Institut für Soziologie

Forschungsprojekt

Soziale Identität und gesellschaftlicher Zusammenhalt: Welche Anerkennungsdefizite bedrohen die gesellschaftliche Kohäsion?

In jüngerer Zeit deuten etliche Zeichen auf eine Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts. So nimmt in vielen Ländern, wie auch in Deutschland, das Vertrauen in Institutionen ab. Zeitgleich wächst die Zahl derer, die sich populistischen Parteien zuwenden und sich dabei offen zeigen für deren Betonung von Grenzziehungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen. Da solche partikularistischen Grenzziehungen soziale Integration auf gesamtgesellschaftlicher Ebene erheblich schwächen, muss nach den Ursachen dafür gefragt werden, weshalb relevante Teile der Bevölkerung zunehmend bereit dazu sind, solche Gesellschaftsvorstellungen zu unterstützen.  

Vorgehensweise

Bisherige Studien stellten als Erklärungsfaktoren für die Unterstützung partikularistischer und polarisierender Gesellschaftsvorstellungen vor allem sozio-ökonomische Gründe und eine wachsende soziale Ungleichheit in den Mittelpunkt. Doch neuere Forschung zeigt, dass diese Erklärungsversuche zu kurz greifen, und sozio-kulturellen Faktoren eine darüberhinausgehende Relevanz für die Erklärung populistischer Einstellungen zukommt. Anknüpfend an Francis Fukuyamas prominente These „bedrohter sozialer Identitäten“ (Fukuyama 2019) wird im vorliegenden Projekt empirisch untersucht, ob und inwiefern die zunehmende Unterstützung populistischer Bewegungen sowie andere den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdende Entwicklungen als Folge der Bedrohung etablierter sozialer Identitäten aufzufassen sind. Aus dieser Perspektive wird insbesondere gefragt, inwieweit gesellschaftliche Veränderungen wie zum Beispiel Modernisierung- und Pluralisierungsprozesse die Konstruktion stabiler und positiv bewerteter sozialer Identitäten beeinträchtigenden können. 

Im Rahmen des Forschungsprojekts werden belastbare empirische Daten erhoben, um die Auswirkungen sozialstruktureller und sozio-kultureller Veränderungen auf die Ausbildung sozialer Identitäten zu untersuchen. Von besonderem Interesse sind dabei potenzielle Anerkennungsdefizite von Identitäten und deren Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt. Dazu stützt sich das Projekt erstens auf Sekundärdaten, um die Auswirkungen gesellschaftlichen Wandels auf die Identitätsbildung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt im internationalen Vergleich nachzuzeichnen.  Zweitens sollen auf Grundlage mehrerer, für die deutsche Wohnbevölkerung repräsentativer Online-Befragungen gruppenspezifische Identitätsbildungsprozesse und deren Folgewirkungen für die soziale Kohäsion empirisch erfasst und analysiert werden. Drittens werden diese Studien durch Online-Experimente ergänzt, die es erlauben, Schlussfolgerungen über kausale Beziehungen zu ziehen, die mit Beobachtungsdaten nicht möglich sind.