Das Geißenklösterle
Das Geißenklösterle liegt im Achtal bei Blaubeuren, nur drei Kilometer nordöstlich des Hohle Fels. Die nach Westen orientierte Höhle befindet sich 60 m oberhalb des heutigen Talgrundes.
Nach der Entdeckung der Höhle durch Reiner Blumentritt 1958 kam es zu ersten kurzen Untersuchungen durch Gustav Riek. Im Jahr 1973 führte Eberhard Wagner Ausgrabungen zur Evaluierung des Zustands der Fundstelle durch. Im Folgejahr übernahm Joachim Hahn die Leitung der Ausgrabungen vor Ort. Von 1974 bis 1983 und von 1986 bis 1991 leitete Hahn die Ausgrabungen am Geißenklösterle und prägte die Erforschung der Höhle. Zwischen 2000 und 2002 wurden die Ausgrabungen unter der Leitung von Nicholas J. Conard fortgesetzt. Der Fokus der Arbeiten lag auf der Untersuchung der Fundplatzgenese und dem Übergang vom Mittelpaläolithikum zum frühen Aurignacien. Diese Zeit ist besonders wichtig für unser Verständnis zum Verschwinden der Neanderthaler und der Ausbreitung früher anatomisch moderner Menschen in Europa.
Das Geißenklösterle weist eine umfangreiche Abfolge steinzeitlicher Besiedlungsphasen auf. Unterhalb von Schichten des Mittelalters, der Eisenzeit und der mittleren Steinzeit erwiesen die Grabungen eine außergewöhnlich vollständige Schichtenfolge des Jungpaläolithikums, bestehend aus einer kurzen Begehung im Magdalénien, sowie mehreren wichtigen Besiedlungsphasen im Gravettien und Aurignacien. An der Basis der Stratigraphie fanden sich Hinterlassenschaften des Neandertalers. Seine überregionale Bedeutung verdankt das Geißenklösterle vor allem den Siedlungsschichten des Aurignacien.
Das Geißenklösterle ist eine der vier Fundstellen der Schwäbischen Alb, die die weltweit frühesten Belege für mobile Kleinkunst und Musik erbracht haben. Es handelt sich dabei um drei Elfenbeinfiguren, die ein Mammut, ein Bison und einen Bären darstellen, das Halbrelief einer anthropomorphen Gestalt sowie die Überreste von zwei Flöten aus Vogelknochen und einer Flöte, die aus Elfenbein geschnitzt wurde. Gemeinsam mit den Fundstellen Hohle Fels, Sirgenstein, Vogelherd, Hohlenstein-Stadel und Bocksteinhöhle wurde das Geißenklösterle deswegen 2017 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen. Weitere herausragende Funde sind ein großes Spektrum an Schmuckstücken aus Elfenbein und durchlochten Tierzähnen, ein aus Elfenbein hergestellter Lochstab und ein dreifarbig bemalter Kalkstein.
Eine bedeutende Fundkategorie für die Rekonstruktion der Lebenswelt der Menschen in der Eiszeit ist die von Susanne Münzel bearbeitete Tierwelt. Im Geißenklösterle finden sich Reste von Mammut, Ren, Wildpferd, Steinbock, Wollnashorn, Hase und Fuchs sowie von Fischen und Vögeln. Eine besondere Rolle nehmen Knochen des Höhlenbären ein. Diese sind in fast allen Fundschichten vertreten, da sie die Höhle zum Winterschlaf nutzten.
Weiterführende Literatur
Conard, N. J., Bolus, M. & Münzel, S. C., (Hrsg.) 2019. Die Geißenklösterle-Höhle im Achtal bei Blaubeuren II. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden Württemberg, Kerns Verlag, Tübingen.
Moreau, L. 2009. Geißenklösterle. Das Gravettien der Schwäbischen Alb im europäischen Kontext. Tübinger Monographien zu Urgeschichte. Kerns Verlag, Tübingen.
Conard, N. J. & Malina, M. 2008. New Evidence for the Origins of Music from Caves of the Swabian Jura. In A. A. Both, R. Eichmann, E. Hickmann, L.-CH. Koch (Hrsg.) Orient-Archäologie Band 22. Studien zur Musikarchäologie VI. Herausforderungen und Ziele der Musikarchäologie: 13-22. academia & researchgate
Conard, N. J., Malina, M., Münzel, S. C. & Seeberger, F., 2004. Eine Mammutelfenbeinflöte aus dem Aurignacien des Geißenklösterle. Neue Belege für eine musikalische Tradition im frühen Jungpaläolithikum auf der Schwäbischen Alb. Arch. Korr. 34: 447-462. academia & researchgate
Münzel, S. C., 2004. Die Schwanenknochenflöte aus dem Geißenklösterle bei Blaubeuren – Entdeckung und Wiedergewinnung des ältesten Musikinstrumentes der Welt. In: Schwanenflügelknochen-Flöte. Vor 35 000 Jahren erfinden Eiszeitjäger die Musik. Textheft zur Sonderausstellung "Schwanenflügelknochen-Flöte". Württembergischen Landesmuseum Stuttgart 2004: 22-25.
Conard, N. J. & Malina, M., 2003. Abschließende Ausgrabungen im Geißenklösterle bei Blaubeuren, Alb-Donau-Kreis. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2002: 17-21. academia & researchgate
Conard, N. J. & Malina, M., 2002. Neue Ausgrabungen in den unteren Schichten das Aurignacien und des Mittelpaläolithikums im Geißenklösterle bei Blaubeuren, Alb-Donau-Kreis. Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg 2001: 16-21.
Münzel, S. C., Seeberger, F. & Hein, W., 2002. The Geißenklösterle Flute – Discovery, Experiments, Reconstruction. In: Hickmann, E.; Kilmer, A. D. & Eichmann, R. (Hrsg.). Studien zur Musikarchäologie III; Archäologie früher Klangerzeugung und Tonordnung; Musikarchäologie in der Ägäis und Anatolien. Orient-Archäologie Bd. 10. Verlag Marie Leidorf GmbH, Rahden/Westfalen: 107-118. academia & researchgate
Hahn, J. & Münzel, S. C., 1995. Knochenflöten aus dem Aurignacien des Geißenklösterle bei Blaubeuren, Alb-Donau-Kreis. Fundberichte aus Baden-Württemberg 20: 1-12.
Hahn, J., 1988. Die Geißenklösterle-Höhle im Achtal bei Blaubeuren I: Fundhorizontbildung und Besiedlung im Mittelpaläolithikum und im Aurignacien. K. Theiss, Stuttgart.