Urgeschichte und Naturwissenschaftliche Archäologie

Hundisburg, Lkr. Börde, Sachsen-Anhalt

Die Parkkiesgrube Hundisburg zählt zu den klassischen altsteinzeitlichen Fundplätzen Deutschlands und weist eine mehr als hundertjährige Forschungsgeschichte auf. In einem Kooperationsprojekt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt mit der Eberhard Karls Universität Tübingen konnten dank der Mitwirkung zahlreicher ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger seit Ende 2005 mehrere Geländearbeiten durchgeführt werden, die wesentlich neue archäologische und geologische Erkenntnisse erbrachten. 2010 fand in einem gemeinsamen Projekt mit der Grabungsleitung Schöningen (Niedersachsen) und der Universität Leiden (Niederlande) eine weitere Geländeaktivität statt.

Bekannt ist der Fundplatz, der heute auf dem Gelände des Landschaftsparks Althaldensleben-Hundisburg liegt und dessen Eigentümerin die Stadt Haldensleben ist, seit hier 1904 erste Steinartefakte entdeckt wurden (Favreau 1905; Wiegers 1908). Die Morphologie der Artefakte, die nach einem Vergleich mit der Industrie von Levallois-Peret bei Paris als ein jüngeres Acheuléen angesprochen wurden (Wiegers 1909), legten bereits damals ein recht hohes Alter der Funde nahe. Eindrucksvoll bestätigt wurde diese typologische Einordnung, die zunächst nur auf wenigen Artefakten gründete, durch die Entdeckung eines klassischen Jungacheuléen-Faustkeils im Jahre 1921 (Original heute im Kulturhistorischen Museum Magdeburg). Eine ausführliche Vorlage der gut hundert Artefakte, die bis zur Einstellung des Kiesabbaues in den 1950er Jahren geborgen werden konnten, erfolgte allerdings erst 1961 durch V. Toepfer.

Zwar entstammen die Funde einem Schotterkörper des alten Beberlaufes und sind damit letztlich in ihrem Quellenwert eingeschränkt, doch ist zu berücksichtigen, dass geologisch bedingt kaum andere Sedimente in Nord- und Mitteldeutschland aus dem betreffenden Zeitabschnitt erhalten sind (vgl. Weber 1997). In Hundisburg bietet sich der seltene Glücksfall, dass hier in einer relativ geringmächtigen Fundschicht neben den Steinartefakten auch ausgezeichnet erhaltene Faunenreste in Form von Groß- und Kleinsäugern, Fischwirbeln, Mollusken und Mikrofauna vorliegen. Dank der Ausgrabungen konnten klare stratigraphische Ergebnisse in Bezug auf die Verteilung von Steinartefakten und Faunenresten erzielt werden.

Die bisher bestimmten Tierarten sind typisch für die kaltzeitliche Mammutsteppenfauna: Wollhaariges Mammut (Mammuthus primigenius), Wollhaariges Nashorn (Coelodonta antiquitatis), Steppenbison (Bison priscus), Wildpferd (Equus ferus), Rentier (Rangifer tarandus) und Rothirsch (Cervus elaphus). Einziger Karnivore ist bisher der Wolf (Canis lupus). Die im Schotter meist stark fragmentierten Knochen dürften hauptsächlich natürlich in die Fundschicht gelangt sein, wenngleich sich auf einigen wenigen Knochen auch Schnittspuren finden. Die im Schotter enthaltenen Mollusken wurden von S. Meng (Greifswald) bestimmt und sprechen für begrenzte Auenwaldstrukturen in der Umgebung der Fundstelle und mitunter sehr geringe Fließgeschwindigkeiten. Klimatisch entsprechen die Mollusken einer milderen kaltzeitlichen Phase, was gut mit einer frühsaalezeitlichen Position korrelieren würde.

Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit mehreren Geologen konnte das lange umstrittene Fundschichtalter auf die frühe Saale-Kaltzeit eingegrenzt werden, für die es in Mitteleuropa sonst kaum Vergleichsfundplätze gibt. Da die geologische Gliederung dieses Zeitabschnittes noch mit zahlreichen Unzulänglichkeiten zu kämpfen hat (Litt u. a. 2007), kann das absolute Alter der Fundstelle ohne eine direkte Datierung nach dem aktuellen Forschungsstand nur auf mindestens 150.000 Jahre geschätzt werden – ein höheres Alter ist sehr wahrscheinlich. Eine Leitgeschiebeanalyse durch K.-D. Meyer (Burgwedel) ergab für die Schotterbasis typische Verhältnisse einer fluviatilen Ablagerung der frühen Saale-Kaltzeit (sehr wahrscheinlich Drenthe).

Die Anzahl der Steinartefakte konnte nach der Probegrabung 2005/06 auf etwas über 200 verdoppelt werden, mit Abschluß der viermonatigen Forschungsgrabung 2009 liegen nun weitere 300 Artefakte vor. Da metrische und typologische Untersuchungen keine nennenswerten Unterschiede innerhalb des „Inventars“ aufzeigen konnten, ist im Rahmen urgeschichtlicher Maßstäbe von einer relativen Gleichaltrigkeit der Stücke auszugehen. Interessanterweise bestehen jedoch deutliche Unterschiede in der Verteilung der kantenscharfen und abgerollten Artefakte, wobei erstere gut 43 % des „Inventars“ ausmachen. Während die abgerollten Artefakte sicher mehrere hundert Meter transportiert und damit auseinandergezerrt wurden, zeugen die kantenscharfen Steinwerkzeuge von Aktivitäten in unmittelbarer Nähe der Fundstelle.

Die Masse der Artefakte setzt sich wie üblich aus der Grundproduktion zusammen. Von den wenigen vorhandenen Kernen entspricht zwar keiner einem Levallois-Kern, doch die Anwendung dieser typisch mittelpaläolithischen Form der Kernpräparation wird auf jeden Fall durch mehrere klassische Zielabschläge belegt. Unter den Werkzeugen sind sowohl Schaber als auch Messer mit natürlichem Rücken am häufigsten. Das technologische Konzept eines keilförmigen Querschnitts mit einer stumpfen unbearbeiteten Kante, die einer spitz zulaufenden Arbeitskante gegenüberliegt, findet sich auch bei einem Teil der bifaziellen Geräte wieder, wie z. B. bei einem sehr sorgfältig gearbeitetem Keilmesser. Es treten insgesamt nur wenige idealtypische Formen auf, dennoch lässt sich das „Inventar“ u. a. aufgrund der entwickelten Levallois-Technik sehr gut dem Jungacheuléen zuordnen.

Das Bebertal wurde sicher wiederholt durch den frühen Neandertaler aufgesucht, der hier neben den reichen Feuersteinvorkommen auch die Nähe des Jagdwildes in Kombination mit den Wasserressourcen des alten Beberlaufes vorfand. Da die Steinartefakte alle Phasen derChaîne opératoire belegen, wird der Platz nicht allein zur Rohmaterialbeschaffung gedient haben.

Literatur

P. Favreau, 1905. Neue Funde aus dem Diluvium in der Umgegend von Neuhaldensleben, insbesondere der Kiesgrube am Schlosspark von Hundisburg. Zeitschrift für Ethnologie 37, S. 275-295.

T. Litt/K.-E. Behre/K.-D. Meyer/H.-J. Stephan/S. Wansa, 2007. Stratigraphische Begriffe für das Quartär des norddeutschen Vereisungsgebietes. Eiszeitalter u. Gegenwart 56/1-2, 7/65.

V. Toepfer, 1961. Die altpaläolithischen Feuersteinwerkzeuge von Hundisburg. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 45, 35/69.

T. Weber, 1997. Älterpaläolithische Funde aus dem Mittelelbegebiet. Leipziger Geowissenschaften 5, S. 183-199

F. Wiegers, 1908. Diluviale Flußschotter aus der Umgebung von Haldensleben. Jahrb. Preuß. Geol. Landesamt für 1905, 58/80.

F. Wiegers, 1909. Die diluvialen Kulturstätten Norddeutschlands und ihre Beziehungen zum Alter des Löß. Prähist. Zeitschr. I, 1/36.

Kontakt:

Stefan Ertmer

Institut für Ur- und Frühgeschichte und Archäologie des Mittelalters

Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie

Schloss Hohentübingen

72070 Tübingen