Juristische Fakultät

12.07.2022

Tagung „Methoden steuerrechtlicher Entscheidungsfindung“

Im Rahmen der Tagung vom 23.-24. Juni 2022, welche zugleich die Auftaktveranstaltung für das Institut für Finanz- und Steuerrecht in Tübingen darstellte, setzten sich die Vortragenden gründlich mit der Methodik im Steuerrecht auseinander - einer Thematik, der nach Christian Seilers Eröffnungsworten fundamentale Bedeutung zukommt, bei der aber nach wie vor vieles ungeklärt und unhinterfragt bleibt.

Zunächst lieferte Olaf Kramer eine Einschätzung des Steuerrechts aus dem Blickwinkel der Rhetorik und stellte insbesondere die Bedeutung der zahlreichen verschiedenen Perspektiven auf das Steuerrecht dar, welche, um eine Akzeptanz der Besteuerung erreichen zu können, zu berücksichtigen seien. Ekkehart Reimer warf einen historischen Blick auf das Methodenverständnis im Steuerrecht und arbeitete die teilweise retardierte, teilweise prägende und teilweise auch völlig eigenständige Methodik des Steuerrechts im Vergleich zur jeweiligen allgemeinen Methodik im Recht heraus. Dabei schnitt er auch das Thema computerbasierte Entscheidungen in der Zukunft an und warf zugleich die Frage nach einem Recht auf menschliche Entscheidung auf. Ralf Peter Schenke stellte den derzeitigen Stand der Diskussion über die Methodik im Steuerrecht dar. Dabei kritisierte er das Fehlen einer festen gemeinsamen Grundlage bei der Methodik, was zu überdetaillierter Gesetzgebung und Methodenunehrlichkeit führe. Mit Blick darauf setzte er sich für eine Wiederbelebung der Methodengesetzgebung ein.

Christian Seiler und Christine Osterloh-Konrad beschäftigten sich mit der Wortlautbindung im Steuerrecht, wobei Seiler den Gesetzesvorbehalt im Steuerrecht näher in den Blick nahm. Dabei ordnete er das Steuerrecht bezüglich der Strenge des Gesetzesvorbehalts zwischen Zivil- und Strafrecht sein. Er betonte zudem die hohe Bedeutung der Kodifizierung des jeweiligen Belastungsgrunds, welcher auch maßgeblich für die Auslegung der Steuergesetze sei. Eine strenge Wortlautbindung lehnte er insbesondere mit Blick auf die fließende Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung ab. Osterloh-Konrad griff diese Thematik auf und lieferte eine rechtsvergleichende Einschätzung zur Problematik der Rechtsfortbildung im Steuerrecht. Dabei zeigte sie auf, dass sich unabhängig von der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung und der jeweiligen nationalen Einordnung der Diskussion immer die gleichen Argumentationsmuster und Grundpositionen finden lassen und dass sich insofern eine rechtsordnungsübergreifende Betrachtung lohne. Zudem arbeitete sie die Bedeutung der Umgehungsabsicht als speziell steuerrechtliches Argument für eine Wortlautüberschreitung heraus.

Die Möglichkeit einer Konstitutionalisierung der Methodenlehre im Steuerrecht beleuchtete Michael Droege in seinem Vortrag. Dabei betonte er die nur ausschnittsweise Begrenzung durch das Grundgesetz, aus welchem lediglich Rahmenbedingungen abgeleitet werden könnten. Folglich lasse sich die eine klare Methodenlehre nicht finden. Droege plädierte für einen Methodenpluralismus mit dem Ziel, Kritik und Alternativen hervorzubringen, wobei die Konstitutionalisierung als Rahmen der Methodik die Rechtssicherheit gewährleisten solle. Matthias Valta beschäftigte sich mit den Wechselwirkungen zwischen Normsetzung und Normanwendung. Er zeigte zunächst Ähnlichkeiten zwischen Gesetzgeber und Normanwender auf, da beide an höherrangiges Recht gebunden sind, aber auch jeweils einen gewissen Konkretisierungsspielraum innehaben. Dabei verglich er die verschiedenen Konkretisierungsleistungen auf den unterschiedlichen Ebenen der Rechtsetzung und Rechtsanwendung. Zudem betonte er die Bedeutung abstrakter Prinzipien bei der Auslegung und Konkretisierung.

Auch der zweite Tagungstag wurde von einem fächerübergreifenden Vortrag eingeleitet. Martin Ruf beschäftige sich aus ökonomischer Sicht mit der Gestaltung des Steuerrechts. Er stellte Konzepte einer bei ökonomischer Betrachtung optimalen Besteuerung vor, welche sich aber wegen Konflikten mit Verfassungsgrundsätzen und fehlender Umsetzbarkeit in der Praxis nicht vollständig verwirklichen ließen. Dabei plädierte er für eine Besteuerung nach einem Vermögenszuwachspotential statt nach der tatsächlichen Zahlungsfähigkeit. Im Anschluss lieferte Christian Thiemann eine umfassende Einordnung der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in historischer und methodischer Hinsicht. Er definierte die wirtschaftliche Betrachtungsweise dabei nicht als eigenständige Auslegungsmethode, sondern schrieb ihr nur eine beschreibende und erklärende Bedeutung im Rahmen des Steuerrechts zu. Erik Röder stellte in seinem Vortrag die Rolle der ökonomischen Analyse in Rechtsetzung und Rechtsanwendung dar. Dabei kritisierte er die geringe Beachtung der positiven Analyse und betonte ihr Potenzial im Rahmen der Verhältnismäßigkeit bei der Gesetzgebung und der teleologischen Auslegung bei der Rechtsanwendung. Ein geringeres Potential schrieb er der normativen Analyse zu, da diese aufgrund der Komplexität der Thematik kaum sichere Aussagen ermögliche.

Mit der Frage, ob im Verhältnis zwischen Zivilrecht und Steuerrecht noch Klärungsbedarf besteht, beschäftigten sich Marc Desens und André Meyer. Desens stellte mit Bezug auf das Bundesverfassungsgericht fest, dass im Verhältnis zwischen Herkunftsrechtsgebiet und Zielrechtsgebiet eine Auslegung stets nach der eigenen Wertung des Zielrechtsgebiets vorgenommen werden müsse. Insbesondere bestehe weder eine Vermutung, dass ein übernommener Begriff im Zielrechtsgebiet gleich zu verstehen sei wie im Herkunftsrechtsgebiet, noch eine Vermutung, dass ihm zwingend eine andere Bedeutung zukommen müsse. Er nahm auch Bezug auf den Wegfall des Gesamthandsprinzips im Zivilrecht im Zuge des MoPeG. Desens führte dazu aus, dass eine bei dieser Gelegenheit vorgenommene Rechtsprechungsänderung in Bezug auf das Gesamthandsprinzip in § 15 I 1 Nr. 2 EstG zwar unwahrscheinlich, aber nicht unvertretbar sei. Meyer stellte in seinem Vortrag die verschiedenen Wechselwirkungen zwischen Steuerrecht und Zivilrecht dar und unterschied dabei zwischen Fällen, die lediglich eine Vorfrage betreffen, und Fällen, die einen echten Konflikt herbeiführen. Dabei legte er dar, dass in den meisten Fällen eine einfache Vorherigkeit eines der Rechtsgebiete bestehe, bei der dann die Wertungen des Zielrechtsgebiets maßgebend seien und sich insoweit kein Konflikt ergebe.

In den letzten beiden Vorträgen diskutierten David Hummel und Silke Bruns die Methodik des Steuerrechts aus einem übernationalen Blickwinkel. Zunächst stellte Hummel die besondere Methodik bei der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vor. Er hob dabei die Bedeutung des Gerichtshofs als bloßes Hilfsgericht hervor, welches lediglich einzelne Fragestellungen des Europarechts und keine Fälle löse. Hummel führte zudem aus, wie die Urteile des Gerichtshofs mit Blick auf die Sprachbarriere und die Bindung an den vorgelegten Fall zu lesen seien. Bruns stellte in ihrem Vortrag die Vorgehensweise der Exekutive bei der Verhandlung und Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen dar. Sie hob besonders den Zweck des Abkommens als maßgebendes Auslegungskriterium hervor, da grundsätzlich von der Gleichwertigkeit der beiden betroffenen Rechtsordnungen ausgegangen werden müsse. Zudem betonte sie die Bedeutung von Absprachen zwischen den Vertragsstaaten bei der Auslegung der Doppelbesteuerungsabkommen und stellte die Möglichkeit eines nationalen DBA-Anwendungsgesetzes vor.

Die zahlreichen Vorträge und angeregten Diskussionen der beiden Veranstaltungstage zeigen, dass bei der Methodik im Steuerrecht weiterhin viel Klärungsbedarf besteht. Dennoch konnte Christine Osterloh-Konrad in ihrem Schlusswort eine gewisse Wiederholung verschiedener Strömungen und einen Abbau von Extrempositionen feststellen. Auch hätten die Vorträge gezeigt, dass ein zu starres Festhalten an ausgetretenen Pfaden und Begrifflichkeiten vermieden werden sollte. Vielmehr solle eine Methodenehrlichkeit und -reflexion, immer mit Blick auf den jeweiligen Hintergrund einer Position, prägend für die Diskussion sein.

Autor: Tobias Fuchs

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