Koreanistik

Eine Filmreihe des Projekts DARE (DECOLONIZE ANTI-ASIAN RACIST ENTANGLEMENTS)

Asiatische Präsenzen in der Kolonialmetropole Berlin

Localizing Decolonialization – Dekolonialisierung lokalisieren

Filme – Vorträge – Diskussionen

Kurator und Projektleitung: Dr. Kien Nghi Ha

Veranstaltungsort:
SINEMA TRANSTOPIA
11.04. - 20.06.2023
Lindower Str. 20/22, Haus C
13347 Berlin-Wedding
Info: sinematranstopia.com

Zur Filmreihe

Deutschlands kolonial-rassistischen Fantasien und Ambitionen wurde nach dem Abgang des Imperial Germany verstärkt in eine imaginäre Kolonialität überführt. Ihre filmischen Inszenierungen begeisterten nicht nur ein Massenpublikum, sondern führten auch zu einer mehrdeutigen Überlagerung von Fiktion und Realität. Die Filmkulisse, aber auch ihre Produktion und Konsumption wurden selbst zum kulturellen Kolonialraum. Das Film-, Vortrags- und Gesprächsprogramm leistet Pionierarbeit, indem wir die „wilde Weltmetropole Berlin der Goldenen Zwanziger“ als kolonialen Kulturraum mit (anti-)Asiatischen Bezügen erforschen. Gleichzeitig wird die dekoloniale Debatte um anti-Asiatischen Rassismus sowie Orientalismus erweitert und dadurch multiperspektivischer. Ende 2023 wird ein Sammelband im Verlag Assoziation A erscheinen.

Sprecher:innen

Joshua Kwesi Aikins ist Politikwissenschaftler, Co-Autor des Afrozensus und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet „Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien“ der Universität Kassel. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. kulturelle und politische Repräsentation der afrikanischen Diaspora, Kolonialität und Erinnerungspolitik.
Sun-ju Choi studierte Literatur an der Universität zu Köln und Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. 2017 erschien ihre Dissertation Vater Staat und Mutter Partei: Familienkonzepte und Repräsentation von Familie im nordkoreanischen Film. Sie engagiert sich ehrenamtlich im Vorstand von ndo e.V. und korientation e.V..
Anujah Fernando ist Kulturwissenschaftlerin. In recherchebasierten Ausstellungen und Texten sowie in dokumentarischen Filmprojekten arbeitet sie zu Themen rund um Migration und Kolonialismus. Zuletzt co-kuratierte sie die Ausstellung Trotz Allem: Migration in die Kolonialmetropole Berlin am Museum FHXB.
Dr. Kien Nghi Ha, Kultur- und Politikwissenschaftler, forscht zu Asian German Studies an der Universität Tübingen. Zahlreiche Publikationen zu postkolonialer Kritik, Rassismus und Migration. Zuletzt gab er Asiatische Deutsche Extended. Vietnamesische Diaspora and Beyond (Assoziation A, 2012/2021) neu heraus. uni-tuebingen.de/de/208381
Merle Kröger arbeitet als Autorin und Dramaturgin in Berlin und ist Teil von pong Film. Als Hochschuldozentin ist sie in Halle und Mainz und als Kuratorin für das Arsenal Institut für Film und Videokunst tätig. Bisher hat sie fünf Romane veröffentlicht, darunter Grenzfall (2012), Havarie (2015) und Die Experten (2021).
Jürgen Kurz ist Improvisationskünstler. Nach dem Studium an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin hat er sich als Komponist, Theatermusiker (u. a. Volksbühne) und Pianist einen Namen gemacht.
Yumin Li ist Kulturwissenschaftlerin und untersucht in ihrer Dissertation Anna May Wongs mehrere Jahrzehnte umspannende Karriere auf vier Kontinenten. Zusammen mit dem Kollektiv andcompany&Co. erarbeitet sie die Theaterperformance Shanzhai Express, das sich spielerisch mit Anna May Wong befasst (Premiere 10.6.2023 Volksbühne Berlin).
Dr. Tobias Nagl ist Film- und Musikkritiker, DJ und seit 2007 Associate Professor für Filmwissenschaft an der University of Western Ontario in Kanada. Veröffentlichungen: Die unheimliche Maschine: Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino (2009) und European Vision: Small Cinemas in Transition (2015).
Dr. Subin Nijhawan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für England- und Amerikastudien der Goethe-Universität Frankfurt. Er forscht didaktisch zu den Themen globale Gerechtigkeit, Kosmopolitismus und nachhaltige Entwicklung, wozu u.a. dekoloniale Zugänge zur Weltgeschichte gehören.
Philip Scheffner arbeitet seit 1985 als Visual Artist. Seine abendfüllenden künstlerischen Dokumentarfilme u.a. Der Tag des Spatzen (2010), Revision (2012), And-Ek Ghes... (2016), Havarie (2016) und Europe (2022) wurden weltweit gezeigt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Seit Oktober 2021 ist er Professor für Dokumentarische Praxen an der KHM Köln.
Qinna Shen ist Associate Professor of German am Bryn Mawr College, Pennsylvania (USA). Sie ist Autorin von The Politics of Magic: DEFA Fairy-Tale Films und Mitherausgeberin von Beyond Alterity: German Encounters
with Modern East Asia. Sie hat viel über deutsch-asiatische Themen veröffentlicht.
Dr. Gülşah Stapel studierte Stadt- und Regionalplanung an der TU Berlin mit einem Schwerpunkt auf Denkmalpflege. Ihre Forschungsexpertise liegt in der Untersuchung von Identitäts- und Erbekonstruktionen im öffentlichen Raum und Berliner Stadtgeschichte. Seit 2020 arbeitet sie als Kuratorin für Outreach für die Stiftung Berliner Mauer.
Hito Steyerl ist Professorin für Experimentalfilm und Video an der Universität der Künste Berlin. Sie ist Medienkünstlerin, Filmemacherin, Kulturkritikerin und -theoretikerin. Ihre international bekannten medien-, technologie- und kulturkritischen Arbeiten wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.
Dr. Kimiko Suda arbeitet an der Technischen Universität Berlin zu institutionellem Rassismus in Deutschland. Sie ist ehrenamtlich bei korientation e.V. zu dekolonialer/antirassistischer Erinnerungskultur aktiv. Von 2011-2017 hat sie mit Dr. Sun-ju Choi das Asian Film Festival Berlin geleitet.


11.04.2023 um 19 Uhr: Das indische Grabmal – Die Sendung des Yoghi (1921) von Joe May, OmU, 132 Min.

„Der Welt größter Film” – die so angekündigte Großproduktion mit Kolonialambiente war ein Publikumsmagnet. Joe May beschwor darin das mystische Indien und verwandelte die Filmstadt Berlin-Woltersdorf in einen „indischen“ Ort mit prächtigen Tempeln und Palästen, der von Statist:innen in Fantasiekostümen und Elefanten bevölkert wird. Angereichert mit sexualisierter weiblicher Exotik erzählt er eine verwickelte Geschichte, in der der bösartige Maharadscha Rache an seiner Frau und ihrem britischen Geliebten nimmt. Dieses Setting war so faszinierend, dass nach einem Remake in den 1930ern Jahren Fritz Lang, der bereits an der ersten Produktion beteiligt war, 1959 den Stoff erneut verfilmte.

Einführung von Dr. Subin Nijhawan:
British Empire, German Illusion – Über Tiger und Grabmale in der Kolonialzeit

Moderation: Anujah Fernando / Kien Nghi Ha

25.04.2023 um 19 Uhr: Die Herrin der Welt – Die Freundin des gelben Mannes (1919) von Joe May, OV, 90 Min. Live-Musik: Stummfilm-pianist Jürgen Kurz

Unmittelbar nach dem Verlust der außereuropäischen Kolonien entstand 1919 unter der Regie von Joe May in der heute vergessenen Filmstadt Berlin-Woltersdorf ein monumentaler Kolonialepos, der acht Teile umfasst. Unter großem Aufwand gedreht, wird die abenteuerliche Geschichte der jungen, schönen wie Weißen Maud Gregaards erzählt. Im ersten Teil ihre weltumspannenden Reise gerät die Erzieherin im südchinesischen Kanton in die Fänge des brutalen Bordellbesitzers Hai-Fung. Mit Hilfe von Dr. Kien Lung wird sie befreit, der sich aber ebenfalls als dubiose Gestalt herausstellt.

Einführung von Dr. Tobias Nagl (via Zoom)
Entfreundet: Die Freundin des gelben Mannes (1919/20), asiatische Präsenz und antirassistische Filmproteste in der Weimarer Republik

Moderation: Joshua Kwesi Aikins / Kien Nghi Ha

09.05.2023 um 19 Uhr: Sumurun (1920) von Ernst Lubitsch, OmeU, 103 Min.

Im Unterschied zu Joe May war Ernst Lubitsch nicht nur ein Meister des Weimarer Kinos, sondern avancierte auch zu einem Starregisseur in Hollywood. In seinem frühen Filmschaffen nutzte er mehrfach Orient- und Roma-Stereotypen um seine Karriere in der Unterhaltungsindustrie zu befördern. Bereits 1910 von Max Reinhardt für das Theater dramatisiert und verfilmt, wurde der Stoff 1920 mit Starbesetzung monumental in den Ufa-Studios in Berlin-Tempelhof erneut inszeniert. Sumurun ist Lubitschs Version von Tausendundeine Nacht – ein Eifersuchtsdrama im vormodernen Morgenland, dass mit europäischen Fantasien über das Harem, versklavten Tänzerinnen und orientalischer Despotie spielt.

Introduction by Prof. Dr. Qinna Shen
A Berliner's One Arabian Night: Lubitsch's Orientalist Parody

Moderation: Sun-ju Choi / Kien Nghi Ha

23.05.2023 um 19 Uhr: Piccadilly – Nachtwelt (1929) von Ewald André Dupont, OmeU, 109 Min.

„Piccadilly“ ist nicht wie die anderen Filme der Reihe in einem imaginären Asien angesiedelt, sondern spielt sich im Herzen des modernen Londons mit exotischen Ausflügen nach Chinatown ab. Trotz dieses Settings bleiben die stereotypen Rollen nahezu unverändert: Der US-Star Anna May Wong verkörpert in diesem tragischen Liebes- und Eifersuchtsdrama eine Chinesin, die mit viel ethnic chic zum sexuell begehrenswerten Revue-girl im Nachtclub aufsteigt und dann tragisch endet. Sie ist eine asiatische Arbeitsmigrantin, die als verführerische femme fatale den Weißen Mann bedroht, aber auch befriedigt und gleichzeitig Opfer ihrer eigenen kulturellen Herkunft wird.

Einführung von Yumin Li
Anna May Wong – ein chinesisch-amerikanischer Hollywoodstar in Berlin

Moderation: Kimiko Suda / Kien Nghi Ha

20.06.2023 um 19 Uhr: Halfmoon Files (2006) von Philip Scheffner, OmeU, 87 Min.

Unweit von Berlin wurde am 11. Dezember 1916 im Kriegsgefangenenlager Wünsdorf die Stimme des britischen Kolonialsoldaten Mall Singh aufgenommen. Die Aufnahmen wurden im Auftrag von Militär, Wissenschaft und Unterhaltungsindustrie erstellt und waren Bestandteil des Tonarchivs „Sämtlicher Völker der Erde“. Heute befinden sie sich im Lautarchiv der Humboldt Universität Berlin und verweisen auf den kolonialen Charakter des Ersten Weltkrieges und des Lagers: Um sich als fürsorgliche Kolonialmacht zu inszenieren, wurde im Halbmondlager für afrikanische, arabische und (süd-)asiatische Gefangene die erste Moschee Deutschlands für religiöse Praktiken gebaut. Gleichzeitig wurden Lager und Insassen als Filmkulisse für die deutsche Kolonial-propaganda genutzt. Der Film geht diesen verwischten kolonialen Verbindungen im Berliner Umland nach.


Gespräch: Philip Scheffner, Merle Kröger, Kien Nghi Ha

06.06.2023 um 19 Uhr: Hito Steyerl Special: Babenhausen (1997), 4 Min., Die leere Mitte (1998), 62 Min. Normalität 1-X, (1999-2001), 37 Min. Alle OmeU.

Die Trilogie aus dem Frühwerk von Hito Steyerl lässt sich vielschichtig lesen. Sie ist nicht nur zeithistorisches
Dokument und künstlerische wie aktivistische Positionierung, sondern stellt auch ein herausragendes Filmessay
dar. Entstanden zwischen 1990-1998 untersucht die eindrückliche Langzeitstudie „Die leere Mitte“ die unsichtbar
gemachten Zusammenhänge zwischen Antisemitismus, Kolonialismus und Rassismus im Berliner Kultur- und Stadtraum. Ein Beispiel ist die Geschichte des „Haus Vaterland“ am heutigen Potsdamer Platz. Gleichzeitig nehmen diese Filme auch migrantische Protestbewegungen und asiatisch-diasporische Stimmen in den Fokus, die sich gegen koloniale Kontinuitäten und rassistische Gewalt zur Wehr setzen.
 

Gespräch: Hito Steyerl, Gülşah Stapel, Kien Nghi Ha

Programm zum Download

Impressum

Kurator und Projektleitung: Dr. Kien Nghi Ha.
In Kooperation mit bi’bak e.V., korientation. Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven e.V. und der Abteilung Koreanistik des Asien-Orient-Instituts der Universität Tübingen.
Mit Filmen aus dem Bestand der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Wiesbaden.
Gefördert im Programm „Förderung zeitgeschichtlicher und erinnerungskultureller Projekte“ der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa.