Autoland Sachsen

Wenngleich der Fokus der Exkursion hinsichtlich des Themenschwerpunkts der Automobilwirtschaft (umgangssprachlich meist Automobilindustrie) (Diez et al. 2016) auf Sachsen lag, kann der gesamte Mitteldeutsche Raum als Zentrum der Elektromobilität Deutschlands sowie Europas bezeichnet werden (Bratzke/Tobaben 2013).
Sachsen kann im Besonderen auf eine über 100-jährige Tradition im Autobau zurückblicken. So finden beispielsweise Innovationen wie die Linkslenkung oder der Frontantrieb hier seinen Ursprung (Standort Sachsen 2021a). Auch der Automobilhersteller Audi ist eng mit Sachsen verbunden und wurde 1909 in Zwickau gegründet (Audi 2021). Nach einer Zeit der systematischen automobilen Unterversorgung während der DDR, zählt Sachsen heutzutage mit sechs großen Fahrzeug-, Motoren- und Batteriewerken von BMW, Daimler, Volkswagen und Porsche sowie ca. 780 Zulieferern (Original Equipment Supplier) zu einem wichtigen deutschen Automobilstandort. Seinem selbstgesetzten Titel als „Autoland“ wird Sachsen dahingehend gerecht, dass ungefähr jedes achte innerhalb Deutschlands gebaute Kraftfahrzeug aus Sachsen kommt. Außerdem stellt die Automobilindustrie mit über 95.000 Beschäftigten (davon mehr als 80% bei OES) die umsatzstärkste Branche Sachsens dar. So trägt diese zu mehr als einem Viertel zum Industrieumsatz und zu über einem Drittel zum Auslandsumsatz bei (Standort Sachsen 2021a).
Warum sich in Sachsen die Automobilwirtschaft angesiedelt hat, ist nicht einfach zu beantworten, kann jedoch zum einen mit seiner geographisch zentralen Lage innerhalb Europas (Standort Sachsen 2021b) als auch seiner Rolle als innerdeutscher Wiege der Industrialisierung und des Maschinenbaus (Standort Sachsen 2021c) begründet werden. Aus diesem Grund konnte sich technisches Know-How bereits früh am Standort bilden und durch die ausgeprägte Forschungslandschaft zusätzlich gefördert werden (Standort Sachsen 2021e). Dass dieses sich nicht einzig auf die Automobilwirtschaft konzentriert hat, wird eindrucksvoll am Beispiel des Mikroelektronik-Cluster „Silicon Saxony“ deutlich. Dieses ist Europas größtes Cluster dieser Art (Standort Sachsen 2021d). Sachsens heutige mikroelektronische Industrie (Schwerpunt nahe Dresden) ist insbesondere förderlich für die sächsische Automobilwirtschaft, welche nach eigenen Angaben die Pole-Position in der Mobilitätswende einnimmt. Unter anderem in der E-Mobilität entwickelt sich Sachsen aktuell zu Europas größtem und modernsten Produktionsstandort (Standort Sachsen 2021a). In der zweiten automobilen Revolution sind neben der Elektromobilität, autonomes Fahren, Leichtbau und neuartige Verkehrskonzepte wichtige Innovationsfelder, denen sich Sachsen als „Autoland“ stellen will (ebd.).
 

Standort BMW Leipzig

Im Norden von Leipzig, nahe dem Autobahnkreuz Schkeuditz (A9/A14) und dem Flughafen Leipzig/Halle ist das BMW-Werk Leipzig verkehrsgünstig gelegen. Es gilt als eine der „modernsten und nachhaltigsten Automobilfabriken der Welt“ (Standort Sachsen 2021f).
Auf einer Fläche von 229 Hektar werden seit dem 1. März 2005 Autos der Marke BMW produziert. Bis ins vergangene Jahr 2020 führte dies zu einer Gesamtproduktion von über 3 Millionen Fahrzeugen. Heutzutage sind ca. 5400 Mitarbeiter am Standort angestellt und lassen täglich mehr als 1000 Fahrzeuge vom Band rollen. Zur aktuellen Produktpalette gehören der BMW 1er 5-Türer, der BMW 2er Gran Coupé, der BMW 2er Active Tourer. Aber wofür der Standort Leipzig und Sachsen am bekanntesten ist, der elektrische BMW i3 und BMW i3s (BMW 2021a). Diese werden bereits seit 2013 mit alternativem Antrieb sowie den innovativen CFK-Leichtbaukarosserien (CFK = kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff/Carbon) hergestellt. Sowohl Antrieb als auch Karosserie stellen dabei eine Besonderheit der sächsischen Automobilindustrie dar, und finden in der hiesig-regionalen Forschungslandschaft weitreichende Betrachtung. In Leipzig umfasst die Produktion die vier Produktionsabschnitte: Presswerk, Karosseriebau, Lackiererei und Montage, sodass in weniger als 40 Stunden ein fertiges Fahrzeug vom Band rollt (BMW 2021a).
Flexibel auf zukünftige Anforderungen reagieren zu können, ist eine wichtige Kompetenz, die das Leipziger BMW-Werk durch seine Werkstruktur erfüllt. Diese ist so konzipiert, dass sich Grundstrukturen lange nutzen lassen, zugleich jedoch mittels geringem Aufwand modifiziert sowie erweitert werden können. Ermöglicht wird dies durch die kreisförmige Anordnung der Produktionshallen um das zentrale Kommunikationsgebäude. Damit werden nicht nur kurze Wege gewährleistet, sondern es können zudem Erweiterungen oder neue Fertigungstechnologien mit überschaubarem Aufwand integriert werden. Das imposante Zentralgebäude wurde von der angesehenen Architektin Zaha Hadid umgesetzt und gewann im Jahr der Einweihung 2005 den Deutschen Architekturpreis. Es bietet die Voraussetzung für die Kommunikation zwischen den einzelnen Fertigungsbereichen und dient als Verwaltungs- und Qualitätszentrum. Die Montage in Leipzig zeichnet sich durch die patentierte werkseigene Finger- oder auch Kammstruktur aus. Dabei ermöglichen speziell konstruierte Gebäudestrukturen eine direkte Materialanlieferung sowie die Integrationsmöglichkeit zukünftiger Montageschritte, indem einzelne Finger erweitert werden (BMW 2021b).
Nachhaltigkeit bildet nach eigener Darstellung der BMW Group den Mittelpunkt des Handelns im BMW Werk Leipzig. Neben der flexiblen Werkstruktur, die zukünftige Erweiterungen sowie strukturelle Anpassungen mit überschaubarem Aufwand ermöglichen soll, liefern vier eigens auf dem Werksgelände errichtete Windräder den Strom für die Produktion der Elektrofahrzeuge (BMW 2021c).
 

Standort Porsche Leipzig

Ebenso wie das BMW-Werk liegt im Norden von Leipzig, in direkter Nähe zum Autobahnkreuz Schkeuditz (A9/A14) und dem Flughafen Leipzig/Halle, das Porsche-Werk Leipzig. Was für eine Bedeutung Leipzig bzw. Sachsen auf den Stuttgarter Kraftfahrzeughersteller hat, verdeutlicht die Zahl 50. So sind 50 % der Porsche-Fahrzeuge „Made in Saxony“ (Standort Sachsen 2021f).
Der Plan für das Leipziger Werk bestand seit 1999 bevor es drei Jahre später am 20. August 2002 zur Einweihung kam. Dabei startete direkt die Serienproduktion des firmeneigenen SUV’s Cayenne (Standort Sachsen 2021f). Nach Vorstellung des Kompakt-SUV’s Macan im Jahr 2013 wurde der Leipziger Produktionsstandort zum Vollwerk samt eigenem Karosseriebau und Lackiererei ausgebaut. 2019 erfolgte die 5. und vorerst letzte Werkserweiterung, die neben der komplett Inhouse-Produktion der Sportlimousine Panamera zusätzlich die Fertigung der 2. Generation des Macan (vollelektrisch) gewährleistet (Leipzig Info 2021; Porsche 2021a). Die heute am Standort beschäftigten ca. 4100 Mitarbeiter produzieren pro Jahr mehr als 90.000 Fahrzeuge (Leipzig Info 2021). Um der Komplexität der teilweise manufakturähnlichen Fertigung Herr zu werden, ist eine perfekt organisierte Logistik essenziell, wobei Porsche hier die „Just-in-Time“ – Methode anwendet. Dabei liefern Unternehmen im richtigen Moment und in der richtigen Reihenfolge (Porsche 2021b). Weiterhin zeichnet der Leipziger Standort das Prinzip der „schlanken“ Fabrik aus (Standort Sachsen 2021a).
Neben der Rolle als Produktionsstandort nimmt Leipzig für Porsche zusätzlich die Rolle eines Erlebniszentrums ein. So bietet der Automobilhersteller in seinem 32 Meter hohen, diamantförmigen Kundenzentrum Werksabholungen mit anschließendem Catering und einer Fahrt auf der eigenen FIA-zertifizierten Teststrecke sowie Geländestrecke an. Verdeutlicht wird dieser Eventcharakter durch die porscheeigene Beschreibung „Porsche Leipzig ist ein Ort, an dem vor allem eines produziert wird: Emotionen.“ (Porsche 2021c).
 

Standort VW – Gläserne Manufaktur Dresden

Eher untypisch für eine Automobilproduktion ist die Lage der Gläsernen Manufaktur mitten im Zentrum der sächsischen Hauptstadt Dresden. Die Lage ist unteranderem auf die Vergangenheit der Gläsernen Manufaktur als Oberklassezentrum für Werksabholungen mit Prestigecharakter zurückzuführen. Mit der Eröffnung 2001 war Dresden als reiner Produktionsstandort des Oberklassemodells Phaeton (geht auf erstes Automodell von Audi zurück) konzipiert. Nach Ender der Ära Phaeton im Jahr 2016 erlebte die Manufaktur eine grundlegende Neuausrichtung, hin zum Center for Future Mobility bzw. Erlebniszentrum der Elektromobilität. Die Rolle als Produktionsstandort ist während dieses Wandels stark gefallen. Insgesamt wurden während der 20-jährigen Geschichte 116.000 Fahrzeuge fertiggestellt, wobei die 380 Beschäftigten (Großteil nicht in der Produktion tätig) aktuell täglich 35 ID.3’s vom Band laufen lassen (Gläserne Manufaktur 2021a). Besonders beeindruckend ist dabei der Wandel der Produktionen. Ehemals ausschließlich auf die Herstellung des VW Phaeton samt herkömmlichem Verbrennungsmotor fokussiert, kam es 2017 mit der Fertigung des e-Golf zum Wandel. Im 20. Jahr des Bestehens startete die Fertigung des ID.3, welcher auf der Basis des modularen E-Antriebbaukastens (MEB) beruht und auch zukünftige strukturelle Anpassungen ermöglichen soll (Gläserne Manufaktur 2021b). Volkswagen agiert durch die Gläserne Manufaktur neben der Rolle als Erlebniszentrum, bei der beispielsweise Probefahrten und die Möglichkeit der Mitarbeit an Produktionsschritten angeboten werden, zudem als Inkubator für Start-ups aus dem Sektor der Mobilitätsdienstleistungen. Hier werden Gründerinnen und Gründer bei ihrem Innovationsprozess unterstützt (Gläserne Manufaktur 2021c) und gefördert, was das „Autoland“ Sachsen auch weiterhin ausmachen soll.
Wie die Autoproduktion von Elektroautos in seiner aktuellen Form aussieht, als auch welchen Plan der Volkswagen-Konzern mit der Gläsernen Manufaktur besitzt, wurde während einer Werksführung innerhalb der Manufaktur vermittelt. Die Führung stellte damit ein Highlight der Exkursion dar.

Literaturverzeichnis: