Juristische Fakultät

24.06.2023

,,Menschenrechtsinflation“ – Gibt es zu viele Menschenrechte?

Vortrag von Dr. Jens Theilen im Rahmen des Forum Junge Rechtswissenschaft

Am Dienstag, dem 6. Juni 2023, lud das Forum Junge Rechtswissenschaft mit Dr. Jens Theilen (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) mit dem Vortragsthema ,,‚Menschenrechtsinflation‘ – gibt es zu viele Menschenrechte?“ zum zweiten Vortrag des Semesters ein. Vor sehr gut besuchten Rängen führte Theilen in die Thematik ein, indem er zunächst die Hintergründe der These einer ,,Menschenrechtsinflation“ darlegte. Es bestehe nach verbreiteter Ansicht die Gefahr, bei einer zu großen Anzahl an Menschenrechten könnte der Menschenrechtsdiskurs insgesamt, quasi als ,,Opfer des eigenen Erfolgs“, an seiner Wirkung verlieren.

Im ersten Teil seines Vortrages widmete sich Theilen der Geschichte der Menschenrechte, ausgehend von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948. Die Entwicklungen in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg seien wichtig, um die heute noch bestehenden Sichtweisen auf die Menschenrechte erfassen zu können. Im Zuge der Dekolonisierung neu entstehende Staaten legten den Fokus auf das kollektive Recht der wirtschaftlichen und politischen Selbstbestimmung, westliche Staaten betonten hingegen individuelle Abwehrrechte. Zudem kam es bei der Ausgestaltung der Menschenrechte auch zu einer ideologischen Gegenüberstellung von ,,Ost“ und ,,West“. Diese unterschiedlichen Sichtweisen werden oft in Form der Kategorisierung und Bewertung der Menschenrechte als „Generationen“ aufgegriffen: 1. Generation: Bürgerlich-politische Rechte (= Freiheitsrechte), 2. Generation: Sozio-ökonomische Rechte (= Sozialrechte) und 3. Generation: Kollektivrechte. Der Referent betonte zwar, diese Kategorisierung der Menschenrechte sei (nicht nur) historisch unhaltbar, sie würde durch die Periodisierung aber zur Abwertung von sozio-ökonomischen Rechten und Kollektivrechten führen.

Diese Unterscheidung der Menschenrechte würde auch bei der Heranziehung des Inflationsarguments erkenntlich. So bringe vor allem das neoliberale Mindset auf die Menschenrechte den Einwand der Inflation an. Unterschieden wird dann zwischen den als inflationär eingeordneten ,,neuen“, sozioökonomischen Menschenrechten und den ,,alten und ehrwürdigen“ bürgerlich-politischen Menschenrechten. In der neoliberalen Sichtweise gehe es demnach allein um den Erhalt des status quo des Menschenrechtsbesitzstandes, die Erweiterung hingegen wird kritisch bewertet oder sogar gänzlich abgelehnt. Dieses neoliberale Mindset sei jedoch nicht zwingend. Nur weil es sich historisch durchgesetzt habe bzw. von der Mehrheitsmeinung getragen worden sei, betonte der Referent. Er selbst plädierte vielmehr für eine stärker machtkritische Betrachtung und Analyse der Menschenrechte. Dementsprechend kehrte er selbst den Inflationseinwand um, indem er forderte, die Entwicklung neuer Menschenrechte gerade nicht als Gefahr, sondern vielmehr als Chance für die bestehenden Menschenrechte zu sehen: Forderungen nach neuen Menschenrechten ermöglichten Selbstkritik und -reflexion innerhalb menschenrechtlicher Diskurse.

Am Ende antwortete Theilen auf seine Ausgangsfrage – „gibt es zu viele Menschenrechte?“ – deshalb weder mit einem klaren ,,Ja“, noch mit einem ,,Nein“. Vielmehr zweifelte er schon im Grundsatz die Sinnhaftigkeit einer solchen Frage an. Seiner Ansicht nach ist es wichtiger, an der Grundorientierung des Konzepts der Menschenrechte zu arbeiten und Prämissen und Vorprägungen kritisch zu reflektieren. Diese Herausforderung sei nicht allein durch die Begründung neuer Menschenrechte zu bewältigen. Eine grundsätzliche Abwehrhaltung gegenüber neuen Menschenrechten sei jedoch noch weniger zielführend. Essentiell ist vielmehr, den Diskurs über die Existenz und den Inhalt von menschenrechtlichen Schutzgewährleistungen offenzuhalten und gerade auch marginalisierte Gruppen und Perspektiven an diesem Diskurs zu beteiligen. Die Forderung nach neuen Menschenrechten ist dann als Einladung an die (Mehrheits-) Gesellschaft zu diesem Diskurs zu begreifen.

Im Anschluss an den Vortrag nutzten die Zuhörer*innen die Gelegenheit, um mit Theilen dessen Thesen zu diskutieren. Unter anderem ging der Referent hierbei nochmals auf die Begriffe der ,,Neuheit“ und der ,,Inflation“ im Zusammenhang mit den Menschenrechten ein und vertiefte kritische Gedanken über die Existenz und Reichweite der Menschenrechte.

Einige der im Vortrag aufgegriffenen Themen können hier nachgelesen werden.

Der nächste Vortrag des Forum Junge Rechtswissenschaft wird zeitnah auf der Website und den Sozialen Netzwerken der Juristischen Fakultät bekannt gegeben.

 

Victoria Schwarzer

Zurück