresten. Arch. Ausgr. Bad.-Württ. 1998,1999, 35 - 40.

N. J. Conard und E. Blattmann, Ein Faustkeil aus Bollschweil, Lkr. Breisgau-Hochschwarzwald. Arch. Nachrichten aus Baden, 63, 2000.

W. J. Rink, A. Kandel, N. J. Conard, The Chronostratigraphy of the Paleolithic Site of Bollschweil, Lkr. Breisgau-Hochschwarzwald, Germany. Manuskript in Vorbereitung.